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Ocr-texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 06. 10. 1997


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Der zweite, der, wie Mackay vermutet, eine Schrift Bruno Bauers zum äußeren Anlaß hat, betitelt sich „Kunst und Religion“; er ist wichtig, weil er deutlicher als etwas anderes Stirners Herkunft von der idealistischen Philosophie noch verrät, während Bauer und Feuerbach bereits die Ziele weisen, auf welche die neue Fahrt gehen wird. Kunst und Religion sind hier fraglos nach Hegelschem Vorgang als Entwicklungsstufen des Geistes gefaßt, der auf seiner obersten Sprosse als Vernunft oder Philosophie sich vollendet: nur daß Stirner sich für diesmal „nicht vorgenommen hat“, über die letztere zu sprechen. Vom „Einzigen“ [122] sind wir also schon dadurch getrennt, daß hier alles gewissermaßen noch jenseits einer letzten gewaltigen und radikalen Umwälzung sich vollzieht; aber die Art freilich, wie hier mit den jüngeren Stufen des Geistes bereits verfahren wird, läßt keinen Zweifel übrig, worauf es zuletzt und im Grunde einmal abgesehen ist: von der bloßen „Aufhebung“ wie oben ist jetzt nicht mehr die Rede. Dementsprechend wird auch von positiver Religion nicht so sehr, wie im übrigen auch von einzelnen ästhetischen Gesetzen wenig gehandelt; um die Religion zumal ist es hier Stirner zu tun, der so allgemein wie möglich ihr stets irdischer, unheiliger und ungöttlicher Ursprung nachgewiesen werden soll, und dazu braucht er notwendig auch die – Kunst. Das Thema der Religion war ja gerade von Feuerbach wieder aufgerollt worden; ihm folgt Stirner, da er sie als Entzweiung des Menschen mit sich selbst faßt. Diese „Entzweiung“ sollte bald darauf das ganze große Thema auch seines „Einzigen“ werden: nur daß dort der Begriff ungeheuer erweitert und bis in seine letzten Konsequenzen verfolgt wird. Warum entzweit der Mensch sich mit sich selbst? – diese eigentlich törichte Frage stellt sich Stirner also schon jetzt, und sie hört nicht auf, ihn zu quälen. Die erste „Torheit“, ist hier die Antwort, begeht eigentlich die Kunst: sie stellt Objekte aus sich heraus, die des Künstlers „Ideale“ sind und zu denen er selbst schon sich anbetend verhält, d. i. zwiespältig. Aber der Kunst ihr Schaffen, ihr Gestalten verbieten? Fast wäre es die Konsequenz; jedoch man sehe nur hin: wer ist der eigentliche, der stärkste Anbeter der vom Künstler geschaffenen Idole? Der Religiöse ist’s, die Religion erhebt das Ideal zu [123] ihrem Gott und erweist ihm sklavische Verehrung! Denn sehet nur hin: die Kunst selbst ist noch immer souverän genug, ihre Ideale auch wieder zu zerstören, sie in sich selbst zurückzunehmen; sie hat ja auch die lachende Komödie, nicht bloß die sittliche Tragödie! Sollte deswegen die Religion einmal mit ihrem Ideal eins werden, wie dies allerdings vielsagend genug ihr stetes krampfhaftes Bemühen ist – man denke nur an den Gott-Menschen! –, so verschwände sie überhaupt. Sapienti sat! – sie wird einmal verschwinden . . . Folgerichtig müßte nach Stirner auch einmal die Kunst verschwinden; denn einmal kommt sie „über das stete Objektmachen nicht hinaus“, und was schließlich die Philosophie betrifft: so „legt sie ebensowohl auf alle Objektmacherei, als auf die ganze Objektivität selbst die zermalmende Hand und atmet die Freiheit.“ Er hofft, man werde wohl verstehen, daß nur die Religion gemeint sei; aber in der Konsequenz des Prinzips liegt auch das erstere. Die Hegelsche Philosophie hat hier Stirner noch einen Streich gespielt.

Im dritten Aufsatz scheint es sich, schon was den äußeren Rahmen angeht, um wenig Eigenes zu handeln: eine Rezension, die überdies zur Hälfte aus Zitaten besteht; besprochen werden die bereits oben erwähnten „Königsberger Skizzen“ von Karl Rosenkranz. Dazu erhält man sogar mehr als sonst noch die Empfindung, daß irgend eine Rücksicht den Schreiber zwingt, sich nicht ganz so zu äußern, wie er am liebsten möchte; aber indem er dies sogleich selbst andeutet, den Althegelianer aus den „Vordermännern der Zeit“ hinausweist und ihn schonend von einem bereits zurückliegenden Standpunkt beurteilen will, so [124] bricht – obwohl unwillkürlich – gerade hier aus wenigen Sätzen so viel Licht auf den Schreiber des „Einzigen“, daß eben diese Rezension auch das wichtigste Dokument auf seinem Wege genannt werden könnte. Hier wird er seherisch und prophetisch; hier scheint er die ganze Größe einer Tat bereits zu verspüren, welche jene Zukunft heraufführen wird, die Rosenkranz noch nicht einmal ahnt. Charakteristisch ist immerhin auch die Auswahl der Zitate, die ihm Stirner entnimmt; nach dem, was er einleitend bemerkt, wird es uns gar nicht schwer, seine eigenen Glossen dazuzudenken. Welches Wasser auf Stirners Mühle, wenn Rosenkranz breit und ausführlich die absolut unlogische Natur des christlichen Judenhasses von allen Seiten beleuchtet, damit aber selbstverständlich nichts gegen das Christentum sagen will. Wie findet sich Stirner insgeheim bestätigt, wenn Rosenkranz, die Möglichkeit einer David Strauß-Religion erwägend, dazu bemerkt: „Für viel untergeordnetere Dinge sind die Menschen standhaft in den Tod gegangen . . .“ Die R.sche Charakteristik der deutschen Trunksucht als eines Spiels mit dem Feuer, bei welchem gleichsam nur erprobt werde, wie lange man Herr seiner selbst, vollständiges Ich bleibe, ist Stirner sympathisch, und er gibt eine Note, die er selbst, wie er sagt, „schon vor Jahren“ zu Tacitus’ Germania gemacht hat und in der die Spielsucht der Germanen ähnlich gedeutet ist, als Parallele: „Nur das reine unzerstörbare Selbst, hier in der Gestalt der Treue oder des Worthaltens, bleibt dem Germanen übrig, nachdem Weib und Kind, die Freiheit, ja, selbst das Leben in die Schanze geschlagen worden.“ – Aber alle diese den Lesern zu- [125] gleich in der Absicht mitgeteilten Stellen, sie mit dem angenehmen Plauderton eines Eklektikers zu unterhalten, besagen nichts gegen das erste, keineswegs nur so zufällig herausgerissene Zitat, das Stirner selbst mit den Worten einleitet: „Ich meinerseits will gerade eine sehr unscheinbare Stelle hervorheben . . .“ Warum? Nicht aus dem Grunde, den er selbst angibt; sondern weil sich ihm hier zum ersten Male Gelegenheit bietet, den Unsegen christlicher Kultur bloßzulegen, die Zwiespältigkeit der bloß tolerierenden, im Grunde inhumanen christlichen Moral aufzudecken. Das beweisen gleich darauf eindringliche Sprache und – Ausführlichkeit. Rosenkranz meint einmal, man müsse doch schon eine „festere Christlichkeit“ besitzen, um in der Praxis sich auch zu erinnern, daß „Christus den Juden vergeben hat, vergeben mußte, weil sie nicht wußten, was sie taten“. „Der Pöbel vermeint wohl, sich darin christlich zu zeigen, wenn er es noch jetzt dem Juden nicht vergißt, was er einst getan.“ Also muß man dazu ein „festerer Christ“ sein? fragt Stirner; und diese „festere Christlichkeit“ überschüttet er mit ätzendem Spott. „So entrückt man das einfach Menschliche von seinem Boden, um es in den christlichen Himmel zu verpflanzen, und so kommt man konsequenterweise zu einem christlichen Staate und wohl auch zu einer christlichen Philosophie.“ Das von Rosenkranz angeführte Beispiel zeige vielmehr und dasselbe bewiesen auch unzählige andere Fälle, „daß das Christentum uns erst in Versuchung führt und uns dann nur durch einen von der Humanität erborgten und zu einem religiösen Gesetze ausgeprägten Satz errettet.“

In Wirklichkeit beweise gerade Rosenkranz selbst, [126] indem er so deutlich die Brücken erkennen läßt, die auch den gebildetsten Christen – als Christen – noch immer mit dem christlichen Pöbel verbinden, wie hohl es mit der ganzen Phrase dieser Humanität bestellt sei, die immer auf des Messers Schneide steht, immer Gefahr läuft, in ihr finsterstes Kontrarium umzuschlagen! Stirner nähert sich dem Momente, wo er auch für das Lessingsche Ideal, die bloße „Duldung“ – wie entwürdigend! – etwas Besseres an die Stelle zu setzen versuchen wird. Er erkennt, daß den Verfasser die Humanität wohl schon „leitet“; „aber sie ist nicht in ihm persönlich geworden, nicht die Idee, die sich zur Welt seines Selbstes ausbaute, sie ist nicht sein alleiniges Selbstbewußtsein, sein volles Ich, und hat darum keine andere Energie, als die, daß sie ihn beherrscht. Der Beherrschte kann es aber nicht lassen, daß er nicht zuweilen seine eigenen Kapricen hinter dem Rücken des Herrn hätte: der Herr ist doch immer nicht Er selbst, und der Diener der Humanität bleibt – für sich ein Christ. Im Leben bestimmt seinen Willen der Herr, die Humanität, in seinem Kämmerlein bestimmt er sich selbst und ist – Christ. An Versuchen wird er es überdem nicht fehlen lassen, den Herrn zu seinem Glauben zu bekehren.“ Das Herr- und Dienersein auf unser Verhältnis zu all unsern Begriffen und Eigenschaften, „Tugenden“ und „Lastern“ angewandt, anstatt daß diese zusammengenommen eben nur „die Welt unseres Selbstes“ ausmachen und nichts neben oder außer dem Ich sind, das ergibt schon den Kampf des „Einzigen“, der hier nur an einem einfachsten Beispiel – dem der Humanität – vorgeführt wird.



[127] Der letzte Aufsatz, der hier noch zur Erörterung kommt, betitelt: „Einiges Vorläufige vom Liebesstaat“, wirft in politischer und sozialer Hinsicht, wodurch das Ichthema abermals erweitert wird, die Frage auf, wie lange das Prinzip der Humanität und der Liebe wohl Aussicht haben dürfte, die berechtigte Grundlage einer Staatsform zu bilden. In zwei modernen und sicherlich schon auf hoher Stufe stehenden Staatsformen, im Bürgerstaat (der französischen Revolution) und im liberalen Staat (des Steinschen Manifestes von 1808), findet Stirner dieses Prinzip nämlich verkörpert: die Frage ist ihm nur, wie lange eben selbst „die Liebe“ Recht behalten werde. Er vergleicht nun: gegenüber der Revolution bedeutet der Liberalismus weder die vorgeschrittenere noch eine gleiche Tendenz, sondern – Rückschritt; trotzdem haben beide Berührungspunkte, denn die unmittelbare Konsequenz der Revolution war – Napoleon, Despotie, und der Steinschen Gesetzgebung: die Reaktion. Woran lag das? nur daran, daß wir es beide Mal mit zwei unvollkommenen Halbheiten zu tun hatten! Der französischen Revolution war schließlich, ohne daß sie es merkte, die – Liebe im Busen stecken geblieben, obwohl sie anfangs eine ihr feindliche Richtung eingeschlagen hatte; christliche Moral, die Pflicht der Liebe aber führte dann auch die Völker von außen gegen die Revolution, gegen Napoleon: in beiden Fällen siegte noch einmal das Christentum, die Liebe. Das ist durchaus historisch zu verstehen und zu beurteilen; denn wäre wirklich einmal etwas absolut Revolutionäres, der wahre Freiheitsdrang in einem Volke – wer könnte ihn aufhalten, ihn hemmen? Darum eben gilt es einmal zu untersuchen, prinzipiell zu [128] untersuchen, ob diese so oft schon Siegerin gebliebene christliche Liebe ihrem inneren Werte nach auch notwendig immer siegen müsse. Beide Mal war Freiheit die Sehnsucht, das Erstrebte – beide Mal siegte die Liebe: hat man nicht die Freiheit am Ende mißverstanden? Worin besteht denn die Freiheit und worin der wirkliche Wert des Menschen? Antwort und schon Programm des „Einzigen“: „In der Selbstbestimmung, d. h. darin, daß nicht eine Sache oder eine andere Person ihn bestimmen, sondern er selbst der Schöpfer seiner selbst, mithin Schöpfer und Geschöpf in Einem sei.“ Entspricht solchem Ideal etwa die Liebe? Gewiß „sucht“ auch der Liebende sich selbst, aber er sucht sich – im andern, nicht, wo er einzig gefunden werden kann, in sich selbst. Liebe ist zwar, das mag zugegeben werden, die schönste Unterdrückung seiner selbst – aber eben doch: Unterdrückung! Oder meint Stirner vielleicht mit der Selbstbestimmung die Selbstsucht? Sie verstößt gegen das Ideal nach der andern Seite: die „Sucht“ sucht überhaupt gar nicht mehr sich selbst, sie sucht – das andere, das Ding, das Dingliche; so steht sie, die Selbstsucht, hinter der Liebe zurück, denn diese sucht wenigstens noch sich selbst, wenn auch an falschem Orte. Aber gegen die Freiheit steht wieder die Liebe zurück: was der Selbstsüchtige blind opfert, sein Selbst – das verlangt, das fordert nicht selten die Liebe, da sie sich im andern nicht bloß sucht, sondern auch vergißt, fordert schließlich „Menschenopfer unerhört!“ Meinen freien Willen, der mich erst zum Menschen macht – ihn will mir die Liebe rauben, mich willenlos machen!

[129] Die Freiheit ist mehr denn die Liebe; so endigt dieser Aufsatz.

Was aber ist noch besser als die Freiheit?

Wie aber – wenn gar von keinem „Suchen“, keinem Werte, keiner Bestimmung, keinem Erst-zum-Menschen-Gemachtwerden die Rede ist? Wenn mein Ich ist, wie es leibt und lebt, wenn es sich weder suchen noch finden, weder verlieren noch aufgeben kann? Noch wird der Selbstsüchtige hier hintangestellt, nur darum, weil er Geschöpf der Natur ist, „Kreatur, die sich nicht sucht noch findet“. Wer sagt mir aber, daß Kreatursein so verächtlich ist? Wo ist der Maßstab für frei und unfrei? Für Gut und Böse?

Wir stehen an der Pforte des „Einzigen und sein Eigentum“.

______


[130]

B. „Der Einzige und sein Eigentum.“


„Ein Bruch ist durch unsere Tage hingegangen, wie über Nacht die Eisdecke des Haffs zerreißt, und ohne ihn zu kennen, wird mancher sorglose Wanderer beim dämmernden Morgen hineinstürzen, weil er von dem krachenden Donner der Nacht nichts vernommen hat und wähnt, er müsse von einem Bruche doch etwas wissen, da er noch vor kurzem dieselbe Straße ungefährdet hin- und hergezogen sei.“

(Max Stirners „Kleinere Schriften“.)


Wir versuchen zuerst den Inhalt des „Einzigen“ getreulich wiederzugeben und möchten uns für jetzt jeder Bemerkung dazu am liebsten enthalten. Wenn trotzdem schon hier und da eine Rede mit uns durchgehen sollte –: man leuchtet nicht ohne Gefahr ein Pulverlager an.

„Ein Ruck tut Mir die Dienste des sorglichsten Denkens, ein Recken der Glieder schüttelt die Qual der Gedanken ab, ein Aufspringen schleudert den Alp der religiösen Welt von der Brust, ein aufjauchzendes Juchhe wirft jahrelange Lasten ab. Aber die ungeheuere Bedeutung des gedankenlosen Jauchzens konnte in der langen Nacht des Denkens und Glaubens nicht erkannt werden“ (175). Mit diesem Satz allein haben wir den Schlüssel zu Stirners Buch in Händen.

Es ist der Augenblick, wo der Jüngling zum Manne gereift zu sein glaubt. Fürchterlich hat die Hegelsche Gedankenwelt auf ihm gelastet, fürchterlich hat das Problem des Daseins und Lebens an seinen Eingeweiden gezerrt und gezehrt. Mitteilung ist dem Gequälten versagt; „niemand begreift den Schmerz, an dem ich kranke.“ Nur immer tiefer ins Schneckenhaus des Innern verkrochen! Da – grausame Ent- [131] deckung – nicht tiefer geht’s; die harten Wände halten stand! Es ist der kritische Augenblick des Lebens; manchem schon half die Kugel auf diesem Punkte. Aber nicht Tragik liegt in Stirner – sondern Ironie, welche das Tragische nur zur Folie hat. Und: ein Ruck, ein Recken der Glieder, ein Aufspringen, ein aufjauchzendes Juchhe: der Bedrängte steht in der kühlen, klaren Morgenluft, die Schalen seines Kerkers zerbrochen zu seinen Füßen. Kalt, klar und leer ist die Welt, die Schläfer noch in ihren Betten . . . Draußen Einsamkeit wie innen – –

Aber der Befreite findet schon die reine Himmelsluft, die er nie geatmet hat, so köstlich; er trinkt, schlürft in vollen Zügen. Welch ein Labetrunk!

Indes der Lärm des Tages erwacht, und eine schwere Dunstwolke ergießt sich in die Atmosphäre; ein Rasseln und Stampfen der Maschinen beginnt. Ein ungeheurer Menschenstrom flutet in alle Wege, strömt zusammen und wieder auseinander nach allen Richtungen; mechanisch läßt sich Stirner von ihm treiben. Aber schon weht ihn eine eisige Fremdheit an; so wirklich, so greifbar-natürlich hat er alle diese Gestalten noch niemals vor sich gesehen, durch die Wände seines Schneckenhauses nur immer wie in einen dichten Nebel verwirrt. Und so nahe machen ihm diese Vielen angst, so nahe kennt er sie ja noch gar nicht; kennt keinen einzigen von ihnen. Wieder ist er zu einer unaussprechlichen Einsamkeit verdammt, und sein inneres Jauchzen ist ganz verstummt. Er will einen Augenblick stehen bleiben: da schiebt und drängt ihn von hinten eine schwere, schwarze Masse, und so, getrieben, willenlos, fühlt er, wie immer engere Ringe [132] der Beklemmung sich um sein Herz legen, ihm schon das Atmen erschweren. Da – Rettung – an einer Wegkreuzung gilt es einen kühnen Seitensprung, und er ist im Freien; er hat bemerkt, daß der Haufen nur ganz bestimmte Pfade einschlägt . . . Und nun: an ihm, dem einzelnen, flutet das Ganze vorüber, gefahrlos, so als ob es ihn nie bezwungen hätte. Wir stehen vor dem zweiten und wichtigsten Gedanken des Buches.

So, für die Dauer, nützt alle einmalige Lastenabschüttlung nichts; sie ist dringend geboten im Moment der höchsten Gefahr – aber das gänzlich entfrachtete Schiff wird bald ein Spielball der Wellen. Einigen Ballast muß es an Bord nehmen, um den rechten Kurs innehalten zu können: so wird aus dem „gedankenlosen Jauchzen“ sehr bald wieder ein „kritisches Juchhe“ (Kl. Schr. 133). Dieses fischt aus allem Denken, das ins Meer versenkt war, ein einziges Denken als Belastung – philosophisch: als Voraussetzung – wieder auf und begibt sich auf die Fahrt. Dieses einzige zurückgeholte Denken scheint ein fixer, dogmatischer Satz zu sein, ein Satz: „Ich bin.“ Trotzdem soll man auch bei ihm an ein bloßes „Bedürfnis des Denkens“ (Kl. Schr. 133), an eine notwendig-praktische, nicht theoretische Voraussetzung (178) denken; d. h. entpuppt sie sich hinterdrein noch als ein Zu-Viel, so soll auch sie ohne weiteres wieder eingezogen werden. Wir können jedoch schon hier verraten, daß sie weder als praktische, noch – theoretisch feststehende Prämisse jemals aufgegeben wird.



„Ich bin“: klingt uns der Satz nicht vertraut? Also dahin begibst du dich auf einmal, Gedankenloser und Jauchzender? Dicht neben den mächtigsten Olymp- [133] stürmer und Geistesgläubigen, neben den Erzvater aller metaphysischen Systeme, die als buntschillernde Seifenblasen dem Menschen der letzten Jahrhunderte immer neue und herrlichere Himmel vorzauberten, um ihn sogleich wieder daraus zu stürzen? Neben Descartes, dessen Cogito ergo sum immer quälendere und fruchtlosere Versuche gezeitigt hat, aus dem Denken die Welt, die Realität herauszuspinnen? Stirner selbst weist uns den Weg; wir werden nicht versäumen dürfen, ihm wie in unmittelbarer Weise, so auch mittelbar uns zu nähern: welche Brücken verbinden ihn mit Descartes – mit der gesamten neueren Philosophie, die doch als zugestandenes Erlebnis jedenfalls hinter ihm liegt? In seiner ganzen Tragweite kann dies natürlich erst gegen Ende offenbar werden; immerhin gibt schon ein Vergleich zwischen dem Descartesschen und dem Stirnerschen Ich für sich manchen Aufschluß. Descartes’ vorangegangener Zweifel an allem, meint Stirner, bewies nur, daß er einen Glauben, den Glauben an das Denken und die Wahrheit doch noch unangetastet in seinem Busen beherbergte (102); Stirner aber hat mit seinem „Ruck“ alles vernichtet, alles hinter sich gelassen. Die Konsequenzen zeigten es; das Cogito ergo sum bewies dem Philosophen nicht dies Eine: Ich „bin“, sondern auf dem Umweg, daß sein Denken sei, die ganz andere Wahrheit, daß sein Ich ein denkendes sei, daß es nur ein denkendes sei, also daß sein Ich im – „Geist“ oder „Denken“ überhaupt bestehe (104). Dagegen will Stirner (zunächst wenigstens) von einem sich bloß denkend (theoretisch) verhaltenden Ich offenbar nichts wissen und mit dem „Ich bin“ gleichsam nichts als die einfache [134] psychophysiologische Tatsache seiner Existenz wiederholen; sie sei eigentlich nicht zu wiederholen, immerhin, meint er, verstehe ihn doch jeder, wenn er „Ich“ sage. Er wird nicht sagen: „mein Körper und mein Geist in Eins“ – das sind lediglich bestimmten Zwecken dienende Begriffe, und wenn schon der eine Begriff „Ich“ fast nichts besagt, so tun es mehrere und zusammengesetzte erst recht nicht. Er sagt darum auch unbedenklich: „Du“, „Uns“, „Wir“ und verläßt damit im Grunde den descartisch-erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt gänzlich; aber er glaubt dadurch der Verdeutlichung seines Ich-Standpunktes, der, ausgesprochen, als Begriff der „Person“ ja doch immer fremd bleibt, nur näher zu kommen, dadurch nämlich, daß er „Jeden“ auffordert, sein Ich nachzufühlen. Das also, was sich Descartes jetzt erst durch Anerkennung eines neuen, mit dem Ausgangspunkt freilich auch nicht vereinbaren rationalistischen Satzes holt – die Außenwelt, die holt sich Stirner ohne weiteres einfach aus dem praktischen Verhalten seines Ich. Im Grunde hieß es nur: „Ich bin“; jetzt heißt es bereits: jeder für sich ist, jeder einzelne ist. Nicht etwa der Staat, die Gesellschaft, das Volk, „Alle“ „sind“; sondern „jeder“, als Individuum, ist: das ist, für später, sehr beachtenswert. Vorläufig ist nun zwar der Descartesche Ausgangspunkt verändert, er ist aber keineswegs preisgegeben; inwiefern hat nun etwa die weitere moderne Philosophie Stirner antizipiert?

Daß dem Ich, dem Subjekt, die kolossale Rolle anvertraut werden soll, die es überhaupt in der neueren Philosophie spielt, das sieht man auch bei Stirner sofort; warum fehlen denn nun in seinem Werk die so [135] wichtigen Zwischenstufen, auf denen er doch so leicht, wie man glaubt, hätte aufsteigen können? Er braucht sie nicht; vielmehr er will sie nicht, denn auch sein Denken bleibt von jetzt an ein „kritisch-egoistisches“, vergißt nie, daß es nur in einem bestimmten Ich seine Wurzeln hat, und holt sich von anderen gerade nach „Bedürfen“, soviel als es selbst sich wirklich „zu eigen“ zu machen vermag. So ist bei Hegel offenbar der Prozeß, der mit Descartes (und im Grunde schon mit dem gesamten „christlichen“ Denken, wie wir sehen werden) begonnen hat, in seine höchste Spitze ausgelaufen: nun ist nicht bloß das Ich, sondern die ganze Wirklichkeit „Geist“ geworden. „Höheres kann die Philosophie (auf dieser Grundlage) nicht mehr leisten, denn ihr Höchstes ist die Allgewalt des Geistes, die Allmacht des Geistes“ (90). Und darin hat Stirner durchaus richtig geurteilt; aber konnten die einzelnen Versuche dieser Denkperiode nicht doch vielleicht noch Besseres und Beachtenswerteres verkünden? Wir wollen nicht vermissen, daß er den „guten“ Bischof Berkeley, der ihm manche Voraussetzungen gerade für seine theoretische Philosophie hätte liefern können, nie zum Zeugen anruft; dieser Mann war noch zu offenkundiger Verächter der Materie – und Stirner wollte der Materie zu ihrem Recht verhelfen! –, als daß ihm nicht die Lehre von der Subjektivität unserer Sinneswahrnehmungen eben gut in den Kram gepaßt hätte, die Außenwelt zu einer bloßen Illusion, einer versucherischen Absicht Gottes in uns herabzudrücken. Aber Kant – der große Kant! Warum findet man von Kant, dem einzigen und bis dahin vollständigsten Antipoden der „nur“-subjektiven Weltauffassung, bei [136] Stirner keine, auch nicht die flüchtigste Spur? Wenn er so gierig nach Realität lechzte und doch ebenfalls vom Ich ausging –: was war denn Kants großes und einziges Bemühen gewesen, als ebenfalls im Bannkreis des Subjektiven nach dem Objektiven zu suchen? Jenseits der Subjektssphäre, um dies gleich vorwegzunehmen, hat sich noch keiner von beiden dauernd angesiedelt und wohlgefühlt, wenn auch Stirner mit seiner ungleich harm- und sorgloseren Erkenntniskritik (dieses Erbteil hatte ihm Hegel hinterlassen) den Saltomortale des Gedankens sich oft genug gestattete. Aber – existierte denn damals überhaupt schon im Bewußtsein der Denkenden Kant? Der Fichtesche Kant – der freilich existierte; und dessen Zusammenhänge mit Stirner liegen uns schon viel klarer und deutlicher vor, werden auch von ihm selber zuweilen berührt. „Fichte spricht vom ‘absoluten’ Ich, Ich aber spreche von Mir, dem vergänglichen Ich“ (213); vom logisch-transzendentalen Ich hingegen, das eben Fichte so unkantisch zum „absoluten“ gemacht hatte, von dem weiß die ganze idealistische Philosophie so gut wie Stirner überhaupt noch nichts! Wer aber war es, der diesen Fichteschen Kant und Fichte selber schon einmal vom „partikularen Subjekt“ aus angegriffen hatte? Die Romantiker waren es, die ersten Individualisten; und Stirner war ein Romantiker. Und darum heißt es einmal bei Stirner so entrüstet-abwehrend: „Hört, hört! ihr Romantiker, ihr kunstbegeisterten Schlegel und Tieck, du geistvoller Theosoph Novalis, hört es im Grabe, ihr seid auch nur ganz gemeine ‘partikulare’ Subjekte!“ (Kl. Schr. 175.)
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