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Ocr-texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 06. 10. 1997


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Aber was soll auf einmal die unangenehme Spürnase!?

Wie wir auf so seltsame Dinge kommen? Man achte auf die dürren Fakta und was zu ihrer Erklärung vorliegt! Vor wenigen Jahren noch hat die Frau Stirners, fast achtzigjährig, in London gelebt und dem Biographen ihres Mannes, den zu empfangen sie sich fast entrüstet weigerte, auf dringendes Ersuchen zuletzt schriftlich einige „Fragebogen“ beantwortet. Was Marie Dähnhardt über ihren einstigen Gatten sagt, wäre, wenn man die Worte einer Greisin, die mit dem Leben abgeschlossen hat und voller Reue auf eine bewegte Vergangenheit zurückblickt, zu sehr ins Gewicht fallen ließe und überdies den Maßstab der bürgerlichen Moral für den Mann, der ihr offen abgesagt hat, nicht allzu unangemessen fände, kompromittierend genug. Sogleich, da sie gebeten wird, Auskunft zu erteilen, sind ihre ersten Worte, „wie sie dazu komme, zur Zeugin für das Leben eines Mannes aufgerufen zu werden, den sie je weder geliebt noch geachtet habe“? Und da sie sich doch zu einer Äußerung herbeiläßt, sind es schwere Anschuldigungen, die wir hören. Stirner sei auch im Leben der bare Egoist gewesen, der einzig aus diesem Grunde nie Freunde besessen hätte; und was ihre Ehe beträfe, so habe sie „mehr ein Zusammenleben in demselben Hause als eine Ehe“ heißen können. Und nun folgen die heftigeren Vorwürfe: „Er war zu stolz und zu träge, für sie zu arbeiten“; er gab seine Lehrerstelle auf, obwohl sie ihn gebeten, den kleinen Verdienst zum Leben zuzusteuern. [55] Er verschleuderte (!) in kurzer Zeit das nicht unbeträchtliche Vermögen, das sie ihm in die Ehe mitgebracht, hat „ihr Vertrauen betrogen, mit dem sie ihm alle ihre Mittel anvertraut“, und so Vorteil „aus der Lage eines schwachen Weibes gezogen“. Er war „very sly“*) – so resümiert sie schließlich seinen Charakter. Was sollen wir zu allen diesen Vorwürfen des „Liebchens“ sagen?

Zunächst noch der äußere Verlauf der Ehe.

Sie blieb kinderlos; und was über das bloße „Nebeneinanderleben“ der Gatten gesagt ist, wird sicher seine Richtigkeit haben. Das Vermögen, von dem Marie Dähnhardt spricht, betrug nicht weniger als zehntausend Taler, nach einigen sogar mehr, für die damalige Zeit gewiß eine beträchtliche Summe. Hiervon lieh jedoch schon im ersten Jahr der Ehe Marie selber an Bruno Bauer zweitausend Taler, die nur in sehr kleinen Raten abgezahlt wurden. Schon im Sommer 1846 klopfte dann die Not so hart an die Tür der beiden, daß Stirner gezwungen war, durch ein Inserat in der Vossischen Zeitung um ein Darlehen von sechshundert Talern zu bitten; ob er es erhalten hat, ist fraglich. Und noch Ende desselben Jahres, spätestens Anfang 1847, kam das, was tatsächlich wohl längst geschehen war, auch äußerlich zum Ausdruck: die Gatten trennten sich (vorläufig ohne gerichtliche Scheidung, die erst um 1850 erfolgte), Marie Dähnhardt ging nach London, und Stirner blieb in Berlin. Sie hat dann noch die allerschwersten Schicksale durchlebt und seltsame Wandlungen erfahren; der Biograph [56] fand sie in den Händen der Kirche, damit beschäftigt, „Seelen zu retten“: muß sie da nicht auf ihr ganzes früheres Leben wie auf eine einzige Verirrung blicken? Was sollen wir mithin zu alledem sagen?



Wir müssen noch einmal zurück zu Hippel. Dort verkehrte Marie Dähnhardt; – ein jubelndes Hallo begrüßt heute die Eintretende, sie ist wieder einmal in Männerkleidern erschienen, und das bedeutet, daß sie mit den „Freien“ bis tief in die Nacht hinein schwärmen will. Sie schüttelt jedem kräftig die Hand; man reicht ihr zum Willkommen ein frisch gefülltes Bierglas – jetzt schlägt sie’s zwar aus, aber später wird sie doch vielleicht unter allgemeinem Beifall tapfer ihre zwei, drei Schluck hinunterwürgen. Sie scherzt, sie lacht, sie neckt; setzt aber plötzlich, da es ihr genug wird, die allerernsteste Miene auf und ist jetzt nur noch für ernste Gespräche zu haben . . . Sie hat vielleicht ihren Freundinnen, die auch im Kreise verkehren, etwas Wichtiges ins Ohr zu sagen. Der nächste Nachbar tut sehr begierig, Mitwisser zu werden, wird aber abgeblitzt . . . Oder aber, sie geht mit einem Male auf den einzigen in der Gesellschaft, von dem man heute abend noch kein lautes Wort gehört hat, der heute noch kein Mal gelacht, noch keinen Scherz erzählt und – anscheinend – von ihr selbst noch nicht die geringste Notiz genommen hat: auf Stirner zu, klopft ihm auf die Schulter und fragt ihn, wiederum sehr ernsthaft, nach seiner Ansicht über – Proud’hon; und da er zunächst ein bißchen mißtrauisch blickt, so hält sie ihn doch fest und läßt den anfangs Einsilbigen auch nicht wieder los, bis er sich selbst in Feuer geredet hat; und – da ist sie zufrieden . . . [57] Es wird ein vergnügter Abend. Allzulange bummeln sie heute nicht. Aber Stirner darf sie heute vielleicht ein bißchen länger begleiten . . .

So oder anders mag es gekommen sein; . . . so oder ähnlich ging es jedenfalls bei Hippel zu. Sollte Marie Dähnhardt wirklich nichts an Stirner gefesselt haben? – aber warum heiratet sie, eine Freie und Unabhängige, sie, die ein Vermögen besitzt, von all den jungen Leuten, die in dem Kreise verkehren und auf welche sämtlich sie eine große Anziehungskraft ausgeübt hat, denn gerade ihn? Etwa seiner glänzenden „Position“ wegen? Nachher erfahren wir ja ausdrücklich, daß das, was Stirner verdiente, als „kleine Hilfe“ im Haushalt freilich willkommen war . . . Also warum denn? Wer zwang sie? Sie stand in vollster Blüte, war noch nicht fünfundzwanzig; nichts drängte, bedrängte sie. Oder, am Ende – vielleicht doch schon etwas? Vielleicht – der Dämon des Mannes, der dort so rätselhaft sich gleichbleibend an jenem Ende der Tafelrunde sitzt, so seltsam sich abhebend von all den schwärmenden, erhitzten Jünglingen und – Männern, vielleicht unter allen diesen Enthusiasten und Worthelden der einzige wirkliche Mann? Soviel leuchtet doch wohl ohne weiteres ein: in Konkurrenz mit den Schmachtenden, Liebegirrenden oder mit den genialisch Hinreißenden wird und kann sich der da nie begeben; . . . aber vielleicht bedeutete er gerade darum für die eigentlich Begehrlichen die gefährlichste Konkurrenz? Zu den Angreifern, in diesem Sinne zu den Aktiven (das kann nun einmal als zweifellos gelten), hat sich Stirner auch diesmal nicht gesellt; aber selbst einmal angegriffen: viel- [58] leicht besaß er unter allen die außergewöhnlichsten Fähigkeiten, festzuhalten und hat sich ihrer dann zu bedienen auch keineswegs verschmäht? Frauen haben, man weiß es, einen seltsamen Instinkt, ein allererstes unfehlbares Feingefühl für jegliche Überlegenheit; so wenig sie später sich Rechenschaft abzulegen imstande und um so mehr dann die – Enttäuschten sind, zunächst wittern sie am allerschärfsten. Der Mann fällt also Marie Dähnhardt auf; und wie die bigotte achtzigjährige Frau, die in London fromme Traktätchen verteilt, dermaleinst in ihrer Jugend sich in solchen Fällen benommen hat, das wissen wir aus ihren Briefen, die sie später nach Deutschland geschrieben hat. Der Biograph erzählt’s, „wie sie in einem Bus einen jungen Mann sieht, so schön, daß sie sich gar nicht satt an ihm sehen konnte. Bald hätte sie es ihm gesagt. Er merkt es auch . . .“ Also – auch Stirner muß es merken, bekommt es zu erfahren; aber vor den Augen des Mannes, dessen ganze Gedanken ein Lebenswerk beschäftigt, und der doch die Wege noch dunkel und ungebahnt sieht, auf denen es einmal in die Welt soll, taucht plötzlich ein hohes und blendendes Glück auf, beinahe berauschend für diesen – Egoisten . . . Da sitzt er bei Frau Burtz und denkt noch gar nicht daran, zu ziehen; zum Schreiben langt’s noch hin; ja – und dann? – die Öffentlichkeit? Das erste ist doch, daß er die Stelle an der Schule aufgeben muß; eine Privatanstellung ist’s zwar nur – aber Stirner ist doch nicht blind! Ja – und dann? Marie Dähnhardt kann ihn retten; sie ist reich und ohnehin so frei, so vorurteilslos; er wird sie in alles einweihen, sie wird ihn verstehen. Wir wissen nicht, wieviel Liebe, wieviel [59] unterdrückte Sinnlichkeit obendrein hinzugekommen ist; man wird nur billig von dem Sechsunddreißigjährigen nicht verlangen, daß er schwärmen soll wie ein Jüngling. Aber er ist ihr aufrichtig gut; und sie, Marie Dähnhardt, hat ihn bevorzugt, begehrt ihn. Seine Ansichten über Sittlichkeit kennt sie; es sind, äußerlich wenigstens, d. h. soviel sie überhaupt davon versteht, die ihren. Wen es übrigens beruhigt, die Frau des Immoralisten rein und makellos zu wissen, dem sei es ausdrücklich gesagt; hier verbarg sich in der lediglich zu Scherz und Kurzweil gespielten Hosenrolle noch die keuscheste, traditionellste Seele. In anderen Dingen, z. B. in Religionssachen, dachte die spätere Büßerin und fromme Christin damals wirklich freier; nun – wer dachte denn damals nicht freier? Und Stirner –? Es ist schwerlich anzunehmen, daß er sich von länger her mit dem Gedanken einer zweiten Heirat getragen habe; nun aber war ihm plötzlich ein großer, glänzender Traum aufgegangen; sie, die „Freie“, wollte ihn, und er zögerte nicht, alles aufzubieten, festzuketten, was doch nur ein – Glück war und (er wußte es!) über Tag vergehen konnte, wie es gekommen . . . Sie wird enttäuscht werden – vielleicht sah er es deutlich; konnte ihr, der Lebenslustigen, auf die Dauer der Mann genügen, dessen ganze „egoistische“ Liebe im Grunde so – seinen Gedanken, nicht ihr gehörte? Aber sollte, durfte er verzichten – und was wird aus seinem Werke? Nun wird er es ihr widmen, er wird anerkennen, welcher Macht es im Grunde seine Veröffentlichung dankt . . . Er wird sie, Marie Dähnhardt, von seiner Bedeutung überzeugen . . . Er wird ihren Namen unsterblich machen, ihr neue Liebe [60] einpflanzen, wenn die alte erloschen sein sollte . . . Eine große Hast und Entschlossenheit kommt in den „Passiven“. Er bezieht eine eigene Wohnung, verläßt die Familie, seine „Angehörigen“, bei denen er fast zehn Jahre gewohnt hat . . . Noch im selben Jahr, da er sie kennen gelernt hat, läßt er sich mit ihr trauen . . . Versteht man nun, was das „Meinem Liebchen“ auf dem Titelblatt des Werkes bedeutet? Ist es nicht, nachdem sie längst Frau geworden, wie ein Memento an die Zeit, wo sie ihn noch verstanden, wo sie wenigstens den Glauben noch weckte, als verstünde sie ihn, eine Erinnerung jetzt, wo längst die ersten Vorwürfe gefallen sind, daß er nicht „für sie arbeiten“, die „kleine Hilfe“ seines Verdienstes zu ihrem Vermögen zuschießen wolle, und sie so gar nicht einzusehen vermag, daß ihr Mann aus anderen Gründen kündigt, als um sie zu – kränken!

Aber wenigstens an der Schwelle dieser Ehe, die in solcher Weise verlaufen sollte, steht noch: einfach, schlicht, dem großen Stil des Mannes angepaßt, die Trauung selbst; und hier eben erscheint auch Marie Dähnhardt noch ganz als diejenige, der der Egoist offen und rückhaltlos alles anvertrauen konnte, die er nicht bloß heimtückisch in seine Netze zu fangen brauchte, „um Vorteil aus der Lage eines schwachen Weibes zu ziehen“. Diese Szene ist die einzige im Leben des Mannes, „die wirklich hellbeleuchtet dasteht“; und über sie „ist so viel geschrieben und geredet worden – weit mehr als über sein ganzes Leben zusammengenommen“ (Mackay); man muß aber auch sagen – ein echter Stirner! Die bloße Ziviltrauung gab es damals noch nicht; ein Prediger (natürlich wählte man [61] den freiesten) war notwendig. Auf dem Zimmer des Bräutigams versammeln sich die Trauzeugen und Gäste; erstere sind Bruno Bauer und Ludwig Buhl, dieser ebenfalls vom engsten Ringe der „Freien“, eine glänzend begabte Natur mit dem Zug ins Große, nur haltlos und leicht alles Maß vergessend, wohl einer der treuesten Bewunderer Stirners; unter den Gästen befindet sich auch der Dichter Wilhelm Jordan. Da der Pfarrer eintritt, werden die Karten, mit denen man soeben gespielt hat, beiseite gelegt, Buhl aber wird nur „mit Mühe aus seinen Hemdsärmeln in seinen schäbigen Alltagsrock hineingenötigt“. Die Braut läßt auf sich warten; nun erscheint sie: in einfachem Kleide, ohne Myrtenkranz, ohne Schleier – zum großen Erstaunen des Predigers. Aber neue Überraschung; eine Bibel wird gesucht und wird nicht gefunden . . . Während der „dürren, nüchternen“ Rede des Predigers sehen einige Gäste zum Fenster hinaus. Und nun – höchste Verlegenheit: der Prediger kann den eigentlichen Akt der Angelobung nicht vollziehen, denn es sind, „wahrscheinlich aus Vergeßlichkeit“, keine – Ringe bestellt worden.

In dieser seltsamen Situation kommt Bruno Bauer, nach anderen Stirner selbst, auf den entzückenden Ausweg, seiner gehäkelten Geldbörse die beiden Messingringe abzustreifen und sie dem Prediger mit den Worten zu übergeben, daß sie „die Ehe ebensogut oder besser zusammenhalten könnten, wie goldene.“

Und das waren die Trauringe Max Stirners und Marie Dähnhardts.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[62] Aber diese Ehe, wir wissen es schon, war weder durch Messing noch durch Gold zusammenzuhalten . . .

Verfolgen wir denn auch noch in kurzem die Ehejahre an der Hand kälterer und beredterer Zeugnisse, als sie aus dem Munde einer bußfertigen Greisin erwartete werden durften. Wie froh wäre freilich der Biograph, wenn er auch nur solche noch für die letzten Lebensjahre zur Verfügung hätte: indes dieses Leben hat seinen Höhepunkt erreicht; und jetzt verschwindet es rasch in Nacht und Dunkel. – –

Bei Hippel ging seit einiger Zeit das Gerücht, daß Stirner an einem Buche schreibe. Aber niemand wußte etwas Näheres darüber. Niemand hatte etwas davon zu sehen oder gar eine Seite zu lesen bekommen. Sehr charakteristisch ist übrigens doch, daß Stirner schließlich nicht ganz zu schweigen vermochte; er deutete zuweilen auf sein Pult, indem er sagte, daß dort das „Geheimnis seines Lebens“, sein „Ich“ verborgen liege.

Die letzten Worte waren doppelsinnig; Stirner hatte anfangs die Absicht, sein ganzes Werk „Ich“ zu nennen, später ward dies der Titel nur des zweiten, größeren Teiles.

Manche mochten solche Andeutungen längst wieder vergessen haben: da erschien plötzlich November 1844 „Der Einzige und sein Eigentum von Max Stirner. Verlag Otto Wigand, Leipzig 1845“. Bei Wigand traten damals die bedeutendsten Werke des Revolutionszeitalters, u. a. auch die Feuerbachschen, ans Licht; der Verleger war Stirner persönlich befreundet, und diese erste Ausgabe, heute bereits selten, blieb unter zwei noch folgenden die wertvollste, am besten ausgestattete. Daß sie durch die Zensur schlüpfte, haben wir bereits [63] gesagt; allerdings nicht so ganz glatt. Es war zunächst eine Beschlagnahme verfügt, wenige Tage darauf jedoch schon wieder aufgehoben worden: „weil das Buch zu absurd sei, um gefährlich zu sein“. Ein noch kräftigerer Beleg für Stirners wirklich wahrgemachte Prophezeiung, daß er sich die Preßerlaubnis selbst holen werde (S. 332/334): nun war sein Buch also erst genauer geprüft worden, und die genauere Prüfung ergab – Ungefährlichkeit!

Das Buch wirkte zunächst als ungeheure Sensation: „Zu Weihnachten 1844 war das Buch bereits in den meisten Händen . . .; besonders die Jugend griff gierig nach der kühnen Tat.“ So lesen wir bei dem Biographen.

Aber, wie vorauszusehen war – es war die erste Sensation eines ungeheuren Paradoxons; als Wahrheit, teilweise Wahrheit, selbst als den Keim zu einigen Wahrheiten wollte das Buch niemand nehmen; zudem hatte man auch irgendwelche Perspektive für die letzte deutsche Philosophie, zumal für Hegel, noch nicht gewonnen. Man lachte nur entweder gern oder haßte sogleich recht gründlich; hier aber schien beides nicht ungefährlich zu sein, beides nicht recht zu stimmen – es wollte überhaupt noch zu nichts stimmen! . . .

Und dann kam das Revolutionsjahr, und man hatte so viel Wichtigeres zu tun . . .

Von der unmittelbaren Kritik, die das Werk hervorrief, wird noch an anderer Stelle zu sprechen sein; hier nur so viel, daß sie ungeheuer dürftig war. Daß die „zünftigen“ Philosophen das Buch totschwiegen, wird man gern glauben; aber die anderen hielten sich an Äußerlichkeiten oder rissen Witze über dieses „Ich“, [64] das so widerspenstig war, ihnen sogleich wieder zu entschlüpfen, kaum daß sie es gepackt zu haben glaubten. In Betracht scheinen wenigstens diejenigen Kritiker zu kommen, denen Stirner selbst zu antworten wichtig genug fand; es sind dies außer einem gewissen Szeliga die bekannteren: Mos. Heß, Kuno Fischer und – Feuerbach. Aber auch bei ihnen stoßen wir auf eine so vollständige Verkennung gerade des Grundgedankens, daß man ordentlich Pein empfindet, ihnen die neue Moral auch nur als Hypothese zuzumuten. Feuerbach hielt übrigens, in einem Privatschreiben an seinen Bruder, mit der höchsten Bewunderung für den Autor nicht zurück: „. . . Er ist gleichwohl der genialste und freieste Schriftsteller, den ich kenne;“ das „gleichwohl“ aber sollte sagen, daß er, Feuerbach, sich nicht erschüttert fühle. Die größte Begeisterung zeigte noch der Franzose M. Saint-René Taillandier, „der gründliche Kenner deutscher Verhältnisse“, wie Mackay urteilt. Er teilt auch eine Stelle von ihm mit: „Daß eine Feder sich fand, die solche Dinge schrieb, die sie so kaltblütig, mit solch korrekter Eleganz schrieb, ist ein unbegreifliches Geheimnis.“ Trotzdem fühlte auch er sich in der weiteren Besprechung der Ansichten Stirners nicht zu seinem Apostel berufen.

Das war es denn schließlich, das Allerwichtigste stets für den Erfolg einer Philosophie: es stellte sich auch nicht, weder jetzt noch mit den Jahren, der eine oder andere Apostel ein, der für die „Idee“ kämpfte! – Hatte es nicht eigentlich Stirner selbst verboten?

So kann man sagen: wie ein in die Fluten geworfener Stein brachte das Werk eine augenblickliche, hoch aufspritzende Bewegung der Wasser hervor, um [65] sogleich zu versinken; und nur einige Wellenkreise zitterten nach . . .

Wie aber, das muß unsere wichtigste Frage sein, wie verhielten sich denn die Nächsten, mit denen Stirner vor der Welt verkehrte, zu der Tat des kühnen Steinwerfers? Mußten sie nicht stolz sein auf den Mann, von dem wenigstens jetzt noch alle sprachen, und der doch so eng verbündet ihrem Kreise schien; mußten nicht sie allein schon dafür sorgen, daß der Name „Hippel“, der plötzlich wieder einen besonderen Klang erhalten hatte, sich dauernd mit dem Interesse auch für den „Einzigen“ verflocht?

Anfangs schien es auch so. Zumal Stirner selbst seine „Zugehörigkeit“ zu den Freien auch weiter dokumentierte, so tat, als wäre nichts vorgefallen, und wieder als „stillvergnügter“ Mann mit der Oberlehrermiene in der Gesellschaft saß.

Aber niemand sah mehr den „höheren Lehrer“ in ihm; was das anbetrifft, so hätte er jetzt sein können, was er wollte, er war eben „Stirner“. Und nun muß man sich klar werden, was das bedeutete.

Was wollte der Mann noch bei den „Freien“? Natürlich – er war ein Hauptgegenstand des Interesses geworden; und wer sonst gewohnt war, über das „schon immer dagewesene“ Gemälde hinwegzusehen, trat jetzt neugierig näher, weil es sich plötzlich als ein alter Stich (aus der Zeit Lorenzos von Medici – Macchiavells?) entpuppt haben sollte . . . Und dann: daß gerade er das Buch geschrieben! Wie oft mag Stirner solch wenig schmeichelhaftes Erstaunen zu fühlen, wenn nicht gar zu – hören bekommen haben! In der Tat – konnte man nicht auf den Gedanken [66] kommen, der Mann habe den Mund so weit aufgetan, um nur ja wenigstens einmal im Leben vernommen zu werden? Freilich, wer dann doch das Werk wieder zur Hand nahm: war etwa keine Logik darin? Aber man muß sich nur darüber klar werden: das Buch bedeutete ja gerade Stirners Abschiedsbrief an die Freien!

Und darum fragen wir mit Recht: was wollte er noch bei ihnen? Hatte er ihnen nicht die Ehre angetan, sie einmal als „Welt“ zu nehmen, als höchste Ausgeburt des „denkenden Geistes“, von wo es höchstens noch einen Schritt weiter gab, – um ihnen jetzt plötzlich zu enthüllen: seht, der eine Schritt genügt mir nicht, auch ihr seid noch unendlich weit zurück, auch ihr müßt noch überwunden werden, und ich, Stirner, habe euch überwunden! Seid so gut und packt ein – es gibt keine „Freien“ in eurem Sinne mehr! War es nicht Bruno Bauer, den sie hier alle noch mehr oder weniger als ihr Haupt anerkannten? Nun denn – Bruno Bauer war tot, vom „Einzigen“ entthront, die „Freien“ konnten sich auflösen oder – ein Verein von Egoisten werden.

Trat also wenigstens Stirner jetzt unter sie, setzte ihnen die Sache auch mündlich auseinander, warb dafür, soviel sich dafür werben ließ? O nein, er tut weiter, als wenn nichts vorgefallen wäre . . . Und das ging eben nicht mehr. Und darum sagen wir eben – er hatte hier nichts mehr zu suchen . . .

Ja, wenn er nicht selbst hier einmal die Welt, die reale Welt gesehen und anerkannt hätte, mit der er doch so gern verkehren wollte, mit ihr, als „Aktiver“, in erwachter Sinnenfreude so gern in Konnex geblieben [67] wäre! So sehr lebt das noch in ihm, daß er sie unbeirrt weiter aufsucht, da sie (als Welt, als Leben wohlverstanden) eigentlich gar nicht mehr da ist! Kein Wunder: sie war nicht aufgestanden, hatte sich nicht empfohlen; im selben Augenblick anerkennt er ihre höchste Bedeutung und legt selbst, als einzelner, Hand an sie! Kein Wunder, daß nichts sich rückte, kein Mensch vom Platze aufstand . . . War nicht dieser Bruno Bauer mit Haut und Haaren verspeist? Nun sollte er ihm wohl den Gefallen tun, ihm zum Dank dafür kräftig die Hand zu schütteln?

Es ging nicht an. Bruno Bauer tat, was er tun konnte – –; aber ist nicht Stirner jetzt allen ein Totfremder? – Und da sitzt er und plaudert ruhig mit seinem Nachbar! Man tut, was man tun kann; man ist höflich gegen den Gast . . . Und nie ist zwischen den beiden ein Wort über die Affäre gefallen!

Mancher junge Kerl saß da wohl noch bei Hippel und sah bewundernd auf den Schreiber des Buches . . .; an der Sache konnte das nichts ändern!

Nur die Form des Verkehrs war noch geblieben, der Inhalt in Staub und Asche zersunken . . . Stirner hatte sich den zweiten Absagebrief an die Welt, an seine Welt geschrieben . . .

Sollen wir verraten, an wen noch? An Marie Dähnhardt! Auch sie war ja eine „Freie“. „Frei“ in dem Sinne, wie sie hier alle frei waren, d. h. bis zum Halse noch so in Vorurteilen steckend, wie sie niemals vollzähliger als im „Einzigen“ aufgeschrieben wurden.*)

[68] Wie werden es sogleich zu spüren bekommen. Vorläufig verdient der Vorwurf Marie Dähnhardts, als sei die kurz vor dem Erscheinen des Buches erfolgte Kündigung bei den Fräulein Zepp (ein Jahr lang war Stirner also noch Lehrer geblieben) nur der erste Akt einer jetzt zutage tretenden grenzenlosen Faulheit gewesen, eine nähere Beleuchtung.

Gerade auf Stirner könnten wir Anklagen wegen Trägheit, Faulheit, Liederlichkeit, Leichtsinn usw. ja ruhig sitzen lassen; aber so gern wir’s möchten, es geht nicht. Es stimmt nun einmal nicht.

Bekannte erzählen von seinem „stupenden Fleiße“ eben aus der Zeit nach dem Erscheinen seines Werkes. Es ist gar keine Frage, er wollte den „Ausfall“ wettmachen, wollte die „kleine Hilfe“ auf andere Weise zurückerobern. Und zwar, da er ja einen Verleger hatte, auf dem Gebiet, das nun einmal sein Feld war; der Lehrberuf war’s nicht, die Bücherschreiberei – er hatte ja nur ein Buch zu schreiben gehabt! – ja eigentlich auch nicht: aber sie lag doch am nächsten. Die Zeugnisse dieser Arbeit liegen vor.



Sein Werk hatte ihm eine gediegene Kenntnis der Grundlagen von Staat und Gesellschaft zur Pflicht gemacht, und Nationalökonomie als eben aufstrebende und -blühende Wissenschaft schien ihm am ehesten das Interesse des Lesepublikums zuzuführen. Er bespricht mit Wigand ein großes Unternehmen, das sogleich seine ganze Zeit und Kraft in Anspruch nimmt. Er [69] will – „die Nationalökonomen der Franzosen und Engländer“ in deutscher Übersetzung herausgeben, die Hauptwerke selbst übersetzen und andere zur Mitarbeiterschaft heranziehen. Und was er leistet, und in anerkannter Vorzüglichkeit leistet, ist genau so viel, wie es den Tag anderer vielleicht noch zwei, drei Jahre länger vollständig in Anspruch genommen hätte; er aber vollbringt es in einer Zeit, die genau – die Zeit seiner Ehe mit Marie Dähnhardt ist, und es ist gar nicht möglich, daß er, eben bis 1847, viel vom Schreibtisch weggekommen ist. Und für wen arbeitet er die mühsame, sicherlich wenig innere Freude bereitende Arbeit? „Egoistische“ Arbeit im Sinn der Not – ja, der Lust – schwerlich; denn Schöpferfreude war wenig zu betätigen. Er übersetzt zuerst die vier Bände des „Handbuchs der praktischen politischen Ökonomie“ von Jean Baptiste Say und verspricht „eigene Anmerkungen“, sobald auch der Smith übersetzt wäre; auch dessen vier Bände „Untersuchungen über das Wesen und die Ursachen des Nationalreichtums“ erscheinen jedoch, und – die Anmerkungen fehlen. Dennoch wissen wir, daß mindestens eine Zahl davon wirklich geschrieben wurde; aber, wie es gar nicht anders kommen konnte: ihm, der die gesamten und letzten Grundlagen des Staates überhaupt angegriffen, seine Notwendigkeit selbst so heftig einmal in Frage gestellt hat, muß am Ende die Geduld ausgehen, sich fortwährend gerade nur innerhalb aller schon einmal erschütterten Voraussetzungen zu bewegen. Und so wird denn diese ganze Arbeit, bezeichnend genug, überhaupt nur eine Arbeit des – Fleißes, des Broterwerbs, des „kleinen Zuschusses“: [70] auch so noch immer trefflich genug, um bis heute „unter den existierenden Übersetzungen als beste“ (Mackay) zu gelten.
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