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Ocr-texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 06. 10. 1997


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Die „frische Minute der Zukunft“, in der Stirner den Optimismus mit der Naturbestimmtheit eines jeden wirklich zu versöhnen, ihn, wie Spinoza, nicht bloß äußerlich mit ihr zu verbinden gewußt hat, soll ihm unvergessen bleiben. Wie himmelhoch aber erhebt er sich damit über den seichten und faden Optimismus Feuerbachs, der fortwährend von einer Menschheit, von Menschheitsidealen und Menschheitsvervollkommnung träumt und aus lauter sündhaften, unvollkommenen, verunreinigten Individuen schließlich doch eine Gattung gewinnt, der allein als Glied anzugehören und deren Entwicklung zu dienen die Diener selbst mit innigstem Entzücken erfüllen muß! – Aber Stirner hat freilich in seiner sich durchaus labil, niemals starr verhaltenden Realität, in der beweglichen Identität der Persönlichkeit, die ihr Handeln den Krallen der Konsequenz entreißt, nur die erste Stufe erklommen, die ihn bald noch weiter als über bloße Prinzipien und verschwommene Menschheitsideale hinweg fortreißen soll! Etwa wie unser ganzes Tun und Treiben, unser Wünschen und Handeln, sich de re zum einmal erkannten Determinismus verhält: das wird ihm nun bald Richtschnur und Maßstab überhaupt für jede Beziehung zwischen Denken und Leben, Theorie und Praxis, Erkenntnis und Willen! Und es konnte ja bei diesem Skeptiker nicht ausbleiben: vom „Einzigen“ aus, der nur in festen Begriffen – fixen Ideen, die ihm ein ichloses Ding wie die Sprache übermittelt – soll denken können, vermochte es gar nicht anders zu kommen! Der Namenlose und Unsagbare, der Beruf- [171] und Aufgabenlose, der Labile in jeder Hinsicht: er wird auch zum „Überwahren“. „Ich bin wie übersinnlich so überwahr“ (406).

Aber warum „überwahr“? Meine Natur, die da ist und in einer bestimmten Weise sich äußert – sie ist doch wahr? Sobald ich eine Wahrheit anerkenne, sagt Stirner, und zwar als unumstößliche, durch nichts aus der Zeit zu schaffende – so bin ich ihr Diener, ihr Sklave. Ich aber, der ich auch diese Wahrheit nur selbst gedacht, selbst produziert, als Schöpfer geschaffen habe: ich bin offenbar auch „mehr“ als diese Wahrheit. Aber was bedeutet dieses „Mehr“ – bei Wahrheiten? Nun, ich kann sie wieder zurückziehen, sobald ich sie gedacht habe, in „mich“ zurückholen, also – vernichten. Das kann aber offenbar nichts anderes heißen, als: „ich schlage sie mir aus dem Kopfe“, was man kaum Vernichtung der Wahrheit nennen wird. Es rächt sich gerade hier die unklare Beziehung, die Stirner zwischen dem Ich und der „Person“ gestiftet hat; die Kritik wird das noch näher zu zeigen suchen. So also heißt es zunächst nichts anderes, als: die „Wahrheit“ geht in mich, den leibgeistigen Menschen, wieder zurück, „verschwindet“ dort, und dieser persönliche Mensch beschäftigt sich nun mit etwas anderem. – Wir bemerken jedoch schon hier, daß sich der Terminus „überwahr“ besonders eng an die Polemik gegen die „Neuen“ anschließt, also auch noch gänzlich zu den Voraussetzungen des Ich und seiner Moral geschlagen werden muß – während er als „Ergebnis“, wie bei Stirner selbst, leicht wieder zu Mißverständnissen Anlaß geben könnte. Wir versuchen, ihm daher auch gleich hier von dieser Seite [172] nahezukommen: warum muß der „Einzige“ zugleich der „Überwahre“ sein? Es wird einleuchten, daß Stirner noch immer lediglich die „heiligen“, die „unumstößlichen“ Wahrheiten im Auge hat, die dann doch einmal umgestoßen wurden, die „fixen Ideen“, in deren Dienst die Menschheit seit Jahrtausenden die unglaublichsten Verbrechen am Individuum begangen hat, und deren keine sich doch als so fix erwiesen hat, daß ihr Irrtum nicht wenigstens nach Jahrhunderten ans Licht gekommen wäre: von diesen Wahrheiten, die dich, die Person, wie nur irgend eine sinnliche Begierde mit Haut und Haar verspeisen, besessen machen und zum Sklaven erniedrigen, von diesen Wahrheiten spricht insbesondere auch der Terminus „der Überwahre“. Wenn etwas dagegen innerhalb der bisherigen theoretischen Voraussetzungen gerade auch diesen Sinn anfechtbar machen könnte, so wäre es dies: stellt uns Stirner da seinerseits nicht eine „Aufgabe“, die unter Umständen auf das Naturwidrigste, Ichfremdeste eben hinauslaufen könnte? Es ist das erste „Soll“, das erste „Muß“, das wir hören –: aber manchen würde es um alle Liebe zum Leben bringen! Aufpassen, auf der Hut sein, auf der Lauer liegen, daß uns ja keine Wahrheit am Kragen packt und wir unterliegen! Ich muß der Schöpfer der Wahrheit bleiben, muß der Urteilende bleiben, der Herr: wird einem nicht himmelangst zu Mute? Kann man noch ohne Mißtrauen auch nur Worte wechseln? Das heißt ja fast noch mehr „Beherrschung“ von meiner Natur verlangen, als alle andere zusammengenommen, die uns Stirner mit der Aufgaben- und Beruflosigkeit vom Nacken ge- [173] nommen zu haben schien; oder kennt Stirner nicht die egoistische Lust am Wahren – fühlt er sie etwa selbst nicht? Wollen sich die Wahrheiten „losreißen von Mir und etwas für sich sein, oder gar Mir imponieren, so habe Ich nichts Eiligeres zu tun, als sie in ihr Nichts, d. h. in Mich, den Schöpfer, zurückzunehmen“ (395). Aber wie schmerzlich mag das mein Ich empfinden, bedenkt es Stirner? „Ich darf sie Mir nicht über den Kopf wachsen, darf nicht die Schwachheit haben, etwas ‘Absolutes’ aus ihnen werden zu lassen“ – – (395). Darf? Und – Schwachheit? Schade, nun wollten wir schon an unsere „selbstverständliche“ Natur, an die „Haut, aus der wir nun einmal nicht herauskommen“, glauben . . .

Indes: der „Überwahre“ zeigt am deutlichsten die Brücke bereits vom theoretischen zum praktischen „Ich“ Stirners; lernten wir denn schon hier, daß es gerade dem extremsten Ichpropheten niemals auf Zügellosigkeit ankommen kann! Die Zügellosigkeit gerade begräbt mich, den Schöpfer, den Habenden, den Eigentümer; und unter Wahrheiten werde Ich, ihr Eigentümer, der mehr sein soll als eine Wahrheit, der z. B. mehrere Wahrheiten zugleich in sich umfassen kann, ebenso begraben, verschüttet, vernichtet wie unter Ausschweifung und Begierden! Alles wird mir, dem Ichmenschen, darauf ankommen, die Dinge eben selbst zu besitzen, nicht von ihnen besessen zu werden. Und da sagt Stirner, so gut wie nur ein Goethe: wie besitze ich? Indem ich erwerbe! Ich habe noch keineswegs immer, was ich zu haben glaube: „Eigner“ muß ich werden, aber wirklicher, echter, und nicht durch die Gnade der andern, sondern durch Mich, [174] den Einzigen. Die folgende Moral, die auf diesen Sätzen aufgebaut ist, wird das noch tiefer zur Erkenntnis bringen.

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Ich bin der Eigner auch der Wahrheiten!

Aber ich bin der Eigner nur dessen, worüber ich Macht habe; ich gelte so viel, als ich mir Geltung verschaffe, ich besitze so viel, als ich vermag oder im Vermögen habe (311).

„Gebt dem Menschen die Ehre,“ so sagen sie; „Ich aber denke sie für Mich zu behalten“ (158).

„Ich will nichts Besonderes vor andern haben oder sein, Ich will kein Vorrecht gegen sie beanspruchen, aber – Ich messe mich auch nicht an andern und will überhaupt kein Recht haben. Ich will alles sein und alles haben, was Ich sein und haben kann. Ob andere Ähnliches sind und haben, was kümmert’s Mich? Das gleiche, dasselbe können sie weder sein, noch haben . . . Wenn sie es haben könnten, so hätten sie’s“ (164).

„Die Weltgeschichte ist mit Uns grausam umgegangen, und der Geist hat eine allmächtige Gewalt errungen. Du mußt meine elenden Schuhe achten, die deinen nackten Fuß schützen könnten, mein Salz, wodurch deine Kartoffeln genießbar würden, und meine Prunkkarosse, deren Besitz dir alle Not auf einmal abnähme . . . Wie so bettelhaft wenig ist Uns verblieben, ja, wie so gar nichts! Alles ist entrückt worden, an nichts dürfen Wir Uns wagen, wenn es Uns nicht gegeben wird: Wir leben nur noch von der Gnade des Gebers . . . Und wiederum sollst du keinen Ge- [175] danken fassen, keine Handlung begehen, die ihre Gewähr allein in dir hätten, statt sie von der Sittlichkeit oder der Vernunft oder der Menschlichkeit zu empfangen“ (116). „Sollst du“, „sollen wir“: auf dieses Soll ist unser gesamtes Verhalten, unser Tun und Treiben, ja, selbst unser Denken gestellt; von wem? vom Sittengesetz – einem einmaligen nie endenden „Soll“! Aber warum sollen wir? Wie kannst denn du wissen, was ich – soll? Bin ich nicht einzig? Wird nicht meine Natur ihre Gesetze haben, deine wieder andere, eine dritte wieder die ihren? Etwas, das keinen Leib hat, etwas Spuk- und Schemenhaftes, Worte, die in einer Bibel, einem Kodex usw. usw. vereint stehen und außerhalb ihres Wortseins, wie du weißt, nichts bedeuten, führst du gegen mich, der wirkende, schaffende und zerstörende Kräfte hat und sich wehren wird, wenn ihn jemand binden und verpflichten will, ins Feld? Aber du sagst, mir wurden dafür auch wieder „Rechte“ verliehen; ich genösse die Rechte „des Menschen“, des „Staatsbürgers“, des Tugendhaften, des Loyalen usw.: aber wie kannst denn du wissen, welche Rechte ich für meine Person in Anspruch nehme? Vielleicht will ich den Kontinent in meinen Besitz bringen: wenn ich ein Alexander, ein Napoleon bin – wirst du mich hindern? Vielleicht du, wenn du stärker als selbst Napoleon bist; aber ein geschriebenes Gesetz, ein toter Buchstabe?

Ich bin Eigner auch der Wahrheiten, d. h. sie besitzen mich nicht, sondern ich besitze sie, ich denke sie und löse sie auch wieder auf; daß ich, für mich, diese Macht habe, diese Herrschaft übe, kann mir niemand streitig machen. Aber weil ich, für mich, mit den [176] Wahrheiten dieses unschuldige Vergnügen mir gestatte, nicht so? dafür werde ich es schon bald an den realen, den objektiven Mächten der Welt zu spüren bekommen, wie lang man ungestraft über Wahrheiten triumphiert. Endlich die „realen“ Mächte! Aber – was will ich denn? Zwar, wenn ihr wieder unter ihnen den Staat, die Gesellschaft, die Glaubensgemeinde usw. versteht, das ist wieder nichts Wirkliches, das sind Worte, dergleichen nicht existiert, weil es keinen Leib hat, nicht Person ist! Aber Staat, Gesellschaft, Volk usw. besteht doch wohl aus dir, mir, einem Dritten, Vierten usw. usw., d. h. aus lauter Ichen; da endlich weicht der Spuk, und nun endlich siehst auch du, mit wem ich, du, wir alle es zu tun haben: nicht mit Spuk und Gespenstern, nicht mit Begriffen, die uns nichts anhaben können, sondern immer nur mit einem Nächsten, der uns in die Quere kommt. Werde ich mich ihm gegenüber auf meine angeborenen Menschenrechte berufen, wenn er gerade im Begriff ist, einen Streich nach mir zu führen? O nein, ich werde mich meiner Haut zu wehren suchen und nach keinem göttlichen, christlichen usw., sondern nach meinem natürlichen Gesetz fragen. Eigner bin ich der Wahrheiten, d. h. ich brauche mich vor dem, was sie „allgemeine“ Wahrheit nennen, noch keineswegs zu demütigen, keineswegs macht- und willenlos aufzugeben. Herr bin ich aber freilich nur über das, was ich dann wirklich als „mein eigen“, als mein Eigentum auch zu behaupten imstande bin!



Jetzt scheint es, ich verlange nach Freiheit, die mir so vollständig, so absolut aber natürlich nicht werden kann! – Das Mißverständnis klärt Stirner auf.

[177] Alles Streben der Menschen ging bis auf den heutigen Tag nach Freiheit. Selbst wer ihre schwächliche Gebundenheit sieht, wer sieht, wie sie sich täglich neue Fesseln anlegen lassen und alte, jahrhundertelang geheiligte wie natürliche mit sich herumschleppen – den ewigen Freiheitsdrang der Menschen wird kein Vernünftiger leugnen. Von Zeit zu Zeit bricht so etwas im einzelnen durch, wie etwa, wenn der Sklave seinen Herrn erschlägt, oder aber als Revolution oder Revolutiönchen ergreift er auch einmal ein ganzes Volk, es steht gegen seinen Gebieter auf, schüttelt das alte Joch vom Nacken, um sich – sofort wieder ein neues, ein verändertes, aufhalsen zu lassen. Alles bisherige Freiheitsstreben lief nur auf eine bestimmte Freiheit hinaus, man wollte frei werden „von etwas“, was einschloß, daß man keineswegs die ganze Freiheit haben wollte. Die ganze Freiheit wäre über das, was noch Freiheit heißen könnte, strenggenommen hinaus und bliebe im übrigen auch notgedrungen – Phrase, denn fielen selbst alle äußeren Fesseln, so hinge man doch immer noch vom inneren Naturgesetz ab: an der Luft z. B. ist der Fisch verloren. Dies alles beweist, daß dem Begriff der Freiheit bis jetzt wesentliche Unklarheiten anhafteten, mit deren Aufhellung zugleich ein anderes, wertvolleres Interesse, das dem früheren höchstens verwandt, keineswegs mit ihm identisch ist, als Bindeglied zwischen Ideal und Wirklichkeit in den Mittelpunkt gerückt wird. Dasselbe springt in die Augen, wenn wir einmal statt der Frage „frei – wovon?“ die Frage: „frei – wozu?“ an uns richten. Die Frage „wovon“ streift lediglich die Oberfläche der ganzen Frage, die zu stellen ist: daher [178] die tausendfache Uneinigkeit der Antworten, die wir sogleich zu hören bekommen und die so recht bekunden, daß niemand über das unzweideutige und einzig mögliche Ziel sich vorher genügend Rechenschaft gegeben hat. Da will der eine Freiheit vom Glauben, der andere von der Kirche, der dritte vom Preßzwang – ja, der vierte will gerade von allem Entgegengesetzten frei sein: alle haben sie je für sich ein begrenztes persönliches Interesse – aber dieses in seiner Ganzheit zum Ausgangs- und Mittelpunkt zu machen, das wagen sie nicht, sondern sie feilschen um „Brocken“, um „Freiheitsstückchen“. Erst wer die Frage „wozu frei?“ sich stellt, der wird auch der Besinnung auf den, der eigentlich frei sein will, nicht länger ermangeln. Will etwa ein Volk, ein Verein, eine Gesellschaft usw. frei werden – oder hat nicht lediglich immer der einzelne, das Ich, ein tatsächliches Interesse an seinem Freisein? Wer das bedenkt, der wird nicht fürder mehr Volks- oder Vaterlandsfreiheit und dergleichen, sondern vollbewußt (wie unbewußt und unvollkommen schon stets) seine Freiheit in den Mittelpunkt stellen, wird über das wahre und einzige Ziel dann auch länger nicht im Zweifel sein: das Ich kann nur frei zu werden wünschen von allem, was – nicht sein Ich ist, was sein einzelnes Ich in seiner Ganzheit und Eigenheit behindert. Frei – wozu? das kann nur ergeben: „um Meiner als des Einzigen froh zu werden“, um mich meiner Eigenheit zu erfreuen.

Hier ist der Punkt, wo das Wesen der alten „Freiheit“ sich als halb und unvollkommen herausstellt und ganz in den Begriff der Eigenheit umschlagen muß. Die Eigenheit ist weit davon entfernt, die verschwom- [179] mene „absolute Freiheit“ zu sein; ein Felsen, der mir im Wege steht, zwingt mich, einen Umweg zu machen, um ihn herumzugehen: aber er zwingt mich auch nur so lange, als ich nicht Pulver genug habe, ihn zu sprengen! Meine Eigenheit reicht so weit, als meine – Macht reicht (195). „Der Eigene ist der geborene Freie, der Freie von Haus aus; der Freie dagegen nur der Freiheitssüchtige, der Träumer und Schwärmer“ (193). Freiheit kann mir niemand geben; wer sie mir dennoch gibt, ist ein Schelm, der mehr gibt, als er hat; die Freiheit muß ich mir nehmen, und sie wird dadurch meine Eigenheit. „Die ‘Freiheit’ weckt Euren Grimm gegen alles, was Ihr nicht seid; der ‘Egoismus’ ruft Euch zur Freude über Euch selbst, zum Selbstgenusse; die ‘Freiheit’ ist und bleibt eine Sehnsucht, ein romantischer Klagelaut, eine christliche Hoffnung auf Jenseitigkeit und Zukunft; die ‘Eigenheit’ ist eine Wirklichkeit, die von selbst gerade so viel Unfreiheit beseitigt, als Euch hinderlich den eigenen Weg versperrt“ (193). „Von selbst“: unsere Natur will Ich sein – damit verliert die Eigenheit das signum, bloß eins meiner zufälligen Momente auszudrücken.

Das Macht-, Kraft-, Gewaltsein ist weit davon entfernt: Gewalt-, Kraft-, Macht-Gelüst zu sein! Das Gelüst wäre Sehnsucht, Sucht, Aufgeben also des Ich; das Machtsein ist die natürliche Selbstbehauptung des Ich, das sich nur von einschneidenden Stricken freizumachen sucht. „Die Eigenheit ist nur eine Beschreibung des – Eigners“ (201). Wir sahen schon, daß der Eigner u. a. „Besitzer“ von Wahrheiten ist, aber einen natürlichen Widerwillen hegt, von ihnen besessen zu werden. Hier läuft dieser Widerwille weiter und [180] wehrt sich überhaupt gegen alles, was Nicht-Ich ist, zumal was als Abstraktion, Versteinerung eines fremden Willens von mir Respekt, Gehorsam und Anerkennung verlangt, die ein wirklich-Eigener immer als Unnatur, als gegen sein Wesen gerichtet empfinden wird. Eigenheit ist immer schon verwirklichte Freiheit, die nicht ausschließt, daß ich, soweit ich eben nicht mächtig genug, noch äußerlich Sklave bin! In diesem Sinne sagt Stirner: „Ich habe gegen die Freiheit nichts einzuwenden, aber ich wünsche dir mehr als Freiheit“ (184).

Wie steht es nun mit dem positiven Recht, mit dem Staat, mit der Humanität, mit dem Sittengesetz – wie steht es nun im Hinblick auf all diese meine Vorgesetzten, Gesetzgeber meines Ich, Befehlshaber meiner Natur, Richter über meine Vollkommenheit und Unvollkommenheit? Ich kann sie offenbar nur gelten lassen, soweit sie mein eigener Nutzen sind, sich als Nutzen Meiner auch nur geben wollen und meiner Eigenheit nicht in den Weg treten. Tun sie es, so muß ich sie wie jenen Felsen wegzuräumen streben, oder auf die billigste Weise mit dem Stärkeren mich zu einigen suchen. Als dieser Stärkere pflegt uns freilich bisher immer noch dergleichen Schreckgespenst wie „Volk“, „Gesamtheit“, „Allgemeinheit“ einzuschüchtern; aber hielte jeder einzelne auf sich, dächte seine Eigenheit sich zu erhalten, so würde es sich in der Tat nur immer um einen Kampf des Ich mit dem Ich handeln und damit zugleich dann eine viel natürlichere und gerechtere Basis für die Möglichkeit individueller Selbstbehauptung geschaffen werden, da der wirklich erdrückendste Kampf gegen das Individuum gerade erst von seiten [181] der Autorität, der „Körperlosigkeit“ geführt wird. „Stehen hinter dir zum Schutze noch einige Millionen, so seid Ihr eine imposante Macht und werdet einen leichten Sieg haben. Aber wenn Ihr dem Gegner auch als Macht imponiert, eine geheiligte Autorität seid Ihr darum doch nicht“ (229).

Aber ist denn das Individuum in den „gesetzlich-natürlichen Verhältnissen“ überhaupt bedroht? – Das ist es ja eben, sagt Stirner, man will sich durchaus einreden, es sei nicht bedroht, von einem Gegensatz gar nicht die Rede, und Worte wie Recht, Staat, heiliges Eigentum usw. seien Begriffe, die mit meinem Ich sich ohne weiteres im Einklang befänden. Im Gegenteil enthalten sie ihrem Wortsinn nach schon sämtlich Einsprüche, Gespanntheiten gegen mich, die Person. Recht und Eigentum gibt es nur in einem Staate, einer Gesellschaft; der Staat berechtigt oder verbietet. Will nun der Staat als Staat existieren, so kann er gar nicht anders, als meinen persönlichen Willen zu unterbinden. Täte er’s nicht, er gäbe sich selbst auf, wäre gar kein Staat mehr. Törichte, alberne Bewilligungen, die man vom Staat erbittet: er gewährt sie dir, soweit er sich nicht gefährdet. Er wacht stets über dir, wie die Katze über der Maus, die von ihr noch eine Weile freigegeben wird: wehe wenn sie ihr ganz zu entwischen versuchte! Wenn du Preßfreiheit erbittest, machst du dir auch nur klar, was du von ihm haben willst? Der Staat soll dir bewilligen, daß du z. B. seinen Umsturz predigst; er wäre ein Narr. Es bleibt dir in solchem Falle gar nichts anderes übrig: du mußt dir zu nehmen verstehen, was er nicht gibt. Ist ein Staat, so ist er [182] eo ipso souverän, absolut, und du bist sein Knecht; du kannst nur eins von beiden: dieser Knecht sein oder überhaupt den Staat nicht wollen. Ohne es auch nur zu beabsichtigen, bist du, als Ich, in dieser Eigenschaft des Ichseins bereits der „nie aufhörende Verbrecher im Staate“ (233); und so behandelt dich auch der Staat – mit Recht! –, indem er dir z. B. als Person von vornherein nicht traut, sondern durch den Eid dich erst bindet, indem er unaufhörlich auf dich acht hat, ob du auch nichts gegen ihn im Schilde führst usf. Wie der Staat aber, so jede Gesellschaft, und so auch die Religion und so die Moral. Freieres Christentum – was wäre das? Das Christentum kann sich nicht selbst aufgeben und seine Dogmen wegwerfen; vielleicht aber wirfst du alle Dogmen über Bord – dann bist du eben kein Christ mehr! Und wie starr und unerbittlich das Sittengesetz ist und mit dir, als einem Ich, sich auf keine Kompromisse einläßt, das kannst du erfahren. Wage es nur, so heilige Begriffe wie Vaterland, Ehe, Familie, Liebe usw. einmal anzutasten – du wirst sehr viel von dem „liebet eure Feinde“ zu spüren bekommen!

Was tun? Das Ich ist eingeschnürt, in Banden, in Stricken – starre Begriffe vermögen keine Rücksicht auf das Ich zu nehmen, es muß selbst diese Rücksicht mit sich haben. „Wenn jemand mich zu etwas berechtigen kann, so werde doch wohl ich selbst der Nächste dazu sein.“ „Ich leite alles Recht und alle Berechtigung aus Mir her; Ich bin zu allem berechtigt, dessen Ich mächtig bin. Ich bin berechtigt, Zeus, Jehova, Gott usw. zu stürzen, wenn Ich’s kann; kann Ich’s nicht, so werden diese Götter stets gegen [183] Mich im Rechte sein“ (221). Die Ergänzung dazu lautet aber nun so: „Ich bin nur zu dem nicht berechtigt, was Ich nicht mit freiem Mute tue, d. h. wozu Ich Mich nicht berechtige“ (221): denn hier zeigt eine Ängstlichkeit, ein gewisses Schwanken, eine Geteiltheit an, daß ich mir eben nicht ganz gehöre und also auch nicht ganz aus mir heraus ein Handelnder bin. „Recht“ ist immer ein fremdes, ein gegebenes: weil ich selbst aber nur dieser Gebende sein kann, so erkenne ich auch keine „angeborenen“ Rechte an – ich muß sie mir durchaus erst erwerben, erschaffen, als Person nämlich, die schon etwas „vermag“. Es war nur ein krasseres Hervortreten der angeborenen Rechtlosigkeit, daß die Alten ihre Neugeborenen töten zu dürfen glaubten; das Kind hatte die Macht, folglich das Recht nicht, zu leben. Der Erwachsene dagegen kann bereits Kind seiner eigenen Schöpfung sein, vermag als bewußtes Ich sich zu behaupten (224); tut er’s nicht, so geschieht ihm recht, wenn man ihm seine „Rechte“ verkürzt, wie derjenige Sohn allezeit unmündig zu sein verdient, der nicht mündig werden will. Unbestritten haben kann ich nie ein Recht, ich kann es nur zu erwerben und zu behaupten wissen: beides einzig durch mein Kraftsein oder „Vermögen“. „Nicht mein Recht wahre ich, sondern mich!“ Der „Krieg Aller gegen Alle“ hat, wie wir oben sahen, schon die weniger gespenstische Form einzelner Ichkämpfe angenommen; ob nun selbst diese nach Stirners Voraussetzungen die notwendige Perspektive bilden müssen, dürfte bei tiefergedrungenem Ichbewußtsein dagegen noch eine Frage sein. „Du hast als Einziger (im Grunde) nichts Gemeinsames mehr mit dem Andern [184] und darum auch nichts Trennendes oder Feindliches; der Gegensatz verschwindet in der vollkommenen Geschiedenheit oder – Einzigkeit“ (243) Wie so vieler anderer Begriffe, so sind leider die Menschen auch „des Gedankens ‘Recht’, den sie selber erschufen, nicht wieder Meister geworden: die Kreatur geht mit ihnen durch. Das ist das absolute Recht, das von Mir absolvierte oder abgelöste . . . Laß das Recht einmal nicht mehr frei umherlaufen, zieh es in seinen Ursprung, in dich, zurück, so ist es dein Recht, und recht ist, was dir recht ist“ (240).



Das „heilige“, das abstrakte Recht kann mir nun natürlich auch kein Eigentum im Sinne des starren, fixen, unverletzlichen verleihen; was soll es heißen, ich habe fremdes Eigentum zu respektieren? Eigentum Meiner ist dasjenige, worüber ich Macht habe und soviel ich zu behaupten vermag (292, 311). Im großen wird es klar und denkt niemand daran, von Diebstahl zu sprechen. Was etwa Rom einmal vor tausend Jahren besessen hat und was es heute nicht besitzt – das ist sein Eigentum darum nicht, weil es nicht mächtig genug gewesen ist, seinen Besitz zu behaupten; aber niemand hat darum Rom etwas gestohlen. Ich kann überhaupt strenggenommen keine Sache besitzen: im Besitz bin ich meiner Kraft, sie zu erlangen, zu halten, zu verteidigen – niemals der Sache als solcher. Hätte der Baum, den ich jetzt „mein Eigentum“ nenne, eigene Selbstbestimmung, so würde er streben, sich von mir zu befreien. Tiere haben wir offenkundig nur darum für rechtlos erklärt, weil wir merkten, daß wir mächtiger als sie zu sein vermöchten. Zwar hat der Dieb, der im Ge- [185] fühl seines „Unrechts“ mit Lebensgefahr dem Gelüst nach „fremdem Gut“ nachgibt, im anderen Sinne sein Ich verloren, seine Eigenheit weggeworfen. „Schämst du dich nicht,“ so würde er vom Egoisten angeredet werden, „daß du ihre Gesetze des Umgehens, ihre Güter des Verlangens wert gehalten hast?“ Und „er wird sich schämen, daß er Euch mitsamt dem Eurigen nicht – verachtete, daß er zu wenig Egoist war“ (236). Das Eigentumsrecht hat selbst seine innere Absurdität schon in der ironischen Wahrheit enthüllt, daß man die kleinen Diebe hängt, die großen aber laufen läßt. Ist es nicht so? Wer sich an der Kasse des Bankiers vergreift, heißt Räuber; wer aber gleich, wie Napoleon, ganz Europa in die Tasche steckt, ist ein Eigentümer, Besitzer und Herr von Europa. Ganz mit Recht! „Kräftige Menschen haben’s von jeher so gemacht. Hatten die ‘Ergebenen’ eine unbezwungene Macht zu ihrer Herrin erhoben und angebetet, hatten sie Anbetung von allen verlangt, so kam ein solcher Natursohn, der sich nicht ergeben wollte, und jagte die angebetete Macht aus ihrem unersteiglichen Olymp“ (196).
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