Ana səhifə

Ein Essay über den Aussatz


Yüklə 0.97 Mb.
səhifə31/35
tarix25.06.2016
ölçüsü0.97 Mb.
1   ...   27   28   29   30   31   32   33   34   35

Hier fällt mir noch ein, daß es zu den fünf äußeren Sinnen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten) noch einen sechsten, inneren Sinn giebt, das ist der Gleichgewichtssinn (mit dem so genannten Labyrinth als Organ, das dem inneren Ohr benachbart ist). Er dient der Orientierung im Raum und arbeitet aufs Engste mit den „Muskelspindeln“ zusammen, die Auskunft über die Lage der Glieder an das Zentralorgan melden, Voraussetzung jeder Bewegung. Im weiteren Sinn ist er das Gefühl für unsere Situation in der Welt, und nur wenn es stimmig ist (mit der Wirklichkeit übereinstimmt), kommen wir in ihr voran. Die Bewußtwerdung des Fleisches ist im Übrigen ganz wörtlich zu nehmen, wir müssen uns unserer Verkrüppelung bewußt werden, besonders beim Gehen – und bewußt Pendeln und Wippen und Wiegen und Hüpfen dabei von den Zehen über die Fersen und Knie bis in die Hüften hinein und das Becken, die Wirbelsäule hinauf bis zum Haupt und aus den Schultern heraus über die Ellbogen bis in die Finger. Oh Schönheit und Eros des Gehens, welche Erleichterung und Befreiung es schenkt! Die Flügel des Geistes wollen beseelt den ganzen Leib mit erfassen, wo aber nicht, da wütet der Irrsinn in einem täglich aufs Neue gekränkten und gepeinigten Körper, denn Ruach, Näfäsch und Gwijah, Pneuma, Psychä und Soma, Geist, Seele und Leib, sie sind Eins.

ZWEITER BAND

VORWORT
Der erste Teil dieser Schrift über den „Aussatz“ ist im Sommer 2000 entstanden. Damals hatte ich noch ein Auto und fuhr zum ersten Mal in meinem Leben nach Böhmen, also über die Grenze, die für einige Zeit „Eiserner Vorhang“ genannt worden ist. Von Reisen zu Verwandten nach Dresden war er mir seit meiner Kindheit bekannt und unheimlich, aber nach Böhmen zu fahren, in ein Land, wo weder Juden noch Deutsche mehr wohnten, das war doch noch etwas anderes. Auf einem Ferienlager hatte ich im Alter von etwa zehn Jahren das Niemandsland zwischen Bayern und Böhmen gesehen, und der Riß, der mitten durch den Bahnhof von Bayrisch-Eisenstein ging, berührte mich nachhaltig seltsam. Und noch mit 52 (im Sommer 2000) hatte ich Angst, diese Grenze direkt zu passieren, und beschlossen, mich ihr von Österreich her, vom Mühlviertel, also vom Süden zu nähern. Ich konnte auf der anderen Seite des Flusses Ruinen von Kirchen erkennen, zu denen keine Dörfer mehr gehörten, weil man sie ausradiert hatte, der Streifen Land war militärisches Sperrgebiet der „Kommunisten“ gewesen. In meinem Quartier lernte ich ein altes Ehepaar kennen, es waren Vertriebene von der anderen Seite, und sie erzählten mir Horror-Geschichten.

Dort fing ich mit der Niederschrift an dieses Essay, und nachdem ich drei Tage lang den Grenzfluß auf- und abgeschritten war, den man hätte durchwaten können, faßte ich mir ein Herz und fuhr über die Grenze. Und in Böhmen war es für mich so, als hätte ich endlich das goldene Herz von Europa wieder entdeckt, ja ich fühlte mich wie der König von Böhmen, der nach Jahrhunderte langer Verbannung wieder sein Land sieht. Und obwohl es genauso herunter gekommen ist wie er selbst, schimmert es doch aus dem Staub und dem Elend golden hervor. Mehrmals war ich noch zwischen Mühl- und Waldviertel und Südböhmen gependelt, bis ich mich ganz hinein wagte und dann die Rückfahrt direkt nach Bayern antrat, mit dem Manuskript des ersten Teils im Gepäck, das ich aber drei Jahre lang nicht mehr anschaute.

Der Grund war eine zwar in Franken geborene Frau, deren Eltern aber beide Vertriebene waren (der Vater aus Karlsbad, die Mutter aus Jägerndorf), sie traf ich kurz nach meiner Rückkehr, und mit ihr zusammen fuhr ich noch in demselben Sommer ein zweites Mal in das östliche Nachbarland, das so nah liegt und in dem sie doch nie zuvor war, weil sie immer nur nach Westen gereist ist. Ich fuhr sie über Passau und durch das Mühlviertel hinüber, und von Südböhmen aus ging es weiter nach Mähren, dann nordwärts in das ehemals österreichisch gebliebene Schlesien. Wir machten von dort einen Abstecher nach Ratibor, Polen, und fuhren heimwärts durch Nordböhmen, es war wie ein Traum. Sie stieß in mir die Idee an, die ich in dem nach der Rückkehr geschriebenen Buch „Entwurf einer Astrologie für das Wassermann-Äon“ ausgeführt habe, ich legte also den „Aussatz“ beiseite, in der Meinung, mich ihm bald wieder widmen zu dürfen. Es kam aber anders, und in den Turbulenzen der Trennung suchte ich Halt in meiner Schrift von den hebräischen Zeichen. Ich hatte sie für druckreif gehalten, mußte nun aber merken, daß sie noch alles andere als das war, und so unterzog ich sie einer gründlichen „Überarbeitung“, wofür mir das Wort Umschmelzung viel treffender scheint.

Der Sommer 2001 sah mich auf der Insel Sumatra, auf der malayischen Halbinsel und im Süden von Thailand. Auf dieser Reise war ich alleine und hatte absichtlich nichts zum Schreiben dabei wie auf den einsamen Reisen zuvor. Nur eine hebräische Bibel in kleinem und feinem Format war meine Begleitung, und zwischendurch las ich sie mir laut vor, den Malayen, die zufällig zu Zeugen wurden, gefiel das. Und dabei machte ich die Entdeckung, daß der Name Jehowuah, der im ersten Schöpfungsbericht noch nicht vorkommt (dort ist nur von Älohim die Rede), im zweiten jedoch durchgehend in der Verbindung Jehowuah Älohim auftritt, danach für sehr lange Zeit immer nur allein und getrennt von Älohim agiert. Die Trennung von Jehowuah und Älohim setzt ein in der Rede der Chawah (Eva), als sie nach der Geburt von Kajn die Worte ausspricht: Kanithi Isch Ath Jehowuah – „Erworben habe ich mir einen Mann als Du-Wunder des Herrn“ (Gen. 4,1). Kajn hat es nur zu tun mit dem „Herrn“, und Älohim taucht erst wieder auf, als seine Linie erloschen ist -- und abermals in der Rede der Chawah: Ki schoth li Alöhim Sära thachath Häwäl ki harago Kajn – „trotzdem hat mir die Göttin des Meeres Samen bereitet anstatt von Abel (unterhalb der Verwesung), trotzdem Kajn ihn erschlug“ (Gen. 4, 25).

Dieser Samen heißt Scheth (300-400), und da kann der Kajn soviel erschlagen wie er nur will, ihn kann er nicht treffen, denn er ist die Einheit des kommenden Mannes mit der kommenden Frau. Aber trotzdem geht seit diesen beiden Reden der Urmutter Chawah ein Riß durch Jehowuah und Älohim, sie hat sie getrennt in ihren Söhnen Kajn und Scheth (bei Häwäl hat sie geschwiegen). Ihre Sünde, den Erstgeborenen aus ihrem Schoße schon als Säugling einen Mann zu nennen namens Kajn, Lanze, Spieß, die hat der „Herr“ auf sich genommen, so wie er alle Sünden der Welt auf sich nimmt, und Älohim, die „Götter“ (oder die „Göttin des Meeres“) können souverän und scheinbar unberührt davon wie immer an neue Weltentwürfe denken, die aber den Haken haben, Zukunft, die nie ankommt, zu bleiben.

Das ganze erste „Buch Moses“ hindurch stehen Jehowuah und Älohim dann als Getrennte, die manches Mal scheinbar gleichsinnig handeln, doch öfters sich widersprechend. Und erst im zweiten „Buch Moses“ treten sie, die die ganze zweite Schöpfungsgeschichte gemeinsam erlebten, wieder zusammen, und dies ist natürlich eine besonders wichtige Stelle. Sie widerfährt dem aus der Hochkultur Ägypten entlaufenen Mörder Moschäh, der Zuflucht jenseits der Grenzen bei den Nomaden gesucht hat – ähnlich wie früher sein Ahne Awram (der später zu Awraham wurde). Den hatte eine innere Stimme verlockt, aus der Hochkultur der Sumerer wegzuziehen und wieder Nomade zu werden, bei Moschäh jedoch, der schon als Säugling dem Strom ausgesetzt wurde und von der Tochter des Farao adoptiert wie ein Prinz heranwuchs, war es ein Totschlag gewesen, der ihn auf diesen Weg gebracht hatte. Und als er zum Hirten geworden jetzt einmal seiner Herde bis über die Wüste hinaus folgt, da kommt er zum Berge der Götter (Har ha´Älohim), genannt Chorew, Schwert und Austrocknung. Hier sieht er den Boten des „Herrn“ in der Mitte der Flamme des Feuers, das im „Dornbusch“ brennt und ihn doch nicht verzehrt. Da weicht er von seinem Weg ab, um dieses Wunder aus der Nähe zu sehen, und hört sich von einer Stimme aus dem Feuer bei seinem Namen gerufen.

Hier sind Jehowuah und Älohim einander ganz nah, denn es heißt: wajare Jehowuah ki ssor lir´oth wajikro elajo Älohim miThoch haSsnäh wajomär Moschäh Moschäh – „und es sah Jehowuah, daß er abwich, um zu sehen, und es rief Älohim aus der Mitte des Dornbuschs, und er sprach: Moschäh, Moschäh!“ (Ex. 3,4) Das Sehen von Jehowuah und das Rufen von Älohim sind gleichzeitig da, und so hört er seinen Namen von beiden, darum erklingt er zweimal. Dann aber scheint Älohim alleine weiter zu sprechen, er gibt sich als der Gott seiner Väter Awraham, Jizchak und Ja´akow zu erkennen, aber Moschäh verhüllt aus Angst vor ihm sein Gesicht und bestimmt auch sein Gehör. Und da hört er die Stimme von Jehowuah in seinem eigenen Inneren, und sie sagt: "Sehend sah ich das Elend meines Volkes, seelig eingesperrt zu sein in Gestalten, und ich hörte ihre Schreie vor dem Gesicht ihrer Antreiber, denn ihre Schmerzen, mir sind sie bekannt“ (Ex. 3,7).

Und Jehowuah allein enthüllt ihm da seinen Auftrag, doch Moschäh versucht, ihn abzuwehren mit den Worten: „Und sie werden mir nicht glauben und nicht hinein hören in meine Stimme, sondern sagen: dir ist der Herr nicht erschienen“ (Ex. 4,1). Ich zitiere weiter im Text, denn dies ist das Vorspiel zur ersten Wiedervereinigung von Jehowuah und Älohim: „Und es sagte zu ihm Jehowuah, der Herr: was ist das da in deiner Hand? Und er sagte: ein Stab. Und er sagte: Wirf ihn von dir weg auf die Erde. Und er warf ihn von sich weg auf die Erde, und er wurde zur Schlange, und Moschäh entfloh vor ihrem Antlitz. Und es sagte Jehowuah zu Moschäh: Strecke deine Hand aus und pack sie am Schwanz. Und er streckte seine Hand aus, und er griff in sie, und sie wurde zum Stab in seiner Hand“. Und jetzt kommt es: lema´on ja´aminu ki nir´oh elejcho Jehowuah Älohej Awotham Älohej Awrahom Älohej Jizchok w´Älohej Ja´akow – „damit sie glauben, daß sich dir der Herr, der Gott ihrer Väter, gezeigt hat, der Gott von Awraham, der Gott von Jizchak und der Gott von Ja´akow“.



Hier steht Jehowuah mit Elah-Jam (Älohim) zusammen, mit der „Göttin des Meeres“, die aber, weil auch sie nicht allein steht, die Sfäre des Meers übersteigt und Elahaj wird, „meine Göttin“, was sich auf Jehowuah beziehen kann, der dieser seiner Göttin dann viermal begegnet: als Elahaj Aw-Tham – „meine Göttin, der Vater vollkommen“ – Elahaj Awarhem – „meine Göttin, ihre (der Männer) Schwingen“ – Elahaj Jizchak – „meine Göttin, er lacht“ – und Elahaj Ja´akow – „meine Göttin, er ist krumm“. Es ist eine andere als die uns alltägliche Sfäre, wo Dornbüsche brennen und doch nicht verbrennen, wo sich Stäbe in Schlangen verwandeln und Schlangen in Stäbe, und wo sich Ja´akow krumm lacht. Und noch nicht andauernd können wir uns aufhalten in ihr, so daß später wiederum Jehowuah und Älohim getrennt und einzeln auftreten. Die Weisung zum „Aussatz“ ist eine Rede von Jehowuah allein, und nicht nur sie, sondern weite Teile des zweiten, das ganze dritte „Buch Moses“ und fast das ganze vierte hindurch sind so beschaffen. Im vierten wird die Rede des „Herrn“, die meistens an Moschäh gerichtet ist und nur selten an Moschäh und Aharon, nur unterbrochen von des Volkes Siegesgesang und den Händeln des Bil´om, des Verwirrers des Volkes, die Rede des Moschäh im fünften „Buch Moses“ aber beginnt mit den Worten: Jehowuah Älohejnu – „er ist das Wesen des Werdens und Seins unserer Göttin (er ist das Unglück unserer Götter)“.
Als ich von Südostasien zurückkam, ereignete sich jener Vorfall, der George Bush junior dazu veranlaßte, seinen „Kreuzzug gegen das Böse“ zu eröffnen, was in mir wiederum den Impuls hervorrief, diese Schlange beim Schwanze zu packen. Und ich trug meine Anschauung der Dinge öffentlich vor. Daraus entwickelte sich nachher mein Beitrag „Zur Geschichte der Juden“ seit ihren Anfängen bis heute, der erst später veröffentlicht wurde. Schon auf der Fahrt von Olmütz nordwärts im Sommer 2000 hatte ich die Gebirgskette der Beskiden in der Ferne gesehen, und eine starke Anziehungskraft ging von ihr auf mich aus. Und im Sommer 2002 fuhr ich mit der Eisenbahn über Dresden nach Görlitz, wo ich übernachtete und den Abend am Flusse zubrachte. Dort drüben ist also jetzt Polen, ein Land, in dem es wie in Böhmen und Mähren, keine Juden und keine Deutschen mehr gibt. Und zu den Polacken willst du hinüber? Es gruselte mich fast noch mehr als zwei Jahre vorher am Grenzfluß, und doch ging die Fahrt am anderen Morgen reibungslos ab bis nach Breslau. In Schlonsk (Schlesien) hielt ich mich nicht lange auf, ich empfand es als furchtbar zerrissen, und es zog mich ja, wie schon gesagt, zu den Beskiden. Ich hatte nur einen kleinen Umweg gemacht, um das Land meiner Namens-Väter zu sehen. Aber erst ab Krakau fühlte ich mich wie in meiner wirklichen Heimat, und dieses Gefühl hielt die ganze Zeit an bis nach Pschemischl, nahe der Grenze, die von Hitler und Stalin gezogen wurde und noch immer besteht. Sie zertrennt Galizien in einen westlichen Teil (mit Krakau als Zentrum) und in einen östlichen (mit dem alten Lemberg als Zentrum, das von den Polen Lwuff und von den Ukrainern Lwiff genannt wird). Ich fühlte mich so sehr als Pole, daß ich ohne den Gedanken an ein Visum in den Bus von Pschemischl nach Lwuff stieg, um dann zwar von den Polen heraus, von den Ukrainern aber nicht herein gelassen zu werden.

Auf dem schneller als vorher gesehenen Rückweg besuchte ich Auschwitz, das ich auf dem Hinweg gemieden hatte. Auf dieser ganzen Reise mußte ich hinken wie Ja´akow hinkte, und noch eine Zeitlang hier in Ansbach, wo im Spätsommer dann der „Kaspar Hauser“ gerufene Mensch mich ergriff. Auch ihn hatte ich wie Auschwitz von wegen dem Rummel eher gemieden, aber inwischen war ich so weit, die „Zeichen der Hebräer“ nicht nur in der Thorah zu lesen, sondern in meinem eigenen Leben und auch in der Zeitwelt um mich herum. In dem darauf folgenden Winter fiel mir wie eine köstliche Frucht aus dem Baum meiner Werke die Lilith in den Schoß, und ich war von dem, was danach auf mich zukam, nur halb so erschreckt wie ich es gewesen wäre, wenn sie mich nicht besucht hätte. Im Frühjahr 2003 wurde ich von der örtlichen Presse zweimal wegen meines Einsatzes für den Findling zerrissen, und zwar auf äußerst niederträchtige Art. Der Gipfel der Verleumdung war die Behauptung, ich würde „theologische Gehirnwäsche“ betreiben und meine Verfassung sei der „Manie“ nahe befindlich. Nachdem sich auch eine bis heute noch nicht endende Reihe von so genannten „Bekannten“ von mir abwandte, war ich froh, erneut nach Osten zu pilgern. Dieses Mal hatte ich ein ordentliches Visum für die Ukraine dabei und fuhr nach einer sehr schönen Wanderung durch die Kleinen Karpaten über Poprad, Presov, Sanok, Pschemischl nach Lwuff – wieder im Bus, wie im Jahre zuvor.

Auf die Reise nach Polen im vorigen Sommer hatte ich gar nichts mit mir zum Schreiben und Lesen genommen, und dieses Jahr, schon gefaßt darauf, daß es keine Vergnügunsfahrt würde, hatte ich mir das 13. und 14. Kapitel des dritten „Buch“ Moses kopiert, und schon in der Slowakei fing ich an, die Verse par coeur zu erlernen und sie im Gehen zu deklamieren. Das war das erste Mal, daß ich so etwas in einer Fremdsprache tat, und etliche Jahre waren vergangen, seit ich Hymnen und Elegien von Hölderlin par coeur gelernt hatte und sie öffentlich vortrug. Damals erhielt ich sehr gute Kritiken von der örtlichen Presse (es waren auch meisterhafte Glanzstücke), aber nachdem ich mit meiner Arbeit zur Thorah auftrat, entzog sich mir das Wohlwollen. Ich wurde jahrelang total ignoriert, ich konnte auf die Bühne bringen, was ich nur wollte, für die Zeitung eksistierte ich nicht. Auch auf meinen Kaspar Hauser vom Herbst 2002 wurde nicht reagiert, so daß ich die Bande dann nötigen mußte, indem ich in den Kammerspielen auftrat, wo jede Veranstaltung besprochen wird. Und eigentlich war mir ja schon bekannt, daß nach der Ignoranz die Verhöhnung einsetzt als Strafe dafür, daß die Ignoranz nicht mehr funktioniert, aber ich wollte es auch am eigenen Leibe erfahren. Denn diese Erfahrung zwang mich dazu, nach einem Gegengifte zu fahnden, und das eben war meine Reise nach Ostgalizien und von dort aus ans Schwarze Meer, nach Odessa, auf die Halbinsel Krim und nach Bessarabien, zur Mündung der Donau.

Genau dort konnte ich dann nach fast zwei Monaten den Text fehlerfrei sprechen, als Publikum hatte ich nur ein paar Tiere und gelegentlich einen Menschen, der am Wegesrand schlief und den ich nicht vermuten konnte, aber nie traf mich ein höhnendes oder verächtliches Wort. Mein Vorgehen hatte mehrfache Wirkung, es verhalf mir dazu, angesichts des dort herrschenden Elends die innere Fassung zu wahren und unter dem tiefschwarzen Ruß der mehrfach verbrannten Seele des Landes sein immer noch glühendes Goldenes Herz zu erspüren. Dann glaubte ich auch, in Resonanz mit den Juden zu kommen, die Jahrhunderte lang darin gelebt hatten. Von Adorno hörte ich erst dieser Tage im Radio den Satz: „Es ist als seien die Geister der ermordeten Juden in die Deutschen gefahren!“ – und das gilt sicher für mich. Ich bemerkte, wie das laut Rezitieren nicht nur die Konzentrations-Fähigkeit steigert und ein Bewußtsein für die Varianten und Nuancen des Textes erweckt, sondern auch in eine andere Qualität von Bewußtsein versetzt, die viel geistesgegenwärtiger und luzider als die gewöhnliche ist. Und einen tiefen Eindruck empfing ich bei der Heimkehr ins eigene Land, ich, der ich angesichts der dortigen Not zu mir gesagt hatte: „dorthin müßten sie mal unsere Wohlstands-Depressiven vier Wochen schicken!“ Ich mußte mich sehr schnell bei ihnen entschuldigen, da es zwar schlau klang, was ich da zu mir gesagt hatte, es war aber reiner Sofismus.

Denn es war nicht nur die Hitze, die mich kaum mehr Atem holen und nur noch schleppend herumstolpern ließ, als ich Anfang August wieder hier war. In der Ukraine war es ganz genauso heiß gewesen, aber ich konnte (bis auf Lwiff, das leider ein sehr stinkendes Abgasloch ist), mühelos und wenn ich wollte den ganzen Tag frei atmend spazieren, was ich hier nun nicht mehr vermochte. Und allen, die ich sah und traf, ging es genauso. Es war eine Vergiftung mit Abgasen aus den Verbrennungsmotoren und mit Ozon, das daraus noch entsteht, in der Ukraine gibt es zwar auch Automobile und Flieger, aber im Verhältnis zur Größe des Landes weitaus geringer als hier. Und Gewitter, wie sie in meiner Kindheit und Jugend zu jedem Sommer gehörten, die gibt es dort noch, sie reinigen die Atmosfäre, und ein ordentlicher Regenschauer wäscht alles sauber. Hier war in diesem Sommer alles verbrannt, weil der Donnergott vertrieben wurde, und noch schlimmer als das vergiftete Klima war die Reaktion der Öffentlichkeit: man tat so, als sei garnichts geschehen und machte munter so weiter wie bisher. Eines Tages glaubte ich bei einem Spaziergang durch den Hofgarten, meine Augen sähen nicht recht und meine Ohren hörten nicht wirklich, doch sie taten treu ihre Dienste, die heftig zischenden und hoch aufwallenden Stichflammen aus Butan-Gas bliesen wirklich den Heißluftballon auf, in dessen aufsteigender Gondel sich einige Bürger vergnügten und auf dessen Außenseite mit großen Lettern der Name einer Autoverkaufsfirma prangte.

Das hieß für mich nichts anderes als: „Wir machen so weiter, auch wenn alles verbrennt!“ Und genauso zynisch empfand ich die Empfehlung nach den Wetterberichten, die für den kommenden Tag Ozonwerte von weit über 200 voraus sagten: „Anfälligen Personen wird geraten, bei Ozon-Werten über 180 Mikro pro Kubik ihre körperlichen Aktivitäten einzustellen und zu Hause zu bleiben“. Als ob man zu Hause nicht auch atmen müßte, als ob es einen einzigen Menschen gäbe, der in diesen Tagen nicht „anfällig“ gewesen wäre, alle haben gelitten mit den Tieren und Pflanzen. Und jener hämische Hinweis könnte auch aus dem Mund eines Teichwirtes stammen, der Gift in seinen Fischteich einleitet und beim Anblick von Vergiftungs-Symptomen den zuerst betroffenen Fischen zuruft: „Ihr seid anfällige Fische, und ich kann euch nur raten, euch im Schlamm zu verkriechen und euch nicht mehr zu bewegen!“

Ja! ich sah vor meinem geistigen Auge, daß es so weit kommen muß und erst Berge menschlicher Leichen, Berge von Nachbarn und Fremden, die auf einmal tot umgekippt sind, die Überlebenden zum Einlenken bewegen – und wenn es nur darum ist, weil diese Leichenberge zu stinken anfangen und man sie beseitigen muß. Bis die Gen-Technologen ihr schmutziges Handwerk einstellen, müssen vermutlich von den Leichenbrigaden so viele sterben, daß die Berge nicht weniger werden, sondern noch wachsen und jene mitsamt den Politikern die Leichen einsammeln müssen auf Haufen geschichtet und mit Brennholz oder Öl vermischt und entzündet. Vor diesem Hintergrund machte ich mich an die vor drei Jahren geschriebene und im Frühjahr 2003 überarbeitete Schrift Zora´ath Hi und mußte sie umschmelzen noch einmal. Jetzt bin ich soweit, mit dem Zweiten Band anzufangen, und da erinnere ich mich (oder werde erinnert) an die wunderbare altindische Geschichte von der Rachegöttin, deren Namen ich vergaß (oder die anonym blieb):

Wieder einmal hatte ein Super-Dämon mit seinen Heeren die Welt-Herrschaft an sich gerissen, aber dieser begnügte sich nicht mehr damit, die Götter allesamt in ein fatales Exil zu verbannen, wo sie immerhin noch eksistierten. Er gab ihnen auch dort keine Ruhe, sondern er quälte und demütigte sie genau so wie alle die anderen Wesen in seinem Herrschaftsbereich. Für die Götter wurde es immer enger und enger, und zum letzten Mal, bevor sie endgültig zerrieben wurden, versammelten sie sich am äußersten Rand jener Welt, am Rande des Abgrunds, und beratschlagten, was zu tun sei. Aber sie hatten ja bereits alles versucht und waren gescheitert, es fiel ihnen nichts mehr ein, und maßlos wütend in ihrer Hilflosigkeit fauchten sie ihren Zorn in das Feuer, das zwischen ihnen entbrannt war. Daraus löste sich eine Göttin, die zuvor noch nie da war, und sie bestand aus dem Blutschweiß und den sich sträubenden Haaren aller vom Dämon zur Ohnmacht Verdammten. Als dieser sie dann auf sich zukommen sah, verneigte er sich vor ihr und sprach: Auf dich habe ich so lang schon gewartet, ach! ich habe schon nicht mehr daran geglaubt, daß du kommst. Von deiner Hand getötet zu werden, ist für mich höchste Wonne und Gnade. Und sie brauchte nicht einmal einen Finger zu rühren, in ihrem Blick sank er hin und zerging wie ein Nebel.

(Geschrieben Mitte September 2003)

VI. Vom Aufleuchten der Botschaft des Fleisches


We´Isch o Ischah ki jihejäh we´Or Bessoram Bäharoth Bäharoth lewanoth/ weroah haKohen wehineh we´Or Bessoram Bäharoth kehoth lewanoth Bohak Hu porach ba´Or tahor Hu (Vers 38-39)
Das sechste ist das kürzeste der elf Kapitel, was zum sechsten Zeichen paßt, zu Waw, dem Verbindungs-Haken, dem Und. Denn dieses nimmt sich selbst auch so weit zurück, damit es seine Funktion, eben zu verbinden, erfüllen kann. Und wenn wir des Wortes Hawah (5-6-5) gedenken, das dem Namen zugrunde liegt, dann ist dieses sechste Kapitel das Kernstück, die fünf vorigen erzählen uns von dem sterblichen Kind und die fünf kommenden von dem unsterblichen Zwilling. Zusammen gebracht und gehalten werden sie von der Sechs, die in der Reihe der Tage Näfäsch Chajah, die „Lebendige Seele“, doppelt hervor bringt als Tier und als Mensch. In deren Verhältnis widerspiegelt sich das von Mensch und Gott, und genauso wie wir die Tiere behandeln, so behandeln die Götter auch uns.

In den bloß 24 Wörtern des sechsten Kapitels ist das dreimalige Erscheinen von Bahäräth, der „Erklärung“, auffällig, denn sie nimmt ein Achtel des Raumes ein gegenüber den übrigen sieben Mal drei. Und das ist uns Anlaß genug, bevor wir in die Betrachtung des Kapitels einsteigen, der drei Gnadengaben uns zu erinnern des Anfangs, von denen die dritte Bahäräth ist. Gleich zu Beginn des ersten Kapitels sind sie uns vorgestellt worden, und zwar in der Reihenfolge Sse´eth, Ssapachath, Bahäräth, „Vergebung, Anschluß, Erklärung“. Die Erklärung ist ein Bewußtseins-Prozeß, was bedeutet, daß der Anschluß schon unbewußt ist, und noch tiefer geschieht die Vergebung. Sie ist primär, nur aus ihr heraus kann der Anschluß erfolgen, und nur wenn das Bewußtsein damit in Verbindung steht, hat die Erklärung überhaupt einen Sinn. Wir können die drei auch mit den uns hier bekannten Zuständen vergleichen, in die wir in rhythmischem Wechsel geraten, und dann entspricht Se´eth dem Tiefschlaf, Ssapachath dem Traum und Bahäräth dem Wach-Sein.

1   ...   27   28   29   30   31   32   33   34   35


Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©atelim.com 2016
rəhbərliyinə müraciət