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Ernst Haeckel Natürliche Schöpfungsgeschichte


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Goethe klar aussprach, "kann die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiren und wirksam sein". Der künstliche Zwiespalt, welchen die falsche dualistische und teleologische Philosophie der Vergangenheit zwischen Geist und Körper, zwischen Kraft und Stoff aufrecht erhielt, ist durch die Fortschritte der Naturerkenntniß und namentlich der Entwickelungslehre aufgelöst, und kann gegenüber der siegreichen mechanischen und monistischen Philosophie unserer Zeit nicht mehr bestehen. Wie demgemäß die Menschenatur in ihrer Stellung zur übrigen Welt aufgefaßt werden muß, hat in neuerer Zeit besonders Radenhausen in seiner vortrefflichen und sehr lesenswerthen Isis ausführlich erörtert33).

Was nun speciell den Ursprung des menschlichen Geistes oder der Seele des Menschen betrifft, so nehmen wir zunächst an jedem menschlichen Individuum wahr, daß sich derselbe von Anfang an schrittweise und allmählich entwickelt, ebenso wie der Körper. Wir sehen am neugeborenen Kinde, daß dasselbe weder selbstständiges Bewußtsein, noch überhaupt klare Vorstellungen besitzt. Diese entstehen erst allmählich, wenn mittelst der sinnlichen Erfahrungen die Erscheinungen der Außenwelt auf das Centralnerversystem einwirken. Aber entbehrt das Kind aller jener differenzirten Seelenbewegungen, welcher der erwachsene Mensch erst durch langjährige Erfahrung erwirbt. Aus dieser stufenweisen Entwicklung der Menschenseele in jedem einzelnen Individuum können wir nun, gemäß dem innigen ursächlichen Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phylogenie, unmittelbar auf die stufenweise Entwickelung der Menschenseele in der ganzen Menschheit und weiterhin in dem ganzen Wirbelthierstamme zurückschließen. In unzertrennlicher Verbindung mit dem Körper hat auch der Geist des Menschen alle jene langsamen Stufen der Entwickelung, alle jene einzelnen Schritte der Differenzirung und Vervollkommnung durchmessen müssen, von welchen Ihnen die hypothetische Ahnenreihe des Menschen in dem letzten Vortrage ein ungefähres Bild gegeben hat.

Allerdings pflegt gerade diese Vorstellung bei den meisten Menschen, wenn sie zuerst mit der Entwickelungslehre bekannt werden, den größten Anstoß zu erregen, weil sie am meisten den hergebrachten mythologischen Anschauungen und den durch ein Alter von Jahrtausenden geheiligten Vorurtheilen widerspricht. Allein eben so gut wie alle anderen Dinge muß nothwendig auch die Menschenseele sich historisch entwickelt haben, und die vergleichende Seelenlehre oder die empirische Psychologie der Thiere zeigt uns klar, daß diese Entwickelung nur gedacht werden kann als eine stufenweise Hervorbildung aus der Wirbelthierseele, als eine allmähliche Differenzirung und Vervollkommnung, welche erst im Laufe vieler Jahrtausende zu dem herrlichen Triumph des Menschengeistes über seine niederen thierischen Ahnenstufen geführt hat. Hier wie überall, ist die Untersuchung der Entwickelung und die Vergleichung der verwandten Erscheinungen der einzige Weg, um zur Erkenntniß der natürlichen Wahrheit zu gelangen. Wir müssen also vor Allem, wie wir es auch bei Untersuchung der körperlichen Entwickelung thaten, die höchsten thierischen Erscheinungen einerseits mit den niedersten thierischen, andrerseits mit den niedersten menschlichen Erscheinungen vergleichen. Das Endresultat dieser Vergleichung ist, daß zwischen den höchstentwickelten Thierseelen und den tiefstentwickelten Menschenseelen nur ein geringer quantitativer, aber kein qualitativer Unterschied existirt, und daß dieser Unterschied viel geringer ist, als der Unterschied zwischen den niedersten und höchsten Menschenseelen, oder als der Unterschied zwischen den höchsten und niedersten Thierseelen.

Um sich von der Begründung dieses wichtigen Resultates zu überzeugen, muß man vor Allem das Geistesleben der wilden Naturvölker und der Kinder vergleichend studiren32). Auf der tiefsten Stufe menschlicher Geistesbildung stehen die Australneger Neuhollands, einige Stämme der polynesischen Papuaneger, und in Afrika die Buschmänner, die Hottentotten und einige Stämme der Afroneger. Die Sprache, der wichtigste Charakter des echten Menschen, ist bei ihnen auf der tiefsten Stufe der Ausbildung stehen geblieben, und damit natürlich auch die Begriffsbildung. Manche dieser wilden Stämmen haben nicht einmal eine Bezeichnung für Thier, Pflanze, Ton, Farbe und dergleichen einfachste Begriffe, wogegen sie für jede einzelne auffallende Thier- oder Pflanzenform, für jeden einzelnen Ton oder Farbe ein Wort besitzen. In vielen solcher Sprachen giebt es bloß Zahlwörter für Eins, Zwei und Drei; keine australische Sprache zählt über Vier. Sehr viele wilde Völker können nur bis zehn oder zwanzig zählen, während man einzelne sehr gescheute Hunde dazu gebracht hat, bis vierzig und selbst über sechzig zu zählen. Und doch ist die Zahl der Anfang der Mathematik! Nichts ist aber vielleicht in dieser Beziehung merkwürdiger, als daß einzelne von den wildesten Stämmen im südlichen Asien und östlichen Afrika von der ersten Grundlage aller menschlichen Gesittung, vom Familienleben und der Ehe, gar keinen Begriff haben. Sie leben in Heerden zusammen, wie die Affen, größtentheils auf Bäumen kletternd und von Früchten lebend; sie kennen das Feuer noch nicht, und gebrauchen als Waffen nur Steine und Knüppel, wie es auch die höheren Affen thun. Alle Versuche, diese und viele andere Stämme der niederen Menschenrassen der Kultur zugänglich zu machen, sind bisher gescheitert; es ist unmöglich, da menschliche Bildung pflanzen zu wollen, wo der nöthige Boden dazu, die menschliche Gehirnvervollkommnung, noch fehlt. Noch keiner von jenen Stämmen ist durch die Kultur veredelt worden; sie gehen nur rascher dadurch zu Grunde. Sie haben sich kaum über jene tiefste Stufe des Uebergangs vom Menschenaffen zum Affenmenschen erhoben, welche die Stammeltern der höheren Menschenarten schon seit Jahrtausenden überschritten haben32).

Betrachten Sie nun auf der anderen Seite die höchsten Entwickelungsstufen des Seelenlebens bei den höheren Wirbelthieren, namentlich Vögeln und Säugethieren. Wenn Sie in herkömmlicher Weise als die drei Hauptgruppen der verschiedenen Seelenbewegungen des Empfinden, Wollen und Denken unterscheiden, so finden Sie, daß in jeder dieser Beziehungen die höchst entwickelten Vögel und Säugethiere jenen niedersten Menschenformen sich an die Seite stellen, oder sie selbst entschieden überflügeln. Der Wille ist bei den höheren Thieren ebenso entschieden und stark, wie bei charaktervollen Menschen entwickelt. Hier wie dort ist er niemals eigentlich frei, sondern stets durch eine Kette von ursächlichen Vorstellungen bedingt (Vergl. S. 189). Auch stufen sich die verschiedenen Grade des Willens, der Energie und der Leidenschaft, bei den höheren Thieren ebenso mannichfaltig, als bei den Menschen ab. Die Empfindungen der höheren Thiere sind nicht weniger zart und warm, als die der Menschen. Die Treue und Anhänglichkeit des Hundes, die Mutterliebe der Löwin, die Gattenliebe und eheliche Treue der Tauben und der Inseparables ist sprichwörtlich, und wie vielen Menschen könnten sie zum Muster dienen! Wenn man hier die Tugenden als "Instinkte" zu bezeichnen pflegt, so verdienen sie beim Menschen ganz dieselbe Bezeichnung. Was endlich das Denken betrifft, dessen vergleichende Betrachtung zweifelsohne die meisten Schwierigkeiten bietet, so läßt sich doch schon aus der vergleichenden psychologischen Untersuchung, namentlich der kultivirten Hausthiere, so viel mit Sicherheit entnehmen, daß die Vorgänge des Denkens hier nach denselben Gesetzen, wie bei uns, erfolgen. Ueberall liegen Erfahrungen den Vorstellungen zu Grunde und vermitteln die Erkenntniß des Zusammenhangs zwischen Ursache und Wirkung. Ueberall ist es, wie beim Menschen, der Weg der Induction und Deduction, welcher zur Bildung der Schlüsse führt. Offenbar stehen in allen diesen Beziehungen die höchst entwickelten Thiere dem Menschen viel näher als den niederen Thieren, obgleich sie durch eine lange Kette von allmählichen Zwischenstufen auch mit den letzteren verbunden sind.

Wenn Sie nun, nach beiden Richtungen hin vergleichend, die niedersten affenähnlichsten Menschenformen, die Australneger, Buschmänner, Andamanen u. s. w. mit diesen höchstentwickelten Thieren, z. B. Affen, Hunden und Elephanten einerseits, mit den höchstentwickelten Menschen, einem Newton, Kant, Goethe andrerseits zusammenstellen, so wird Ihnen die Behauptung nicht mehr übertrieben erscheinen, daß das Seelenleben der höheren Säugethiere sich stufenweise zu demjenigen des Menschen entwickelt hat. Wenn Sie hier eine scharfe Grenze ziehen wollen, so müßten sie geradezu dieselbe zwischen den höchstentwickelten Kulturmenschen einerseits und den rohesten Naturmenschen andrerseits ziehen, und letztere mit den Thieren vereinigen. Das ist in der That der Standpunkt, welchen viele neuere Reisende angenommen haben, die jene niedersten Menschenrassen in ihrem Vaterlande andauernd beobachtet haben. So sagt z. B. ein vielgereister Engländer, welcher längere Zeit an der afrikanischen Westküste lebte: "den Neger halte ich für eine niedere Menschenart (Species) und kann mich nicht entschließen, als "Mensch und Bruder" auf ihn herabzuschauen, man müßte denn auch den Gorilla in die Familie aufnehmen". Selbst viele christliche Missionäre, welche nach jahrelanger vergeblicher Arbeit von ihren fruchtlosen Civilisationsbestrebungen bei den niedersten Völkern abstanden, fällen dasselbe harte Urtheil, und behaupten, daß man eher die bildungsfähigen Hausthiere, als diese unvernünftigen viehischen Menschen zu einem gesitteten Kulturleben erziehen könne. Der tüchtige österreichische Missionär Morlang z. B., welcher ohne allen Erfolg viele Jahre hindurch die affenartigen Negerstämme am oberen Nil zu civilisiren suchte, sagt ausdrücklich, "daß unter solchen Wilden jede Mission durchaus nutzlos sei. Sie ständen weit unter den unvernünftigen Thieren; diese letzteren legten doch wenigstens Zeichen der Zuneigung gegen Diejenigen an den Tag, die freundlich gegen sie sind; während jene viehischen Eingeborenen allen Gefühlen der Dankbarkeit völlig unzugänglich seien."

Wenn nun aus diesen und vielen anderen Zeugnissen zuverlässig hervorgeht, daß die geistigen Unterschiede zwischen den niedersten Menschen und den höchsten Thieren geringer sind, als diejenigen zwischen den niedersten und den höchsten Menschen, und wenn Sie damit die Thatsache zusammenhalten, daß bei jedem einzelnen Menschenkinde sich das Geistesleben aus dem tiefsten Zustande thierischer Bewußtlosigkeit heraus langsam, stufenweise und allmählich entwickelt, sollen wir dann noch daran Anstoß nehmen, daß auch der Geist des ganzen Menschengeschlechts sich in gleicher Art langsam und stufenweise historisch entwickelt hat? Und sollen wir in dieser Thatsache, daß die Menschenseele durch einen langen und langsamen Proceß der Differenzirung und Vervollkommnung sich ganz allmählich aus der Wirbelthierseele hervorgebildet hat, eine "Entwürdigung" des menschlichen Geistes finden? Ich gestehe Ihnen offen, daß diese letztere Anschauung, welche gegenwärtig von vielen Menschen der Pithekoidentheorie entgegengehalten wird, mir ganz unbegreiflich ist. Sehr richtig sagt darüber Bernhard Cotta in seiner trefflichen Geologie der Gegenwart: "Unsere Vorfahren können uns sehr zur Ehre gereichen; viel besser noch aber ist es, wenn wir ihnen zur Ehre gereichen"31). Wenn irgend eine Theorie vom Ursprung des Menschengeschlechts entwürdigend und trostlos ist, so muß es ganz gewiß der vielverbreitete Mythus sein, daß wir von einem sündenlosen Elternpaare abstammen, welches durch den ersten Sündenfall sich mit dem Fluche der Sünde belud und diesen nun auf seine ganze Nachkommenschaft vererbte; wir müßten dann fürchten, nach den Vererbungsgesetzen schrittweise einer immer tieferen Erniedrigung und einen immer traurigeren Verfall entgegen zu gehen.

Unsere Entwickelungslehre behauptet aber vom Ursprunge des Menschen und dem Laufe seiner historischen Entwickelung das Gegentheil. Wir erblicken in seiner stufenweise aufsteigenden Entwickelung aus den niederen Wirbelthieren den höchsten Triumph der Menschennatur über die gesammte übrige Natur. Wir sind stolz darauf, unsere niederen thierischen Vorfahren so unendlich weit überflügelt zu haben, und entnehmen daraus die tröstliche Gewißheit, daß auch in Zukunft das Menschengeschlecht im Großen und Ganzen die ruhmvolle Bahn fortschreitender Entwickelung verfolgen, und eine immer höhere Stufe geistiger Vollkommenheit erklimmen wird. In diesem Sinne betrachtet, eröffnet uns die Entwickelungslehre in ihrer Anwendung auf den Menschen die ermuthigendste Aussicht in die Zukunft, und entkräftet alle jene Befürchtungen, welche man ihrer Verbreitung entgegen gehalten hat.

Die höchste Leistung des menschlichen Geistes ist die vollkommene Erkenntniß, das entwickelte Menschenbewußtsein, und die daraus entspringende sittliche Thatkraft. "Erkenne Dich selbst"! So riefen schon die Philosophen des Alterthums dem nach Veredelung strebenden Menschen zu. "Erkenne Dich selbst"! So ruft die Entwickelungslehre nicht allein dem einzelnen menschlichen Individuum, sondern der ganzen Menschheit zu. Und wie die fortschreitende Selbsterkenntniß für jeden einzelnen Menschen der mächtigste Hebel zur sittlichen Vervollkommnung wird, so wird auch die Menschheit als Ganzes durch die Erkenntniß ihres wahren Ursprungs und ihrer wirklichen Stellung in der Natur auf eine höhere Bahn der moralischen Vollendung geleitet werden. Die einfache Naturreligion, welche sich auf das klare Wissen von der Natur und ihren unerschöpflichen Offenbarungsschatz gründet, wird zukünftig in weit höherem Maaße veredelnd und vervollkommnend auf den Entwickelungsgang der Menschheit einwirken, als die unendlich mannichfaltigen Kirchenreligionen der verschiedenen Völker, welche auf dem dunklen Glauben an die Geheimnisse einer Priesterkaste und ihre mythologischen Offenbarungen beruhen. Kommende Jahrhunderte werden unsere Zeit, welcher mit der wissenschaftlichen Begründung der Abstammungslehre der höchste Preis menschlicher Erkenntniß beschieden war, als den Zeitpunkt feiern, mit welchem ein neues segensreiches Zeitalter der menschlichen Entwickelung beginnt, charakterisirt durch den Sieg des freien erkennenden Geistes über die Gewaltherrschaft der Autorität, und durch den mächtig veredelnden Einfluß der monistischen Philosophie.




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