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Ernst Haeckel Natürliche Schöpfungsgeschichte


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Zwanzigster Vortrag.


Einwände gegen und Beweise für die Wahrheit der Descendenztheorie.

{Siehe Inhaltsverzeichnis...}

Meine Herrn! Wenn ich einerseits vielleicht hoffen darf, Ihnen durch diese Vorträge die Abstammungslehre mehr oder weniger wahrscheinlich gemacht, und einige von Ihnen selbst von ihrer unerschütterlichen Wahrheit überzeugt zu haben, so verhehle ich mir andrerseits keineswegs, daß die Meisten von Ihnen im Laufe meiner Erörterungen eine Masse von mehr oder weniger begründeten Einwürfen gegen dieselbe erhoben haben werden. Es erscheint mir daher jetzt, am Schlusse unserer Betrachtungen, durchaus nothwendig, wenigstens die wichtigsten derselben zu widerlegen, und zugleich auf der anderen Seite die überzeugendsten Beweisgründe nochmals hervorzuheben, welche für die Wahrheit der Entwickelungslehre Zeugniß ablegen.

Die Einwürfe, welche man gegen die Abstammungslehre überhaupt erhebt, zerfallen in zwei große Gruppen, Einwände des Glaubens und Einwände der Vernunft. Mit den Einwendungen der ersten Gruppe, die in den unendlich mannichfaltigen Glaubensvorstellungen der menschlichen Individuen ihren Ursprung haben, brauche ich mich hier durchaus nicht zu befassen. Denn, wie ich bereits im Anfang dieser Vorträge bemerkte, hat die Wissenschaft, als das objective Ergebniß der sinnlichen Erfahrung und des Erkenntnißstrebens der menschlichen Vernunft, gar Nichts mit den subjectiven Vorstellungen des Glaubens zu thun, welche von einzelnen Menschen als unmittelbare Eingebungen oder Offenbarungen des Schöpfers gepredigt, und dann von der unselbstständigen Menge geglaubt werden. Dieser bei den verschiedenen Völkern unendlich verschiedenartige Glaube fängt bekanntlich erst da an, wo die Wissenschaft aufhört. Die Naturwissenschaft betrachtet denselben nach dem Grundsatz Friedrich's des Großen, "daß jeder auf seine Facon selig werden kann", und nur da tritt sie nothwendig in Konflikt mit besonderen Glaubensvorstellungen, wo dieselben der freien Forschung eine Grenze, und der menschlichen Erkenntniß ein Ziel setzen wollen, über welches dieselbe nicht hinaus dürfe. Das ist nun allerdings gewiß hier im stärksten Maaße der Fall, da die Entwickelungslehre sich zur Aufgabe das höchste wissenschaftliche Problem gesetzt hat, das wir uns setzen können: das Problem der Schöpfung, des Werdens der Dinge, und insbesondere des Werdens der organischen Formen, an ihrer Spitze des Menschen. Hier ist es nun jedenfalls eben so das gute Recht, wie die heilige Pflicht der freien Forschung, keinerlei menschliche Autorität zu scheuen, und muthig den Schleier vom Bilde des Schöpfers zu lüften, unbekümmert, welche natürliche Wahrheit darunter verborgen sein mag. Die göttliche Offenbarung, welche wir als die einzig wahre anerkennen, steht überall in der Natur geschrieben, und jedem Menschen mit gesunden Sinnen und gesunder Vernunft steht es frei, in diesem heiligen Tempel der Natur durch eigenes Forschen und selbstständiges Erkennen der untrüglichen Offenbarung theilhaftig zu werden.



Wenn wir demgemäß hier alle Einwürfe gegen die Abstammungslehre unberücksichtigt lassen können, die etwa von den Priestern der zahllosen verschiedenen Glaubensreligionen erhoben werden könnten, so werden wir dagegen nicht umhin können, die wichtigsten von denjenigen Einwänden zu widerlegen, welche mehr oder weniger wissenschaftlich begründet erscheinen, und von denen man zugestehen muß, daß man durch sie auf den ersten Blick in gewissem Grade eingenommen und von der Annahme der Abstammungslehre zurückgeschreckt werden kann. Unter diesen Einwänden erscheint Vielen als der wichtigste derjenige, welcher die Zeitlänge betrifft. Wir sind nicht gewohnt, mit so ungeheuern Zeitmaaßen umzugehen, wie sie für die Schöpfungsgeschichte erforderlich sind. Es wurde früher bereits erwähnt, daß wir die Zeiträume, in welchen die Arten durch allmähliche Umbildung entstanden sind, nicht nach einzelnen Jahrtausenden berechnen müssen, sondern nach Hunderten und nach Millionen von Jahrtausenden. Allein schon die Dicke der geschichteten Erdrinde, die Erwägung der ungeheuern Zeiträume, welche zu ihrer Ablagerung aus dem Wasser erforderlich waren, und der zwichen diesen Senkungszeiträumen verflossenen Hebungszeiträume oder "Anteperioden" (S. 305) beweisen uns eine Zeitdauer der organischen Erdgeschichte, welche unser menschliches Fassungsvermögen gänzlich übersteigt. Wir sind hier in derselben Lage, wie in der Astronomie betreffes des unendlichen Raums. Wie wir die Entfernungen der verschiedenen Planetensysteme nicht nach Meilen, sondern nach Siriusweiten berechnen, von denen jede wieder Millionen Meilen einschließt, so müssen wir in der organischen Erdgeschichte nicht nach Jahrtausenden, sondern nach paläontologischen oder geologischen Perioden rechnen, von denen jede viele Jahrtausende, und manche vielleicht Millionen oder selbst Milliarden von Jahrtausenden umfaßt. Es ist sehr gleichgültig, wie hoch man annähernd die unermeßliche Länge dieser Zeiträume schätzen mag, weil wir in der That nicht im Stande sind, mittelst unserer beschränkten Einbildungskraft uns eine wirkliche Anschauung von diesen Zeiträumen zu bilden, und weil wir auch keine sichere mathematische Basis, wie in der Astronomie besitzen, um nur die ungefähre Länge des Maaßstabes irgendwie in Zahlen festzustellen. Nur dagegen müssen wir uns auf das bestimmteste verwahren, daß wir in dieser außerordentlichen, unsere Vorstellungskraft vollständig übersteigenden Länge der Zeiträume irgend einen Grund gegen die Entwickelungslehre sehen könnten. Wie ich Ihnen bereits in einem früheren Vortrage auseinandersetzte, ist es im Gegentheil vom Standpunkte der stengen Philosophie das Gerathenste, diese Schöpfungsperioden möglichst lang vorauszusetzen, und wir laufen um so weniger Gefahr, uns in dieser Beziehung in unwahrscheinliche Hypothesen zu verlieren, je größer wir die Zeiträume für die organischen Entwickelungsvorgänge annehmen (S. 103). Je länger wir z. B. die Anteocenperiode annehmen, deste eher können wir begreifen, wie innerhalb derselben die wichtigen Umbildungen erfolgten, welche die Fauna und Flora der Kreidezeit so scharf von derjenigen der Eocenzeit trennen. Die große Abneigung, welche die meisten Menschen gegen die Annahme so unermeßlicher Zeiträume haben, rührt größtentheils davon her, daß sie in der Jugend mit der Vorstellung groß gezogen werden, die Erde sei nur einige tausend Jahre alt. Auerdem ist das Menschenleben, welches höchstens den Werth eines Jahrhunderts erreicht, eine außerordentlich kurze Zeitspanne, welche sich am wenigsten eignet, als Maaßeinheit für jene geologischen Perioden zu gelten. Denken Sie nur im Vergleiche damit an die fünfzig mal längere Lebensdauer mancher Bäume, z. B. der Drachenbäume (Dracaena) und Affenbrotbäume (Adasonia), deren individuelles Leben einen Zeitraum von fünftausend Jahren übersteigt; und denken Sie andrerseits an die Kürze des individuellen Lebens bei manchen niederen Thieren, z. B. bei den Infusorien, wo das Individuum als solches nur wenige Tage, oder selbst nur wenige Stunden lebt. Diese Vergleichung stellt uns die Relativität alles Zeitmaaßes auf das Unmittelbarste vor Augen. Ganz gewiß müssen, wenn die Entwickelungslehre überhaupt wahr ist, ungeheuere, uns gar nicht vorstellbare Zeiträume verflossen sein, während die stufenweise historische Entwickelung des Thier- und Pflanzenreichs durch allmähliche Umbildung der Arten vor sich ging. Es liegt aber auch nicht ein einziger Grund vor, irgend eine bestimmte Grenze für die Länge jener phyletischen Entwickelungsperioden anzunehmen.

Ein zweiter Haupteinwand, der von vielen, namentlich systematischen Zoologen und Botanikern, gegen die Abstammungslehre erhoben wird, ist der, daß man keine Uebergangsformen zwischen den verschiedenen Arten finden könne, während man diese doch nach der Abstammungslehre in Menge finden müßte. Dieser Einwurf ist zum Theil begründet, zum Theil aber auch nicht. Denn es existiren Uebergangsformen sowohl zwischen den lebenden, als auch zwischen ausgestorbenen Arten in außerordentlicher Menge, überall nämlich da, wo wir Gelegenheit haben, sehr zahlreiche Individuen von verwandten Arten vergleichend in's Auge zu fassen. Grade diejenigen sorgfältigsten Untersucher der einzelnen Species, von denen man jenen Einwurf häufig hört, grade diese finden wir in ihren speciellen Untersuchungsreihen beständig durch die in der That unlösbare Schwierigkeit aufgehalten, die einzelnen Arten scharf zu unterscheiden. In allen systematischen Werken, welche einigermaßen gründlich sind, begegnen Sie endlosen Klagen darüber, daß man hier und dort die Arten nicht unterscheiden könne, weil zu viele Uebergangsformen vorhanden seien. Daher bestimmt auch jeder Naturforscher den Umfang und die Zahl der einzelnen Arten anders, als die übrigen. Wie ich schon früher erwähnte (S. 223), nehmen in einer und derselben Organismengruppe die einen Zoologen und Botaniker 10 Arten an, andere 20, andere hundert oder mehr, während noch andere Systematiker alle diese verschiedenen Formen nur als Spielarten oder Varietäten einer einigen "guten Species" betrachten. Man braucht daher bei den meisten Formengruppen wahrlich nicht lange zu suchen, um die von Vielen vermißten Uebergangsformen und Zwischenstufen zwischen den einzelnen Species in Hülle und Fülle zu finden.

Bei vielen Arten fehlen freilich die Uebergangsformen wirklich. Dies erklärt sich indessen ganz einfach durch das Princip der Divergenz oder Sonderung, dessen Bedeutung ich Ihnen früher erläutert habe (S. 217). Der Umstand, daß der Kampf um das Dasein um so heftiger zwischen zwei verwandten Formen ist, je näher sie sich stehen, muß nothwendig das baldige Erlöschen der verbindenden Zwischenformen zwischen zwei divergenten Arten begünstigen. Wenn eine und dieselbe Species nach verschiedenen Richtungen auseinandergehende Varietäten hervorbringt, die sich zu neuen Arten gestalten, so muß der Kampf zwischen diesen neuen Formen und der gemeinsamen Stammform um so lebhafter sein, je weniger sie sich von einander entfernen, dagegen um so weniger gefährlich, je stärker die Divergenz ist. Naturgemäß werden also die verbindenden Zwischenformen vorzugsweise und meistens sehr schnell aussterben, während die am meisten divergenten Formen als getrennte "neue Arten" übrig bleiben und sich fortpflanzen. Dem entsprechend finden wir auch keine Uebergangsformen mehr in solchen Gruppen, welche ganz im Aussterben begriffen sind, wie z. B. unter den Vögeln die Strauße, unter den Säugethieren die Elephanten, Giraffen, Halbaffen, Zahnarmen und Schnabelthiere. Diese im Erlöschen gegriffenen Formgruppen erzeugen keine neuen Varietäten mehr, und naturgemäß sind hier die Arten sogenannte "gute", d. h. scharf von einander geschiedene Species. In denjenigen Thiergruppen dagegen, wo noch die Entfaltung und der Fortschritt sich geltend macht, wo die existirenden Arten durch Bildung neuer Varietäten in viele neue Arten aus einandergehen, finden wir überall massenhaft Uebergangsformen vor, welche der Systematik die größten Schwierigkeiten bereiten. Das ist z. b. unter den Vögeln bei den Finken der Fall, unter den Säugethieren bei den meisten Nagethieren (besonders den mäuse- und rattenartigen), bei einer Anzahl von Wiederkäuern und von echten Affen, insbesondere bei den südamerikanischen Rollaffen (Cebus) und vielen Anderen. Die fortwährende Entfaltung der Species durch Bildung neuer Varietäten erzeugt hier eine Masse von Zwischenformen, welche die sogenannten guten Arten verbinden und ihre scharfe specifische Unterscheidung ganz illusorisch machen.

Daß dennoch keine vollständige Verwirrung der Formen, kein allgemeines Chaos in der Bildung der Thier- und Pflanzengestalten entsteht, hat einfach seinen Grund in dem Gegengewicht, welches der Entstehung neuer Formen durch fortschreitende Anpassung gegenüber die erhaltende Macht der Vererbung ausübt. Der Grad von Beharrlichkeit und Veränderlichkeit, den jede organische Form zeigt, ist lediglich bedingt durch den jeweiligen Zustand des Gleichgewichts zwischen diesen beiden sich entgegenstehenden Funktionen. Die Vererbung ist die Ursache der Beständigkeit der Species; die Anpassung ist die Ursache der Abänderung der Art. Wenn also einige Naturforscher sagen, offenbar müßte nach der Abstammungslehre eine noch viel größere Mannichfaltigkeit der Formen stattfinden, und andere umgekehrt, es müßte eine viel strengere Gleichheit der Formen sich zeigen, so unterschätzen die ersteren das Gewicht der Vererbung und die letzteren das Gewicht der Anpassung. Der Grad der Wechselwirkung zwischen der Vererbung und Anpassung bestimmt den Grad der Beständigkeit und Veränderlichkeit der organischen Species, den dieselbe in jedem gegebenen Zeitabschnitt besitzt.

Ein weiterer Einwand gegen die Descendenztheorie, welcher in den Augen vieler Naturforscher und Philosophen ein großes Gewicht besitzt, besteht darin, daß dieselbe die Entstehung zweckmäßig wirkender Organe durch zwecklos oder mechanisch wirkende Ursachen behauptet. Dieser Einwurf erscheint namentlich von Bedeutung bei Betrachtung derjenigen Organe, welche offenbar für einen ganz bestimmten Zweck so vortrefflich angepaßt erscheinen, daß die scharfsinnigsten Mechaniker nicht im Stande sein würden, ein vollkommeneres Organ für diesen Zweck zu erfinden. Solche Organe sind vor allen die höheren Sinnesorgane der Thiere, Auge und Ohr. Wenn man bloß die Augen und Gehörwerkzeuge der höheren Thiere kennte, so würden dieselben uns in der That große und vielleicht unübersteigliche Schwierigkeiten verursachen. Wie könnte man sich erklären, daß allein durch die natürliche Züchtung jener außerordentlich hohe und höchst bewunderungswürdige Grad der Vollkommenheit und der Zweckmäßigkeit in jeder Beziehung erreicht wird, welchen wir bei den Augen und Ohren der höheren Thiere wahrnehmen? Zum Glück hilft uns aber hier die vergleichende Anatomie und Entwickelungsgeschichte über alle Hindernisse hinweg. Denn wenn wir die stufenweise Vervollkommnung der Augen und Ohren Schritt für Schritt im Thierreich verfolgen, so finden wir eine solche allmähliche Stufenleiter der Ausbildung vor, daß wir auf das schönste die Entwickelung der höchst verwickelten Organe durch alle Grade der Vollkommenheit hindurch verfolgen können. So erscheint z. B. das Auge bei den niedersten Thieren als ein einfacher Farbstofffleck, der noch kein Bild von äußeren Gegenständen entwerfen, sondern höchstens den Unterschied der verschiedenen Lichtstrahlen wahrnehmen kann. Dann tritt zu diesem ein empfindender Nerv hinzu. Später entwickelt sich allmählich innerhalb jenes Pigmentflecks die erste Anlage der Linse, ein lichtbrechender Körper, der schon im Stande ist, die Lichtstrahlen zu concentriren und ein bestimmtes Bild zu entwerfen. Aber es fehlen noch alle die zusammengesetzten Apparate für Akkomodation und Bewegung des Auges, die verschieden lichtbrechenden Medien, die hoch differenzirte Sehnervenhaut u. s. w., welche bei den höheren Thieren dieses Werkzeug so vollkommen gestalten. Von jenem einfachsten Organ bis zu diesem höchst vollkommenen Apparat zeigt uns die vergleichende Anatomie in ununterbrochener Stufenleiter alle möglichen Uebergänge, so daß wir uns die stufenweise, allmähliche Bildung auch eines solchen höchst complicirten Organes wohl anschaulich machen können. Ebenso wie wir im Laufe der individuellen Entwickelung einen gleichen stufenweisen Fortschritt in der Ausbildung des Organs unmittelbar verfolgen können, ebenso muß derselbe auch in der geschichtlichen (phyletischen) Entstehung des Organs stattgefunden haben.

Bei Betrachtung solcher höchst vollkommenen Organe, die scheinbar von einem künstlicherischen Schöpfer für ihre bestimmte Thätigkeit zweckmäßig erfunden und construirt, in der That aber durch die zwecklose Thätigkeit der natürlichen Züchtung mechanisch entstanden sind, empfinden viele Menschen ähnliche Schwierigkeiten des naturgemäßen Verständnisses, wie die rohen Naturvölker gegenüber den verwickelten Erzeugnissen unserer neuesten Maschinenkunst. Die Wilden, welche zum erstenmal ein Linienschiff oder eine Locomotive sehen, halten diese Gegenstände für die Erzeugnisse übernatürlicher Wesen, und können nicht begreifen, daß der Mensch, ein Organismus ihres Gleichen, einen solchen Apparat hervorgebracht habe. Nicht allein die älteren Erdumsegler, welche Amerika und die Südseeinseln entdeckten, wissen davon zu erzählen, sondern noch in jüngster Zeit ist die Anlage der von den Engländern in Abessinien eingerichteten Eisenbahn die Ursache ähnlicher Bemerkungen gewesen. Die Locomotive wurde dort für den leibhaftigen Teufel gehalten. Auch die ungebildeten Menschen unserer eigenen Rasse sind nicht im Stande, einen so verwickelten Apparat in seiner eigentlichen Wirksamkeit zu begreifen, und die rein mechanische Natur desselben zu verstehen. Die meisten Naturforscher verhalten sich aber, wie Darwin sehr richtig bemerkt, gegenüber den Formen der Organismen nicht anders, als jene Wilden dem Linienschiff oder der Locomotive gegenüber. Das naturgemäße Verständniß von der rein mechanischen Entstehung der organischen Formen kann hier nur durch eine gründliche allgemeine biologische Bildung, und durch die specielle Bekanntschaft mit der vergleichenden Anatomie und Entwickelungslehre gewonnen werden.

Unter den übrigen gegen die Abstammungslehre erhobenen Einwürfen will ich hier endlich noch einen hervorheben und widerlegen, der namentlich in den Augen vieler Laien ein großes Gewicht besitzt: Wie soll man sich aus der Descendenztheorie die Geistesthätigkeiten der Thiere und namentlich die specifischen Aeußerungen derselben, die sogenannten Instinkte entstanden denken? Diesen schwierigen Gegenstand hat Darwin in einem besonderen Capitel seines Werkes (im siebenten) so ausführlich behandelt, daß ich Sie hier darauf verweisen kann. Wir müssen die Instinkte wesentlich als Gewohnheiten der Seele auffassen, welche durch Anpassung erworben und durch Vererbung auf viele Generationen übertragen und befestigt werden. Die Instinkte verhalten sich demgemäß ganz wie anderen Gewohnheiten, welche nach den Gesetzen der gehäuften Anpassung (S. 186) und der befestigten Vererbung (S. 170) zur Entstehung neuer Functionen und somit auch neuer Formen ihrer Organe führen. Hier wie überall geht die Wechselwirkung zwischen Function und Organ Hand in Hand. Ebenso wie die Geistesfähigkeiten des Menschen stufenweise durch fortschreitende Anpassung des Gehirns erworben und durch dauernde Vererbung befestigt wurden, so sind auch die Instinkte der Thiere, welche nur quantitativ, nicht qualitativ von jenen verschieden sind, durch stufenweise Vervollkommnung ihres Seelenorgans, des Centralnervensystems, durch Wechselwirkung der Anpassung und Vererbung, entstanden. Die Instinkte werden bekanntermaßen vererbt; allein auch die Erfahrungen, also neue Anpassungen der Thierseele, werden vererbt; und die Abrichtung der Hausthiere zu verschiedenen Seelenthätigkeiten, welche die wilden Thiere nicht im Stande sind auszuführen, beruht auf der Möglichkeit der Seelenanpassung. Wir kennen jetzt schon eine Reihe von Beispielen, in denen solche Anpassungen, nachdem sie erblich durch eine Reihe von Generationen sich übertragen hatten, schließlich als angeborene Instinkte erscheinen, und doch waren sie den Voreltern der Thiere erst erworben. Hier ist die Dressur durch Vererbung in Instinkt übergegangen. Die charakteristischen Instinkte der Jagdhunde, Schäferhunde und anderer Hausthiere, welche sie mit auf die Welt bringen, sind ebenso wie die Naturinstinkte der wilden Thiere, von ihren Voreltern erst durch Anpassung erworben worden. Sie sind in dieser Beziehung den angeblichen "Erkenntnissen a priori" des Menschen zu vergleichen, die ursprünglich von unseren uralten Vorfahren (gleich allen anderen Erkenntnissen) "a posteriori," durch sinnliche Erfahrung, erworben worden. Wie ich schon früher bemerkte, sind offenbar die "Erkenntnisse a priori" erst durch lange andauernde Vererbung von erworbenen Gehirnanpassungen aus ursprünglich empirischen "Erkenntnissen a posteriori" entstanden (S. 26).

Die so eben besprochenen und widerlegten Einwände gegen die Descendenztheorie dürften wohl die wichtigsten sein, welche ihr entgegengehalten worden sind. Ich glaube Ihnen deren Grundlosigkeit genügend dargethan zu haben. Die zahlreichen übrigen Einwürfe, welche außerdem noch gegen die Entwickelungslehre im Allgemeinen oder gegen den biologischen Theil derselben, die Abstammungslehre, im Besonderen erhoben worden sind, beruhen entweder auf einer solchen Unkenntniß der empirisch festgestellten Thatsachen, oder auf einem solchen Mangel an richtigem Verständniß derselben, und an Fähigkeit, die daraus nothwendig sich ergebenden Folgeschlüsse zu ziehen, daß es wirklich nicht der Mühe lohnen würde, hier näher auf ihre Widerlegung einzugehen. Nur einige allgemeine Gesichtspunkte möchte ich Ihnen in dieser Beziehung noch mit einigen Worten nahe legen.

Zunächst ist hinsichtlich des ersterwähnten Punktes zu bemerken, daß, um die Abstammungslehre zu verstehen, und sich ganz von ihrer unerschütterlichen Wahrheit zu überzeugen, ein allgemeiner †berblick über die Gesammtheit des biologischen Erscheinungsgebietes unerläßlich ist. Die Descendenztheorie ist eine biologische Theorie, und man darf daher mit Fug und Recht verlangen, daß diejenigen Leute, welche darüber ein endgültiges Urtheil fällen wollen, den erforderlichen Grad biologischer Bildung besitzen. Dazu genügt es nicht, daß sie in diesem oder jenem Gebiete der Zoologie, Botanik und Protistik specielle Erfahrungskenntnisse besitzen. Vielmehr müssen sie nothwendig eine allgemeine Uebersicht der gesammten Erscheinungsreihen wenigstens in einem der drei organischen Reiche besitzen. Sie müssen wissen, welche allgemeinen Gesetze aus der vergleichenden Morphologie und Physiologie der Organismen, insbesondere aus der vergleichenden Anatomie, aus der individuellen und paläontologischen Entwickelungsgeschichte u. s. w. sich ergeben, und sie müssen eine Vorstellung von dem tiefen mechanischen, ursächlichen Zusammenhang haben, in dem alle jene Erscheinungsreihen stehen. Selbstverständlich ist dazu ein gewisser Grad allgemeiner Bildung und namentlich philosophischer Erziehung erforderlich, den leider heutzutage nicht viele Leute für nöthig halten. Ohne die nothwendige Verbindung von empirischen Kenntnissen und von philosophischem Verständniß derselben kann die unerschütterliche Ueberzeugung von der Wahrheit der Descendenztheorie nicht gewonnen werden.

Nun bitte ich Sie, gegenüber dieser ersten Vorbedingung für das wahre Verständniß der Descendenztheorie, die bunte Menge von Leuten zu betrachten, die sich herausgenommen haben, über dieselbe mündlich und schriftlich ein vernichtendes Urtheil zu fällen! Die meisten derselben sind Laien, welche die wichtigsten biologischen Erscheinungen entweder gar nicht kennen, oder doch keine Vorstellung von ihrer tieferen Bedeutung besitzen. Was würden Sie von einem Laien sagen, der über die Zellentheorie urtheilen wollte, ohne jemals Zellen gesehen zu haben, oder über die Wirbeltheorie, ohne jemals vergleichende Anatomie getrieben zu haben? Und doch begegnen Sie solchen lächerlichen Anmaßungen in der Geschichte der biologischen Descendenztheorie alle Tage! Sie hören Tausende von Laien und von Halbgebildeten darüber ein entscheidendes Urtheil fällen, die weder von Botanik noch von Zoologie, weder von vergleichender Anatomie noch von Gewebelehre, weder von Paläontologie noch von Embryologie Etwas wissen. Daher kömmt es, daß, wie Huxley treffend sagt, die allermeisten gegen Darwin veröffentlichen Schriften das Papier nicht werth sind, auf dem sie geschrieben wurden.



Sie könnten einwenden, daß ja unter den Gegnern der Descendenztheorien doch auch viele Naturforscher, und selbst manche berühmte Zoologen und Botaniker sind. Diese letzteren sind jedoch meist ältere Gelehrte, die in ganz entgegensetzten Anschauungen alt geworden sind, und denen man nicht zumuthen kann, noch am Abend ihres Lebens sich einer Reform ihrer, zur festen Gewohnheit gewordenen Weltanschauung zu unterziehen. Sodann muß aber auch ausdrücklich hervorgehoben werden, daß nicht nur eine allgemeine Uebersicht des ganzen biologischen Erscheinungsbildes, sondern auch ein philosophisches Verständniß zu Erscheinungen einzelnen die bloß nicht der dem, nur gebührt Dieser verdienen. Naturforschers eines Namen den doch ohne erlangen, Berühmtheit gewisse eine ?Entdeckungen? mikroskopische durch heutzutage kann hat, Augen gesunde Jeder, vernachlässigt. völlig meist Naturganzen umfassenden großen des namentlich und Theile übrigen Erkenntniß wird Darüber herbeigeführt. Erfahrungsgebiete engbegrenzter kleiner einzelner Studium specielle das für Neigung vorherrschende hat haben, gemacht bekannt Naturwissenschaft neueren Fortschritte riesigen uns denen mit Thatsachen, empirischen neuen von Unmasse Die erfüllt. keineswegs leider Naturforscher heutigen Theil größten dem bei Vorbedingungen unerläßlichen diese gerade aber Sie finden Nun sind. Descendenztheorie Annahme überzeugte nothwendige desselben>kennen, sondern auch deren ursächlichen Zusammenhang zu
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