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Ernst Haeckel Natürliche Schöpfungsgeschichte


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erkennen strebt. Noch heute untersuchen und beschreiben die meisten Paläontologen die Versteinerungen, ohne die wichtigsten Thatsachen der Embryologie zu kennen. Andrerseits verfolgen die Embryologen die Entwickelungsgeschichte des einzelnen organischen Individuums, ohne eine Ahnung von der paläontologischen Entwickelungsgeschichte des ganzen zugehörigen Stammes zu haben, von welcher die Versteinerungen berichten. Und doch stehen diese beiden Zweige der organischen Entwickelungsgeschichte, die Ontogenie oder die Geschichte des Individuums, und die Phylogenie oder die Geschichte des Stammes, im engsten ursächlichen Zusammenhang, und die eine ist ohne die andere gar nicht zu verstehen. Aehnlich steht es mit dem systematischen und dem anatomischen Theile der Biologie. Noch heute giebt es in der Zoologie und Botanik zahlreiche Systematiker, welcher in dem Irrthum arbeiten, durch bloße sorgfältige Untersuchung der äußeren und leicht zugänglichen Körperformen, ohne die tiefere Kenntniß ihres inneren Baues, das natürliche System der Thiere und Pflanzen construiren zu können. Andrerseits giebt es Anatomen und Histologen, welche das eigentliche Verständniß des Thier- und Pflanzenkörpers bloß durch die genaueste Erforschung des inneren Körperbaues einer einzelnen Species, ohne die vergleichende Betrachtung der gesammten Körperform bei allen verwandten Organismen, gewinnen zu können meinen. Und doch steht auch hier, wie überall, Inneres und Aeußeres, Vererbung und Anpassung in der engsten Wechselbeziehung, und das Einzelne kann nie ohne Vergleichung mit dem zugehörigen Ganzen wirklich verstanden werden. Jenen einseitigen Facharbeitern möchten wir daher mit Goethe zurufen:

„Müsset im Naturbetrachten

Immer Eins wie Alles achten.

Nichts ist drinnen, Nichts ist draußen,

Denn was innen, das ist außen."

und weiterhin:

"Natur hat weder Kern noch Schale

Alles ist sie mit einem Male.“

Noch viel nachtheiliger aber, als jene einseitige Richtung ist für das allgemeine Verständniß des Naturganzen der allgemeine Mangel an philosophischer Bildung, durch welchen sich die meisten Naturforscher der Gegenwart auszeichnen. Die vielfachen Verirrungen der früheren speculativen Naturphilosophie, aus dem ersten Drittel unseres Jahrhunderts, haben bei den exacten empirischen Naturforschern die ganze Philosophie in einen solchen Mißcredit gebracht, daß dieselben in dem komischen Irrwahne leben, das Gebäude der Naturwissenschaft aus bloßen Thatsachen, ohne Verständniß derselben, aufbauen zu können. Während aber ein rein speculatives, absolut philosophisches Lehrgebäude, welches sich nicht um die unerläßliche Grundlage der empirischen Thatsachen kümmert, ein Luftschloß wird, das die erste Erfahrung über den Haufen wirft, so bleibt andrerseits ein rein empirisches, absolut aus Thatsachen zusammengesetztes Lehrgebäude ein wüster Steinhaufen, der nimmermehr den Namen eines Gebäudes verdienen wird. Die nackten, durch die Erfahrung festgestellten Thatsachen sind immer nur die nohen Bausteine, und ohne die denkende Verwerthung, ohne die philosophische Verknüpfung derselben kann keine Wissenschaft entstehen. Wie ich Ihnen schon früher eindringlich vorzustellen versuchte, entsteht nur durch die innigste Wechselwirkung und gegenseitige Durchdringung von Philosophie und Empirie das unerschütterliche Gebäude der wahren, monistischen Wissenschaft, oder was dasselbe ist, der Naturwissenschaft.

Aus dieser beklagenswerthen Entfremdung der Naturforschung von der Philosophie, und aus dem rohen Empirismus, der heutzutage leider von den meisten Naturforschern als "exacte Wissenschaft" gepriesen wird, entspringen jene seltsamen Quersprünge des Verstandes, jene groben Verstöße gene die elementare Logik, jenes Unvermögen zu den einfachsten Schlußfolgerungen, denen Sie heutzutage auf allen Wegen der Naturwissenschaft, ganz besonders aber in der Zoologie und Botanik begegnen können. Hier rächt sich Vernachlässigung der philosophischen Bildung und Schulung des Geistes unmittelbar auf das Empfindlichste. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn jenen rohen Empirikern auch die tiefe innere Wahrheit der Descendenztheorie gänzlich verschlossen bleibt. Wie das triviale Sprichwort sehr treffend sagt, "sehen sie den Wald vor lauter Bäumen nicht." Nur durch allgemeinere philosophische Studien und namentlich durch strengere logische Schulung des Geistes kann diesem schlimmen Uebelstande auf die Dauer abgeholfen werden (vergl. Gen. Morph. I. 63; II, 447).

Wenn sie dieses Verhältniß recht erwägen, und mit Bezug auf die empirische Begründung der philosophischen Entwickelungstheorie weiter darüber nachdenken, so wird es Ihnen auch alsbald klar werden, wie es sich mit den vielfach geforderten "Beweisen für die Descendenztheorie" verhält. Je mehr sich die Abstammungslehre in den letzten Jahren allgemein Bahn gebrochen hat, je mehr sich alle wirlich denkenden jüngeren Naturforscher und alle wirklich biologisch gebildeten Philosophen von ihrer inneren Wahrheit und Unentbehrlichkeit überzeugt haben, desto lauter haben die Gegner derselben nach thatsächlichen Beweisen dafür gerufen. Dieselben Leute, welche kurz nach dem Erscheinen von Darwin's Werke dasselbe für ein "bodenloses Phantasiegebäude,", für eine "willkührliche Speculation," für einen "geistreichen Traum" erklärten, dieselben lassen sich jetzt gütig zu der Erklärung herab, daß die Descendenztheorie allerdings eine wissenschaftliche "Hypothese" sei, daß dieselbe aber erst noch "bewiesen" werden müsse. Wenn diese Aeußerungen von Leuten geschehen, die nicht die erforderliche empirisch-philosophische Bildung, die nicht die nöthigen Kenntnisse in der vergleichenden Anantomie, Embryologie und Paläontologie besitzen, so läßt man sich das gefallen, und verweist sie auf die in jenen Wissenschaften niedergelegten Argumente. Wenn aber die gleichen Aeußerungen von anerkannten Fachmännern geschehen, von Lehrern der Zoologie und Botanik, die doch von Rechtswegen einen Ueberblick über das Gesammtgebiet ihrer Wissenschaft besitzen sollten, oder die wirklich mit den Thatsachen jener genannten Wissenschaftsgebiete vertraut sind, dann weiß man in der That nicht, was man dazu sagen soll! Diejenigen, denen selbst der jetzt bereits gewonnene Schatz an empirischer Naturerkenntniß nicht genügt, um darauf die Descendenztheorie sicher zu begründen, die werden auch durch keine andere, etwa noch später zu endeckenden Thatsachen von ihrer Wahrheit überzeugt werden. Ich muß Sie hier wiederholt darauf hinweisen, daß alle großen, allgemeinen Gesetze und alle umfassenden Erscheinungsreihen der verschiedensten biologischen Gebiete einzig und allein durch Entwickelungstheorie (und speciell durch den biologischen Theil derselben, die Descendenztheorie) erklärt und verstanden werden können, und daß sie ohne dieselbe gänzlich unerklärt und unbegriffen bleiben. Sie alle begründen in ihrem inneren ursächlichen Zusammenhang die Descendenztheorie als das größte biologische Inductionsgesetz. Erlauben Sie mir, Ihnen schließlich nochmals alle jene Inductionsreihen, alle jene allgemeinen biologischen Gesetze, auf welchen dieses umfassende Entwickelungsgesetz unumstößlich fest ruht, im Zusammenhang zu nennen:

1) Die paläontologische Entwickelungsgeschichte der Organismen, das stufenweise Auftreten und die historische Reihenfolge der verschiedenen Arten und Artengruppen, die empirischen Gesetze des paläontologischen Artenwechsels, wie sie uns durch die Versteinerungskunde geliefert werden, insbesondere die fortschreitende Differenzirung und Vervollkommnung der Thier- und Pflanzengruppen in den auf einander folgenden Perioden der Erdgeschichte.

2) Die individuelle Entwickelungsgeschichte der Organismen, die Embryologie und Metamorphologie, die stufenweisen Veränderungen in der allmählichen Ausbildung des Körpers und seiner einzelnen Organe, namentlich die fortschreitende Differenzirung und Vervollkommnung der Organe und Körpertheile in den auf einander folgenden Perioden der individuellen Entwickelung.

3) Der innere ursächliche Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phylogenie, der Parallelismus zwischen der individuellen Entwickelungsgeschichte der Organismen und der paläontologischen Entwickelungsgeschichte ihrer Vorfahren; ein Causalnexus, der durch die Gesetze der Vererbung und Anpassung thatsächlich begründet wird, und der sich in den Worten zusammenfassen läßt: Die ganze Ontogenie wiederholt in großen Zügen nach den Gesetzen der Vererbung und Anpassung das Gesammtbild der Phylogenie.

4) Die vergleichende Anatomie der Organismen, der Nachweis von der wesentlichen Uebereinstimmung des inneren Baues der verwandten Organismen, trotz der größten Verschiedenheit der äußeren Form bei den verschiedenen Arten; die Erklärung derselben durch die ursächliche Abhängigkeit der inneren Uebereinstimmung des Baues von der Vererbung, der äußeren Ungleichheit der Körperform von der Anpassung.

5) Der innere ursächliche Zusammenhang zwischen der vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte, die harmonische Uebereinstimmung zwischen den Gesetzen der stufenweisen Ausbildung, der fortschreitenden Differenzirung und Vervollkommnung, wie sie uns durch die vergleichende Anatomie auf der einen Seite, durch die Ontogenie und Paläontologie auf der anderen Seite klar vor Augen gelegt werden.

6) Die Unzweckmäßgikeitslehre oder Dysteleologie, wie ich früher die Wissenschaft von den rudimentären Organen, von den verkümmerten und entarteten, zwecklosen und unthätigen Körpertheilen genannte habe; einer der wichtigsten und interessantesten Theile der vergleichenden Anatomie, welcher, richtig gewürdigt, für sich allein schon im Stande ist, den Grundirrthum der teleologischen und dualistischen Naturbetrachtung zu widerlegen, und die alleinige Begründung der mechanischen und monistischen Weltanschauung zu beweisen.

7) Das natürliche System der Organismen, die natürliche Gruppirung aller verschiedenen Formen von Thieren, Pflanzen und Protisten in zahlreiche, kleinere und größere, neben und über einander geordnete Gruppen; der verwandtschaftliche Zusammenhang der Arten, Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen, Stämme u. s. w.; ganz besonders aber die baumförmig verzweigte Gestalt des natürlichen Systems, welche aus einer naturgemäßen Anordnung und Zusammenstellung aller dieser Gruppenstufen oder Kategorien sich von selbst ergiebt. Die stufenweis verschiedene Formverwandtschaft derselben ist nur dann erklärlich, wenn man sie als Ausdruck der wirklichen Blutsverwandtschaft betrachtet; die Baumform des natürlichen Systems kann nur als wirklicher Stammbaum der Organismen verstanden werden.

8) Die Chorologie der Organismen, die Wissenschaft von der räumlichen Verbreitung der organischen Species, von ihrer geographischen und topographischen Vertheilung über die Erdoberfläche, über die Höhen der Gebirge und die Tiefen des Meeres, insbesondere die wichtige Erscheinung, daß jede Organismenart von einem sogenannten "Schöpfungsmittelpunkte" (richtiger "Urheimath" oder "Ausbreitungszentrum" genannt) ausgeht, d. h. von einem einzelnen Ort, an welchem dieselbe einmal entstand, und von dem aus sie sich über die Erde verbreitete.

9) Die Oecologie der Organismen, die Wissenschaft von den gesammten Beziehungen der Organismen zur umgebenden Außenwelt, zu den organischen und anorganischen Existenzbedingungen; die sogenannte "Oekonomie der Natur", die Wechselbeziehungen aller Organismen, welche an einem und demselben Orte mit einaner leben, ihre Anpasusng an die Umgebung, ihre Umbildung durch den Kampf um's Dasein, insbesondere die Verhältnisse des Parasitismus u. s. w. Grade diese Erscheinungen der "Naturökonomie", welche der Laie bei oberflächlicher Betrachtung als die weisen Einrichtungen eines planmäßig wirkenden Schöpfers anzusehen pflegt, zeigen sich bei tieferem Eingehen als die nothwendigen Folgen mechanischer Ursachen.

10) Die Einheit der gesammten Biologie, der tiefe innere Zusammenhang, welcher zwischen allen genannten und allen übrigen Erscheinungsreihen in der Zoologie, Protistik und Botanik besteht, und welcher sich einfach und natürlich aus einem einzigen gemeinsamen Grunde derselben erklärt. Dieser Grund kann kein anderer sein, als die gemeinsame Abstammung aller verschiedenartigen Organismen von einer einzigen, oder mehreren, absolut einfachen Stammformen, gleich den organlosen Moneren. Indem die Descendenztheorie diese gemeinsame Abstammung annimmt, wirft sie sowohl auf jene einzelnen Erscheinungsreihen, als auf die Gesammtheit derselben ein erklärendes Licht, ohne welches sie uns in ihrem inneren ursächlichen Zusammenhang ganz unverständlich bleiben. Die Gegner der Descendenztheorie vermögen uns weder eine einzige von jenen Erscheinungsformen, noch ihren inneren Zusammenhang unter einander irgendwie zu erklären. So lange sie dies nicht vermögen, bleibt die Abstammungslehre die unentbehrliche biologischeTheorie.

Auf Grund der angeführten großartigen Zeugnisse würden wir Lamarck's Descendenztheorie zur Erklärung der biologischen Phänomene selbst dann annehmen müssen, wenn wir nicht Darwin's Selectionstheorie besäßen. Nun kommt aber dazu, daß wie ich Ihnen früher zeigte, die erstere durch die letztere so vollständige direct bewiesen und durch mechanische Ursachen begründet wird, wie wir es nur verlangen können. Die Gesetze der Vererbung und der Anpassung sind allgemein anerkannte physiologische Thatsachen, jene auf die Fortpflanzung, diese auf die Ernährung der Organismen zurückführbar. Andrerseits ist der Kampf um's Dasein eine biologische Thatsache, welche mit mathematischer Nothwendigkeit aus dem allgemeinen Mißverhältniß«zwischen der Durchschnittszahl der organischen Individuen und der Ueberzahl ihrer Keime folgt. Indem aber Anpassung und Vererbung im Kampf um's Dasein sich in beständiger Wechselwirkung befinden, folgt daraus mit unvermeidlicher Nothwendigkeit die natürliche Züchtung, welche überall und beständig umbildend auf die organischen Arten einwirkt, und neue Arten durch Divergenz des Charakters erzeugt. Wenn wir diese Umstände recht in Erwägung ziehen, so erscheint uns die beständige und allmähliche Umbildung oder Transmutation der organischen Species als ein biologischer Proceß, welcher nothwendig aus der eigenen Natur der Organismen und ihren gegenseitigen Wechselbeziehungen folgen muß.

Daß auch der Ursprung des Menschen aus diesem allgemeinen organischen Umbildungsvorgang erklärt werden muß, und daß er sich aus diesem ebenso einfach als natürlich erklärt, glaube ich Ihnen in dem letzten Vortrage hinreichend bewiesen zu haben. Ich kann aber hier nicht umhin, Sie hier nochmals auf den unzertrennlichen Zusammenhang dieser sogenannten "Affenlehre" oder "Pithekoidentheorie" mit der gesammten Descendenztheorie hinzuweisen. Wenn die letztere das größte Inductionsgesetz der Biologie ist, so folgt daraus die erstere mit Nothwendigkeit, als das wichtigste Deductionsgesetz derselben. Beide stehen und fallen mit einander. Da auf das richtige Verständniß dieses Satzes, den ich für höchst wichtig halte und deßhalb schon mehrmals hervorgehoben habe, hier Alles ankommt, so erlauben Sie mir, denselben jetzt noch mit wenigen Worten an einem Bespiele zu erläutern.

Bei allen Säugethieren, die wir kennen, ist der Centraltheil des Nervensystems das Rückenmark und das Gehirn, und der Centraltheil des Blutkreislaufs ein vierfächeriges, aus zwei Kammern und zwei Vorkammern zusammengesetzes Herz. Wir ziehen daraus den allgmeinen Inductionsschluß, daß alle Säugethiere ohne Ausnahme, die ausgestorbenen und die uns noch unbekannten lebenden Arten, eben so gut wie die von uns untersuchten Species, die gleiche Organisation, ein gleiches Herz, Gehirn und Rückenmark besitzen. Wenn nun in irgend einem Erdtheile, wie es noch jetzt alljährlich vorkömmt, irgend eine neue Säugethierart entdeckt wird, z. B. eine neue Beutelthierart, oder eine neue Rattenart, oder eine neue Affenart, so weiß jeder Zoolog von vornherein, ohne den inneren Bau derselben untersucht zu haben, ganz bestimmt, daß diese Species, eben so wie alle übrigen Säugethiere, ein vierfächeriges Herz, ein Gehirn und ein Rückenmark besitzen muß. Keinem einzigen Naturforscher fällt es ein, daran zu zweifeln, und etwa zu denken, daß das Centralnervensystem bei dieser neuen Säugethierart möglicherweise aus einem Bauchmark mit Schlundring, wie bei den Gliedfüßern,oder aus zerstreuten Knotenpaaren, wie bei den Weichthieren bestehen könnte; oder daß das Herz vielkammerig, wie bei den Insecten, oder einkammerig, wie bei den Mantelthieren sein könnte. Jener ganz bestimmte und sichere Schluß, welcher doch auf gar keiner unmittelbaren Erfahrung beruht, ist ein Deductionsschluß. Ebenso begründete Goethe, wie ich in einem früheren Vortrage zeigte, aus der vergleichenden Anatomie der Säugethiere den allgemeinen Inductionsschluß, daß dieselben sämmtlich einen Zwischenkiefer besitzen, und zog daraus später den besonderen Deductionsschluß, daß auch der Mensch, der in allen übrigen Beziehungen nicht wesentlich von den anderen Säugethieren verschieden sei, einen solchen Zwischenkiefer besitzen müsse. Er behauptete diesen Schluß, ohne den Zwischenkiefer des Menschen wirklich gesehen zu haben und bewies dessen Existenz erst nachträglich durch die wirkliche Beobachtung (S. 70).



Die Induction ist also ein logisches Schlußverfahren aus dem Besonderen auf das Allgemeine, aus vielen einzelnen Erfahrungen auf ein allgemeines Gesetz; die Deduction dagegen schließt ausdem Allgemeinen auf das Besondere, aus einem allgemeinen Naturgesetze auf einen einzelnen Fall. So ist nun auch ohne allen Zweifel die Descendenztheorie ein durch alle genannten biologischen Erfahrungen empirisch begründetes großes Inductionsgesetz; die Pithekoidentheorie dagegen, die Behauptung, daß der Mensch sich aus niederen, und zunächst aus affenartigen Säugethiere entwickelt habe, ein einzelnes Deductionsgesetz, welches mit jenem allgemeinen Inductionsgesetze unzertrennlich verbunden ist.

Der Stammbaum des Menschengeschlechts, wie ich seine Grundzüge Ihnen im letzten Vortrage in ungefähren Umrissen gegen habe, bleibt natürlich (gleich allen vorher erörterten Stammbäumen der Thiere und Pflanzen) in allen seinen Einzelheiten nur eine mehr oder weniger annähernde genealogische Hypothese. Dies thut aber der Anwendung der Descendenztheorie auf den Menschen im Ganzen keinen Eintrag. Hier wie bei allen Untersuchungen über die Abstammungsverhältnisse der Organismen, müssen Sie wohl unterscheiden zwischen der allgemeinen oder generellen Descendenz- Theorie, und der besonderen oder speciellen Descendenz- Hypothese. Die allgemeine Abstammungs-Theorie beansprucht volle und bleibende Geltung, weil sie durch alle vorher genannten allgemeinen biologischen Erscheinungsreihen, und durch deren inneren ursächlichen Zusammenhang inductiv begründet wird. Jede besondere Abstammungs-Hypothese dagegen ist in ihrer speciellen Geltung durch den jeweiligen Zustand unserer biologischen Erkenntniß bedingt, und durch die Ausdehnung der objectiven empirischen Grundlage, auf welche wir durch subjective Schlüsse diese Hypothese deductiv gründen. Daher besitzen alle einzelnen Versuche zur Erkenntniß des Stammbaums irgend einer Organismengruppe immer nur einen zeitweiligen und bedingten Werth, und unsere specielle Hypothese darüber wird immer mehr vervollkommnet werden, je weiter wir in der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Paläontologie der betreffenden Gruppe fortschreiten. Je mehr wir uns dabei aber in genealogische Einzelheiten verlieren, je weiter wir die einzelnen Aeste und Zweige des Stammbaumes verfolgen, desto unsicherer und subjectiver wird wegen der Unvollständigkeit der empirischen Grundlagen unsere specielle Abstammungs- Hypothese. Dies thut jedoch der Sicherheit der generellen Abstammungs-Theorie, welche das unentbehrliche Fundament für jedes tiefere Verständniß der biologischen Erscheinungen ist, keinen Abbruch. So erleidet es denn auch keinen Zweifel, daß wir die Abstammung des Menschen Menschen zunächst aus affenartigen, weiterhin aus niederen Säugethieren, und so immer weiter aus immer tieferen Stufen des Wirbelthierstammes, bis zu dessen tieffsten wirbellosen Wurzeln hinunter, als allgemeine Theorie mit voller Sicherheit behaupten können und müssen. Dagegen wird die specielle Verfolgung des menschlichen Stammbaums, die nähere Bestimmung der uns bekannten Thierformen, welche entweder wirklich zu den Vorfahren des Menschen gehörten oder diesen wenigstens nächststehende Blutsverwandte waren, stets eine mehr oder minder annähernde Descendenz-Hypothese bleiben, welche um so mehr Gefahr läuft, sich von dem wirklichen Stammbaum zu entfernen, je näher sie demselben durch Aufsuchung der einzelnen Ahnenformen zu kommen sucht. Dies ist mit Nothwendigkeit durch die ungeheure Lückenhaftigkeit unserer paläontologischen Kenntnisse bedingt, welche unter keinen Umständen jemals eine annähernde Vollständigkeit erreichen werden (S. 308-314).

Aus der denkenden Erwägung dieses wichtigen Verhältnisses ergiebt sich auch bereits die Antwort auf eine Frage, welche gewöhnlich zunächst bei Besprechung dieses Gegenstandes aufgeworfen wird, nämlich die Frage nach den wissenschaftlichen Beweisen für den thierischen Ursprung des Menschengeschlechts. Nicht allein die Gegner der Descendenztheorie, sondern auch viele Anhänger derselben, denen die gehörige philosophische Bildung mangelt, pflegen dabei vorzugsweise an einzelne Erfahrungen, an specielle empirische Fortschritte der Naturwissenschaft zu denken. Man erwartet, daß plötzlich die Entdeckung einer geschwänzten Menschenrasse oder einer sprechenden Affenart, oder einer anderen lebenden oder fossilen Uebergangsform zwischen Menschen und Affen, die zwischen beiden bestehende enge Kluft noch ausfüllen, und somit die Abstammung des Menschen vom Affen empirisch "beweisen" soll. Derartige einzelne Erfahrungen, und wären sie anscheinend noch so überzeugend und beweiskräftig, können aber niemals den gewünschten Beweis liefern. Gedankenlose oder mit den biologischen Erscheinungsreihen unbekannte Leute werden jenen einzelnen Zeugnissen immer dieselben Einwände entgegen halten können, die sie unserer Theorie auch jetzt entgegen halten.

Die unumstößliche Sicherheit der Descendenz-Theorie, auch in ihrer Anwendung auf den Menschen, liegt vielmehr viel tiefer, und kann niemals bloß durch einzelne impirische Erfahrungen, sondern nur durch philosophische Vergleichung und Verwerthung unseres gesammten biologischen Erfahrungsschatzes in ihrem wahren inneren Werthe erkannt werden. Sie liegt eben darin, daß die Descendenztheorie als ein allgemeines Inductionsgesetz aus der vergleichenden Synthese aller organischen Naturerscheinungen, und insbesondere aus der dreifachen Parallele der vergleichenden Anatomie, Ontogenie und Phylogenie mit Nothwendigkeit folgt; und die Pithekoidentheorie bleibt unter allen Umständen (ganz abgesehen von allen Einzelbeweisen) ein specieller Deductionsschluß, welcher wieder aus dem generellen Inductionsgesetz der Descendenztheorie mit Nothwendigkeit gefolgert werden muß.

Auf das richtige Verständniß dieser philosophischen Begründung der Descendenztheorie und der mit ihr unzertrennlich verbundenen Pithekoidentheorie kömmt meiner Ansicht nach Alles an. Viele von Ihnen werden mir dies vielleicht zugeben, aber mir zugleich entgegen halten, daß das Alles nur von der körperlichen, nicht von der geistigen Entwickelung des Menschen gelte. Da wir nun bisher und bloß mit der ersteren beschäftigt haben, so ist es wohl nothwendig, hier auch noch auf die letztere einen Blick zu werfen, und zu zeigen, daß auch sie jenem großen allgemeinen Entwickelungsgesetze unterworfen ist. Dabei ist es vor Allem nothwendig, sich in's Gedächtniß zurückzurufen, wie überhaupt das Geistige vom Körperlichen nie völlig geschieden werden kann, beide Seiten der Natur vielmehr unzertrennlich verbunden sind, und in der inngisten Wechselwirkung mit einander stehen. Wie schon

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