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Ernst Haeckel Natürliche Schöpfungsgeschichte


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Siebzehnter Vortrag.


Stammbaum und Geschichte des Thierreichs.

I. Stammbaum und Geschichte der wirbellosen Thiere.

(Hierzu Taf. III, IV und V.)

{Siehe Inhaltsverzeichniß ... }

Meine Herren! Das natürliche System der Organismen, welches wir ebenso im Thierreich wie im Pflanzenreich zunächst als Leitfaden für unsere genealogischen Untersuchungen benutzen müssen, ist hier wie dort erst neueren Ursprungs, und wesentlich durch die Fortschritte unseres Jahrhunderts in der vergleichenden Anatomie und Ontogenie bedingt. Die Klassificationsversuche des vorigen Jahrhunderts bewegten sich fast sämmtlich noch in der Bahn des künstlichen Systems, welches zuerst Carl Linné in strengerer Form aufgestellt hatte. Das künstliche System unterscheidet sich von dem natürlichen wesentlich dadurch, daß es nicht die gesammte Organisation und die innere, auf der Blutsverwandtschaft beruhende Formverwandtschaft zur Grundlage der Eintheilung macht, sondern nur einzelne und dazu meist noch äußerliche, leicht in die Augen fallende Merkmale. So unterschied Linné seine 24 Klassen des Pflanzenreichs wesentlich nach der Zahl, Bildung und Verbindung der Staubgefäße. Ebenso unterschied derselbe im Thierreiche sechs Klassen wesentlich nach der Beschaffenheit des Herzens und des Blutes. Diese sechs Klassen waren: 1. die Säugethiere; 2. die Vögel; 3. die Amphibien; 4. die Fische; 5. die Insecten und 6. die Würmer.

Diese sechs Thierklassen Linné's sind aber keineswegs von gleichem Werthe, und es war schon ein wichtiger Fortschritt, als Lamarck zu Ende vorigen Jahrhunderts die vier ersten Klassen als Wirbelthiere (Vertebrata) zusammenfaßte, und diesen die übrigen Thiere, die Insecten und Würmer Linné's, als eine zweite Hauptabtheilung, als Wirbellose (Invertebrata) gegenüberstellte. Eigentlich griff Lamarck damit auf den Vater der Naturgeschichte, auf Aristoteles zurück, welche diese beiden großen Hauptgruppen bereits unterschieden, und die ersten Blutthiere, die letzteren Blutlose genannt hatte.

Den nächsten großen Fortschritt zum natürlichen System des Thierreichs thaten einige Decennien später zwei der verdienstvollsten Zoologen, Carl Ernst Bär und George Cuvier. Wie schon früher erwähnt wurde, stellten dieselben fast gleichzeitig, und uabhängig von einander, die Behauptung auf, daß mehrere grundverschiedene Hauptgruppen im Thierreich zu unterscheiden seien, von denen jede einen ganz eigenthümlichen Bauplan oder Typus besitze. (Vergl. oben S. 42, 43). In jeder dieser Hauptabtheilungen giebt es eine baumartig verzweigte Stufenleiter von sehr einfachen und unvollkommenen bis zu höchst zusammengesetzten und entwickelten Formen. Der Ausbildungsgrad innerhalb eines jeden Typus ist ganz unabhängig von dem eigenthümlichen Bauplan, der dem Typus als besonderer Charakter zu Grunde liegt. Dieser "Typus" wird durch das eigenthümliche Lagerungsverhältniß der wichtigsten Körpertheile und die Verbindungsweise der Organe bestimmt. Der Ausbildungsgrad dagegen ist abhängig von der mehr oder weniger weitgehenden Arbeitstheilung oder Differenzirung der Plastiden und Organe. Diese außerordentlich wichtige und fruchtbare Idee begründete Bär, welcher sich auf die individuelle Entwickelungsgeschichte der Thiere stützte, viel klarer und tiefer als Cuvier, welcher sich bloß an die Resultate der vergleichenden Anatomie hielt. Doch erkannte weder dieser noch jener die wahre Ursache jenes merkwürdigen Verhältnisses. Diese wird uns erst durch die Descendenztheorie enthüllt. Sie zeigt uns, daß der gemeinsame Typus oder Bauplan durch die Vererbung, der Grad der Ausbildung oder Sonderung dagegen durch die Anpassung bedingt ist. (Gen. Morph. II, 10).

Sowohl Bär als Cuvier unterscheiden im Thierreich vier verschiedene Typen oder Baupläne und theilten dasselbe dem entsprechend in vier große Hauptabtheilungen (Zweige oder Kreise) ein. Die erste von diesen wird durch die Wirbelthiere (Vertebrata) gebildet, welche die vier ersten Klassen Linné's umfassen: die Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fische. Den zweiten Typus bilden die Gliederthiere (Articulata), welche die Insecten Linné's, also die eigentlichen Insecten, die Tausendfüße, Spinnen und Krebse, außerdem aber auch einen großen Theil der Würmer, insbesondere die gegliederten Würmer enthalten. Die dritten Hauptabtheilung umfaßt die Weichthiere (Mollusca): die Pulpen, Schnecken, Muscheln, und einige verwandte Gruppen. Der vierte und letzte Kreis des Thierreichs endlich ist aus den verschiedenen Strahlthieren (Radiata) zusammengesetzt, welche sich auf den ersten Blick von den drei vorhergehenden Typen durch ihre "strahlige", blumenähnliche Körperform unterscheiden. Während nämlich bei den Weichthieren, Gliederthieren und Wirbelthieren der Körper aus zwei symmethrisch-gleichen Seitenhälften besteht, aus zwei Gegenstücken oder Antimeren, von denen das eine das Spiegelbild des anderen darstellt, so ist dagegen bei den sogenannten Strahlthieren der Körper aus mehr als zwei, gewöhnlich vier, fünf oder sechs Gegenstücken zusammengsetzt, welche wie bei einer Blume um eine gemeinsame Hauptaxe gruppirt sind. So auffallend dieser Unterschied zunächst auch erscheint, so ist er doch im Grunde nur von höchst untergeordneter Bedeutung.

Die Aufstellung dieser natürlichen Hauptgruppen, Typen oder Kreise des Thierreichs, durch Bär und Cuvier war der größte Fortschritt in der Klassification seit Linné. Die drei Gruppen der Wirbelthieren, Gliederthiere und Weichthiere sind so naturgemäß, daß sie noch heutzutage fast allgemein beibehalten werden. Dagegen mußte die unnatürliche Vereinigung der Strahlthiere bei genauerer Erkenntniß alsbald aufgelöst werden, und dieser wichtige Fortschritt wurde 1848 durch Leuckart gethan. Er wies zuerst nach, daß darunter zwei grundverschiedene Typen vermischt seien, nämlich einerseits die Sternthiere (Echinodermata): die Seesterne, Seelilien, Seeigel und Seewalzen; andrerseits die Pflanzenthiere (Coelenterata): die Schwämme, Korallen, Schirmquallen und Kammquallen. Gleichzeitig wurden durch Siebold die Infusionsthierchen oder Infusorien mit den Wurzelfüßern oder Rhizopoden in einer besonderen Hauptabtheilung des Thierreichs als Urthiere (Protozoa) vereinigt. Dadurch stieg die Zahl der thierischen Typen oder Kreise auf sechs. Endlich wurde dieselbe noch dadurch um einen siebenten Typus vermehrt, daß die meisten neueren Zoologen die Hauptabtheilung der Gliederthiere oder Articulaten in zwei Gruppen trennten, einerseits die mit gegliederten Beinen versehenen Gliedfüßer (Arthropoda) welche den Insecten im Sinne Linné's entsprechen, nämlich die eigentlichen (sechsbeinigen) Insecten, die Tausendfüße, Spinnen und Krebse; andrerseits die fußlosen oder mit ungegliederten Füßen versehenen Würmer (Vermes). Diese letzteren umfassen nur die eigentlichen oder echten Würmer (die Ringelwürmer, Rundwürmer, Plattwürmer u. s. w.), und entsprechen daher keineswegs den Würmern in Linné's Sinne,welcher dazu auch noch die Weichthiere, Strahlthiere und viele andere rechnete.

So wäre denn nach der Anschauung der neueren Zoologen, welche Sie fast in allen Hand- und Lehrbüchern der gegenwärtigen Thierkunde vertreten finden, das Thierreich aus sieben ganz verschiedenen Hauptabtheilungen oder Typen zusammengesetzt, deren jede durch einen charakteristischen, ihr ganz eigenthümlichen sogenannten Bauplan ausgezeichnet, und von jeder der anderen völlig verschieden ist. In dem natürlichen System des Thierreichs, welches ich Ihnen jetzt als den wahrscheinlichen Stammbaum desselben entwickeln werde, schließe ich mich im Großen und Ganzen dieser üblichen Eintheilung an, jedoch nicht ohne einige Modificationen, welche ich in Betreff der Genealogie für sehr wichtig halte. Unverändert in ihrem bisherigen Umfange werde ich die drei Typen der Wirbelthiere, Gliedfüßer, und Sternthiere beibehalten. Dagegen müssen die drei Gruppen der Weichthiere, Würmer und Pflanzenthiere einige Veränderungen ihres Gebiets erleiden. Den siebenten und letzten Kreis, den der Urthiere oder Protozoen, löse ich ganz auf. Den größten Theil der jetzt gewöhnlich als Urthiere angesehenen Organismen, nämlich die Wurzelfüßer, Amoeboiden, Geißelschwärmer und Meerleuchten betrachte ich als Protisten und habe Ihnen dieselben bereits vorgeführt. Von den beiden noch übrigen Klassen der Urthiere betrachte ich die Schwämme als Wurzel des Pflanzenthierstammes, die Infusorien als Wurzel des Würmerstammes.

Die sechs Zweige oder Kreise des Thierreichs, welche nach Ausscheidung der Protozoen übrig bleiben, sind ohne Zweifel durch ihre Anatomie und Entwickelungsgeschichte dergestalt charakterisirt, daß man sie im Sinne von Bär und Cuvier als selbstständige "Typen" auffassen kann. Trotz aller Mannichfaltigkeit in der äußeren Form, welche innerhalb jedes dieser Typen sich entwickelt, ist dennoch die Grundlage des inneren Baues, das wesentliche Lagerungsverhältniß der Körpertheile, welches den Typus bestimmt, so constant, bei allen Gliedern jedes Typus so übereinstimmend, daß man dieselben eben wegen dieser inneren Formverwandtschaft im natürlichen System in einer einzigen Hauptgruppe vereinigen muß. Daraus folgt aber unmittelbar, daß diese Vereinigung auch im Stammbaum des Thierreichs stattfinden muß. Denn die wahre Ursache jener innigen Formverwandtschaft kann nur die wirkliche Blutsverwandtschaft sein. Wir können also ohne Weiteres den wichtigen Satz aufstellen, daß alle Thiere welche zu einem und demselben Kreis oder Typus gehören, von einer und derselben ursprünglichen Stammform abstammen müssen. Mit anderen Worten, der Begriff des Kreises oder Typus, wie er in der Zoologie seit Bär und Cuvier für die wenigen obersten Hauptgruppen oder "Unterreiche" des Thierreichs gebräuchlich ist, fällt zusammen mit dem Begriffe des Stammes oder Phylum, wie ihn die Descendenztheorie für die Gesammheit derjenigen Organismen anwendet, welche ohne Zweifel blutsverwandt sind, und eine gemeinsame Wurzel besitzen.

Die übereinstimmenden Zeugnisse der vergleichenden Anatomie, Embryologie und Paläontologie begründen diese Blutsverwandtschaft aller Angehörigen eines jeden Typus so sicher, daß schon jetzt darüber kaum ein Zweifel herrschen kann. Wenigstens gilt dies fast ohne Widerspruch von den fünf Stämmen der Wirbelthiere, Gliedfüßer, Weichthiere, Sternthiere und Pflanzenthiere. Zweifelhafter ist dies bei den Würmern, deren Kreis auch in seiner heutigen Zusammensetzung immer noch ein buntes Gemisch von sehr verschiedenartigen Thieren darstellt, welche wesentlich nur in negativen Merkmalen, in der tiefen Stufe ihre Organisation und in dem indifferenten Charakter ihres Baues übereinstimmen. Noch heute ist ebenso wie zu Zeiten Linné's die Würmerklasse die allgemeine Rumpelkammer der Zoologie, in welche die Systematiker alle Thiere hineinwerfen, die sie in keinem anderen Typus oder Phylum mit Sicherheit unterbringen können. Dieses seltsame Verhältniß hat aber seinen guten Grund, und zwar darin, daß wir mit größter Wahrscheinlichkeit den Würmerstamm (in seinem heutigen Umfang) als die gemeinsame Wurzel oder Stammgruppe des ganzen Thierreichs ansehen können.

Obwohl jeder der fünf Stämme (nach Ausschluß des Würmerstammes) eine aufsteigende baumförmig verzweigte Stufenleiter von sehr einfachen und niederen zu sehr zusammengesetzten und hochorganisirten Thieren darstellt, so sind dennoch die unvollkommensten und niedersten Formen derselben immer bereits so differenzirt, daß sie nicht die ursprünglichen Stammformen des ganzen Stammes darstellen können. Dies gilt ebenso von den niedersten Stufen der Wirbelthiere und Gliedfüßer, wie von den unvollkommensten Formen der Weichthiere, Sternthiere und Pflanzenthiere. Wollen wir aber die ersten und ältesten Vorfahren derselben erkennen, so müssen wir nothwendig auf noch tiefer stehende Organismen zurückgehen.

Die Embryologie der Thiere belehrt uns, daß jedes Individuum sich aus einer einfachen Zelle, einem Ei entwickelt, und hieraus können wir, auf den innigen ursächlichen Zusammenhang zwischen Ontogenie und Phylogenie gestützt, unmittelbar den wichtigen Schluß ziehen, daß auch die ältesten Stammformen eines jeden Phylum einfache Zellen, gleich den Eiern, waren. Diese Zellen selbst aber müssen, wie ich Ihnen schon früher zeigte, von Moneren abstammen, die durch Urzeugung entstanden sind. Welche Formenkette liegt nun aber zwischen jenen einfachen Stammzellen und zwischen den verhältnißmäßig schon hoch organisirten Thieren, die wir heutzutage als die niedersten und ältesten Formen eines jeden der fünf genannten Stämme ansehen? Auf diese Frage erhalten wir durch die vergleichende Anatomie und Embryologie zwar keine ganz bestimmte Antwort, aber doch einen sehr wichtigen Hinweis. Es zeigt sich nämlich, daß unter der bunten Formenmasse des gestaltenreichen Würmerstammes eine ganze Anzahl von interessanten Thierformen versteckt ist, welche wir mit einem mehr oder weniger hohen Grade von Wahrscheinlichkeit als Uebergangsformen von den niederen Würmern zu den niedersten Entwickelungsstufen der fünf übrigen Stämme ansehne können. Wir dürfen in ihnen noch jetzt lebende nahe Verwandte von jenen längst ausgestorbenen Würmern vermuthen, aus denen sich in altersgrauer primordialer Vorzeit die fünf Stammformen der fünf übrigen Phylen entwickelten. So gleichen namentlich einige Infusionsthiere den ersten Jugendzuständen der Pflanzenthiere. Einige Weichwürmer und die Mosthiere schließen sich an die Weichthiere an. Die Sternwürmer und einige Ringelwürmer führen uns zu den Sternthieren hinüber, andere Ringelwürmer dagegen und die Räderthiere zu den Gliederfüßern. Die Mantelthiere endlich schließen sich zunächst an die Wirbelthiere an, indem die Jugendzustände von den niedersten Formen beider Gruppen nahe verwandt sind.

Erwägen wir nun einerseits diese unleugbare anatomische und embryologische Verwandtschaft einzelner Würmergruppen mit den niedersten und tiefststehenden Ausgangsformen der fünf übrigen Stämme, andrerseits die vielfache verwandtschaftliche Verketten, durch welche die verschiedenen Gruppen des Würmerstammes trotz aller Verschiedenheiten unter sich innig verbunden sind, so gelangen wir schließlich zu der Anschauung, daß auch für das gesammte Thierreich ein gemeinsamer Ursprung aus einer einzigen Wurzel oder Stammform das Wahrscheinlichste ist. Auch hier, wie im Pflanzenreich, gewinnt bei näherer und eingehenderer Betrachtung die einstämmige oder monophyletische Descendenzhypothese, wie sie auf Taf. III. dargestellt ist, das Uebergewicht über die entgegengesetzte, vielstämmige oder polyphyletische Hypothese, von welcher Ihnen die nachstehende Tabelle (S. 392) eine Anschauung giebt.

Die polyphyletische Hypothese vom Ursprung des Thierreichs kann in sehr verschiedener Form gedacht werden. Im Gegensatz zu der auf S. 392 dargestellten Form derselben könnte man es zunächst z. B. für das Wahrscheinlichste halten, daß jeder der sechs thierischen Stämme selbstständigen Ursprungs ist und sich ganz unabhängig von den fünf anderen aus einer besonderen Zellenform entwickelt hat, die von einem besonderen, durch Urzeugung entstandenen Moner abstammt. Gegen diese Vorstellung spricht erstens die merkwürdige Uebereinstimmung der frühesten embryonalen Entwickelungszustände bei den verschiedenen Stämmen, und zweitens die Menge von verbindenden Uebergangsformen, welche einerseits zwischen den verschiedenen Gruppen des Würmerstammes, und andrerseits zwischen diesen und den niedersten, auf tiefster Sonderungsstufe stehen gebliebenen Thieren der fünf übrigen Stamme existiren.

Die wahrscheinlichste genealogische Hypothese über den Ursprung und die paläontologische Entwickelung des Thierreichs ist demnach folgende (Taf. III). Durch Urzeugung entstanden zuerst thierische Moneren, gleich denen des Pflanzenreichs und des Protistenreichs ganz einfache structurlose Plasmastücke, aber von beiden durch leichte Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung ihres eiweißartigen Plasma, und durch die daraus folgende Entwickelung zu echt thierischen Formen sich unterscheidend. Indem im Inneren dieser gleichartigen Moneren sich ein Kern von dem umgebenden Protoplasma sonderte, entstanden die ersten thierischen Zellen, ebenfalls nicht in ihrer Form, sondern nur in ihrer chemischen Zusammensetzung von den einfachsten selbstständigen Zellen unter den Urpflanzen und Protisten verschieden. Diese nackten einzelligen Thiere, an Form gleichwerthig den Eiern der vielzelligen Thiere, lebten anfangs selbstständig, gleich den heute noch lebenden Amoeben. Später aber bildeten sie, in Colonien beisammen bleibend, vielzellige Körper, gleich dem kugeligen Haufen von Furchungskugeln, welcher bei den vielzelligen Thieren aus der wiederholten Theilung des Eies entsteht (Vergl. Fig. 2, S. 145, und Fig. 3, 4, S. 146). Aus diesen einfachen Haufen gleichartiger Zellen gingen allmählich durch Sonderung und Vervollkommnung die niedersten Würmer hervor, welche in den heute noch lebenden Infusionsthierchen ihre nächsten Verwandten besitzen. Die Ontogenie vieler Würmer, ferner vieler Pflanzenthiere, Sternthiere und Weichthiere, wiederholt uns noch heutzutage jenen wichtigen Vorgang der Phylogenie, indem das gefurchte Ei, d. h. der vielzellige, aus der Eitheilung entstandene Körper sich zunächst in einen bewimperten "infusorienartigen" Embryo oder Larve verwandelt. Aus gleichen bewimperten Infusorien entstanden dann durch weitere Differenzirung die

{ Abbildung Seite392 }



Vielstämmiger oder polyphyletischer Stammbaum des Thierreichs (im Gegensatz zu dem einstämmigen oder monophyletischen Stammbaum auf Taf. III). Die Linie M N bezeichnet die Grenze zwischen den vier höheren und den beiden niederen Thierstämmen (Würmern und Pflanzenthieren). Die auslaufenden Linien ohne Namen (mit einem ?) bedeuten die zahlreichen Stämme von niederen Thieren (Würmern und Pflanzenthieren), welche möglicherweise unabhängig von einander durch vielfache Urzeugungsakte entstanden sind, und welche sich nicht zu höheren Thiergruppen entwickelt haben.

{Abbildung Seite 393 }

niedersten Formen der bewimperten Strudelwürmer oder Turbellarien, Weichwürmer, welche wir als die gemeinsame Stammgruppe aller übrigen Würmerklassen ansehen können. Viele von den letzteren blieben bis auf den heutigen Tag auf der niedersten Entwickelungsstufe des Wurmes stehen. Einige wenige aber entwickelten sich nach verschiedenen Richtungen hin zu höheren Formen, welche die Stammformen für die übrigen, höheren Thierstämme wurden.

Wenn diese Hypothese, wie ich glaube, richtig ist, so würden die sechs Stämme des Thierreichs in genealogischer Beziehung keineswegs gleichwerthig sein. (Vergl. Taf. III.) Denn der Würmerstamm würde dann als die gemeinsame Stammgruppe der fünf übrigen Stämme zu betrachten sein. Diese letzteren verhielten sich unter einander wie fünf Geschwister, welche in dem ersteren ihre gemeinsame Elternform haben. Unter den fünf Geschwisterstämmen selbst würden wir aber wieder den Stamm der Pflanzenthiere oder Coelenteraten in sofern den vier übrigen entgegenstellen müssen, als der erstere einen viel geringeren Grad der Blutsverwandtschaft zu den echten Würmern offenbart, als die vier letzteren. Wahrscheinlich hat sich der erstere in viel früherer Primordialzeit bereits von den tiefsten Stufen des Wurmstammes, von den Urwürmern oder Infusorien abgezweigt und selbstständig entwickelt, während die Stammformen der vier übrigen Stämme noch gar nicht von echten Würmern zu trennen waren. Diese letzteren haben sich wohl erst in viel späterer Zeit von den Würmern gesondert, als der Würmertypus längst die niedere und indifferente Stufe der Urwürmer überschritten hatte. Selbst wenn wir für die vier Stämme der Wirbelthiere, Gliedfüßer, Weichthiere und Sternthiere mit Bestimmtheit einen gemeinsamen Ursprung aus verschiedenen Zweigen des einheitlichen Würmerstammes annehmen, können wir doch über die Abstammung der Pflanzenthiere von den Würmern noch sehr in Zweifel bleiben, weil eben die niedersten Formen der letzteren, aus denen die ersten Pflanzenthiere entsprungen sein müßten, nur ganz indifferente und vielleicht ganz selbstständig entstandene Urwürmer gewesen sein können. Ich werde diesen genealogischen Bedenken in der nachfolgenden Entwickelung des thierischen Stammbaums dadurch einen berechtigten Ausdruck geben, daß ich die Pflanzenthiere als eine eigene, von den übrigen Thierstämmen entferntere Gruppe voranstelle, und auf diese erst die Würmer folgen lasse, aus denen sich die vier höheren Stämme des Thierreichs entwickelt haben.

Bevor ich nun diese Aufgabe in Angriff nehme und Ihnen meine genealogische Hypothese von der historischen Entwickelung der Thierstämme näher erläutere, wird es zweckmäßig sein, wie wir schon vorher beim Pflanzenreiche gethan haben, das ganze "natürliche System" des Thierreichs in einer Tabelle übersichtlich zusammen zu stellen, und die Hauptklassen und Klassen zu nennen, welche wir in jedem der sechs großen Thierstämme unterscheiden. Die Zahl dieser obersten Hauptabtheilungen ist im Thierreiche viel größer als im Pflanzenreiche, schon aus dem einfachen Grunde, weil der Thierkörper, entsprechend seiner viel mannichfaltigeren und vollkommneren Lebensthätigkeit, sich in viel mehr verschiedenen Richtungen differenziren und vervollkommnen konnte. Während wir daher das ganze Pflanzenreich in sechs Hauptklassen und achtzehn Klassen eintheilen konnten, müssen wir im Thierreich wenigstens sechszehn Hauptklassen und zwei und dreißig Klassen unterscheiden. Diese vertheilen sich in der Art, wie es die vorstehende systematische Uebersicht zeigt, auf die sechs verschiedenen Stämme des Thierreichs (S. 393).

Die Pflanzenthiere (Coelenterata), welche wir den übrigen fünf Stämmen des Thierreichs aus den angeführten Gründen gegenüberstellen, verdienen in mehr als einer Beziehung den Anfang zu machen. Denn abgesehen davon, daß dieselben in der That in ihrem gesammten Körperbau viel mehr von den übrigen fünf Stämmen verschieden sind, als diese unter sich, abgesehen ferner davon, daß auch ihre höchstentwickelten Formen nicht denjenigen Grad der Vollkommenheit und Differenzirung erreichen, wie die höchsten Formen der fünf anderen Stämme, schließen sich die Pflanzenthiere in mancher Hinsicht mehr den Pflanzen als den übrigen Thieren an. Insbesondere ist bei den fest gewachsenen Schwämmen und Korallen die äußere Körperform, der Mangel freier Ortsbewegung, die Stockbildung und die Fortpflanzung so ähnlich den entsprechenden Verhältnissen bei den Pflanzen, daß man dieselben noch im Beginn des vorigen Jahrhunderts ganz allgmein für wirkliche Pflanzen hielt. Der alte Name Zoophyta, was wörtlich übersetzt "Pflanzenthiere" bedeutet, war daher gar nicht übel gewählt. Die Bezeichnung Coelenterata erhielten dieselben von Leuckart, welcher 1848 zuerst ihre eigenthümliche Organisation erkannte und sie als eine ganz selbstständige Hauptabtheilung des Thierreichs aufstellte. Durch die Bezeichnung Coelenterata wird der besondere anatomische Charakter ausgedrückt, durch welchen sich die Pflanzenthiere von allen übrigen Thieren unterscheiden. Bei den letzteren werden nämlich allgmein (nur die niedrigsten Formen ausgenommen) die vier verschiedenen Functionen der Ernährungsthätigkeit: Verdauung, Blutumlauf, Athmung und Ausscheidung durch vier ganz verschiedene Organsysteme bewerkstelligt, durch den Darm, das Blutgefäßsystem, die Athmungsorgane und die Harnapparate. Bei den Coelenteraten dagegen sind diese Functionen und ihre Organe noch nicht getrennt, und sie werden sämmtlich durch ein einziges System von Ernährungskanälen vertreten, durch das sogenannte Gastrovascularsystem oder den coelenterischen Darmgefäßapparat. Der Mund, der zugleich der After ist, führt in einen Magen, in welchen die übrigen Hohlräume des Körpers offen einmünden. Alle Pflanzenthiere leben im Wasser, und die allermeisten im Meere. Nur sehr wenige leben im süßen Wasser, nämlich die Süßwasserschwämme (Spongilla) und einige Urpolypen (Hydra, Cordylophora).

Der Stamm der Pflanzenthiere zerfällt in zwei verschiedene Hauptklassen, in die

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