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1 Einleitung 1 2 Gentrification – eine theoretische Einführung 2


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1 Einleitung 1

2 Gentrification – eine theoretische Einführung 2

2.1 Definition von Gentrification 2

2.2 Stadienmodelle der Gentrification 2

2.3 Der nachfrage- und der angebotsorientierte Ansatz 5

2.4 Fazit zur wissenschaftlichen Debatte 6

3 Generalisierbarkeit nordamerikanischer Forschungsergebnisse 6

4 Perspektiven 8

5 Bedeutung der Gentrification 9

6 Von der Suburbanisierung zur Reurbanisierung 9

7 Beispiele 10

7.1 Prenzlauer Berg 10

7.1.1 Historische Entwicklung bis 1989 10

7.1.2 Entwicklung seit 1989: Öffentliches Interesse und Sanierungspolitik 11

7.1.3 Prenzlauer Berg: Ein Bezirk unter Druck der Gentrirication? 11

7.1.3.1 Bevölkerungsentwicklung 11

7.1.3.2 Bildungs- und Erwerbsstruktur 12

7.1.3.3 Einkommensentwicklung 12

7.1.3.4 Anteil der Minoritäten in Prenzlauer Berg 13

7.1.3.5 Wohngebäude 13

7.1.4 Fazit 13

8 Gentrification in Ostdeutschland 15

8.1 Ausblick 16

8.2 Beispiel Paulusviertel in Halle 17

1Einleitung

Innerstädtische Wohngebiete des 20. Jh. sind durch Prozesse der Sub- und Desurbanisierung geprägt. Insbesondere Mittel- und Oberschicht verließen in den vergangenen Jahrzehnten die Kernstädte und wanderten zumeist in das Umland der Städte. Deshalb wurde die Bevölkerung der innenstadtnahen Randlagen mit den vier großen „A´s“ (Arme, Alte, Ausländer und Arbeitslose) assoziiert. Seit den 70er Jahren des vergangen Jahrhunderts zeichnet sich, bei weiter anhaltender Suburbanisierung, jedoch auch ein gegenläufiger Prozess der Reurbanisierung ab. Das überraschende Phänomen der Gentrification hat seitdem die Stadtgeographie in starkem Maße beschäftigt. Warum ziehen Teile der Bevölkerung zurück in die Innenstadt? Warum verlassen manche Bevölkerungsgruppen die Innenstadt erst gar nicht, obwohl sie nach der Regel der lebenszyklichen Wohnortwahl nach Suburbia ziehen müssten?



2Gentrification – eine theoretische Einführung

2.1Definition von Gentrification


Der Ausdruck „Gentrification“ stammt von dem englischen Wort „gentry“, dem niederen Adel, und bezieht sich auf dessen Rückzug in die Städte und die Verdrängung von angestammten Bewohnergruppen. Gentrification als eigenständiger Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen findet sich in der Literatur seit den 70er Jahren. Heute wird unter Gentrification „ein stadtteilbezogener Aufwertungsprozess, der auf der Verdrängung unterer Einkommensgruppen durch den Zuzug wohlhabenderer Schichten basiert und zu Qualitätsverbesserungen im Gebäudezustand führt“ verstanden. (Helbrecht 1996)

2.2Stadienmodelle der Gentrification


Stadienmodelle leiten sich vom Verlauf der sozialen Aufwertung von Stadtteilen ab. Die hinzuziehenden Bewohner werden anhand der chronologischen Abfolge ihres Zuzugs sowie kultureller Faktoren charakterisiert. Stadienmodelle beziehen ihre analytische Dimension aus der Nachfrage in der Gentrification – methodisch wird mit dem Idealtyp argumentiert. Dabei gehen die meisten Autoren von einem doppelten Invasions-Sukzessions-Zyklus aus. Erst dringt eine Gruppe, die mit dem Begriff „Pioniere“ bezeichnet wird, in ein Gebiet ein, verdrängt zumindest ansatzweise alteingesessene Bewohner und schafft Bedingungen für das Eindringen einer weiteren Gruppe, den „Gentrifiern“, die ihrerseits alteingesessene Bewohner und Pioniere verdrängen.

Merkmal

Pionier

Gentrifier

Pro-Kopf-Einkommen

niedrig

hoch

Alter

18-35

18-45

Haushaltstyp

Bis 6 Personen

1-2 Erw., max. 1Kind

Bildungsgrad

Mind. Abitur

Mind. Mittlere Reife

„Müslis", die in den 80er Jahren als Inbegriff eines alternativen Lebensstils definiert wurden, verfügen aufgrund des hohen Anteils von Studenten unter ihnen über ein hohes Maß an kulturellem Kapital (Bildung, Geschmack). Sie entdecken den Charme ehemaliger Arbei­terquartiere als Alternativmilieu zum bürgerli­chen Dasein in Neubauten und Einfamilienhäu­sern. Erst später, wenn das Viertel mit einem Mindestmaß an Bioläden, Vollwertrestaurants und Kleinkunstläden ausgestattet ist, akzeptie­ren wohlhabendere Bevölkerungsgruppen den eigenwilligen Charakter des Stadtteils. „Yup­pies", in den 80er Jahren relativ undifferenziert beschrieben als Singles oder kinderlose Dop­pelverdienerhaushalte („Dinks") mit einträgli­chem Einkommen, kaufen sich nachfolgend mit ihrem ökonomischen Kapital in das Viertel ein (vgl. Häußermann/Siebel 1987). Neben der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnun­gen ziehen die Gentrifier eine spezifische Infra­struktur der Gourmetrestaurants, Boutiquen und Antiquitätenläden nach sich (vgl. Dangschat 1990). Mit der baulich-sozialen Aufwertung geht eine kommerzielle Gentrifizierung (Commerci­al Gentrification) einher. In einer erweiterten, dreigeteilten Variante von Berry wird zwischen der Phase des a) Einzugs von Studenten, Künstlem und unteren Teilen der Mittelschicht in das Viertel unterschieden, die von billigen Mietpreisen und dem Lokalkolorit angezogen werden, auf die b) breite Teile der Mittelschicht folgen, wenn das Viertel populärer geworden ist, bis schließlich c) das Gebiet vollständig gentrifiziert ist und in ein Elitewobagebiet umgewandelt ist (tab)





Phasen der Gentrification von Wohnvierteln (Berry 1985)

Phase 1

- Wenige Haushalte, meist Singles oder Haushalte ohne Kinder, ziehen in das Gebiet

- Es sind Personen künstlerischer Berufe oder Selbständige

- Sie sind risiko-ignorant, einige risiko-geneigt

- Sie befürworten, in einem ethnisch gemischten Gebiet zu wohnen

- Die Leerstände von Wohnungen sind hoch, viele Gebäude heruntergekommen

- Niedrige Mieten und Hauspreise

- Zuziehende kaufen architektonisch reizvolle, aber heruntergekommene Häuser zu niedrigen

Preisen (Clay, 1979)

- Zuziehende modernisieren die Wohnungen und Gebäude selbst ('sweat equity investmenY)

- Veränderungen werden in der Öffentlichkeit kaum bemerkt

- Veränderungen finden in einem Gebiet von zwei bis drei Häuserblöcken statt




Phase 2

- Zuziehende kommen aus der gleichen Gruppe wie in der ersten Phase, zusätzlich Haushalte

mit überdurchschnittlichem Einkommen, z.B. höhere Angestellte

- Neue Gruppe ist risiko-geneigt

- Mietzins, Kaufpreise und architektonische Qualitäten reizen sie an dem Gebiet

- Zuziehende lehnen soziale Mischung ab

- Geringer Leerstand

- Makler interessieren sich für das Gebiet, einige spekulative Modernisierungen von kleinen

Unternehmen

- Kredite nur in geringen Umfang möglich

- Medien werden auf die Veränderungen aufmerksam

- Gebiet dehnt sich aus

- Beginn der Verdrängung von älteren Personen und Haushaften niedrigen Einkommens

Phase 3

- Neue Gruppe von Zuziehenden: ältere und wohlhabendere höhere Angestellte aus Wirtschaft

und Verwaltung

- Sie sind risikoscheu

- Sie zahlen hohe Preise

- Sichtbare physische Verbesserungen im Gebiet

- Steigende Preise

- Developer beginnen Modernisierung in größerem Stil

- Bankkredite für Investitionen und Modernisierungen leicht verfügbar

- Starkes Interesse der Medien an dem Gebiet

- Starkes Interesse der Stadtverwaltung an dem Gebiet

- Verdrängung der letzten ursprünglichen Bewohner

Die Tragfähigkeit von Stadienmodellen ist mehrfach grundlegend kritisiert worden.

Erstens wird die Präzision der Stadienabfolge als unange­messene empfunden und infrage gestellt. Empirische Studien zeigen, dass Stadtteile nicht immer den gleichen Prozess in der Abfolge der Stadien durchlaufen. So bestehen allein schon innerhalb einer Stadt wie zum Beispiel Toronto deutliche Unterschiede hinsichtlich des Verlaufs von Gentrification. Während zum Bei­spiel das Annex Gebiet niemals eine erste Pha­se des Pioniertums hatte, hat Yorkville die zweite Phase des breiten Mittelschichteinzugs über­sprungen und Southeast Spadina das letzte Sta­dium der vollständigen Veredelung über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren hinweg nicht erreichen können (vgl. Caulfield 1994, S. 126f).

Zweitens ist die Fokussierung der Erklä­rungsdimension auf die Entstehung neuer Haus­haltsformen (Singles, Dinks) und Lebensstile (Müslis, Yuppies) als alleinigen Erklärungsme­chanismen empirisch ebenso unzureichend wie theoretisch unbefriedigend.

Insbesondere seit den Spätphasen der Gentrification ab Mitte der 80er Jahre ist das Klischee der Singles und Dinks als dominierenden Gentrifreir zunehmend unhaltbar geworden. So findet David Ley in einer vergleichenden Studie zu Gentrification in den kanadischen Großstädten u.a. Toronto, Mont­real und Vancouver, dass Kleinfamilien mit Kindern eine zuneh­mende Bedeutung als Trägern sozialer Aufwer­tungsprozesse zukommt.

Gentrification ist offensichtlich kom­plexer, als es deskriptive Stadienmodelle mit vereinfachten sozialen Typisierungen nahele­gen.

Zudem bleiben Stadienmodelle ana­lytisch an der Oberfläche. Stadienmodelle bieten oberflächliche Beschrei­bungen von Gentrification, ohne die dahinter liegenden, komplexeren Wirkungsgefüge zu berücksichtigen.

2.3Der nachfrage- und der angebotsorientierte Ansatz

Die oben ausgeführten Modelle sind zur Beschreibung von Gentrification allge­mein verbreitet - sie sagen allerdings noch nichts über die Erklärung des beob­achteten Vorgangs aus. In der Gentrification-Debatte standen sich lange Zeit zwei unterschied­liche Theorieansätze gegenüber, die sich hauptsächlich durch ihre Erklärung des beobachte­ten Prozesses unterschieden: Der sogenannten nachfrageorientierte und der sogenannte ange­botsorientierte Ansatz.





Der nachfrageorientierte Ansatz beruht im Kern auf die Veränderungen in der Sozialstruk­tur der Gesellschaft. Die Herausbildung eines neuen Typs, der in der postfordistischen Dienstleistungsgesellschaft agiert und grob mit dem Schlagwort „Yuppie" umrissen werden kann, habe zu einer erhöhten Nachfrage nach attraktivem innenstadtnahen Wohnraum geführt. Dadurch sei der Druck auf die entsprechenden Quartiere gewachsen. Verstärkt wird der Druck auf die innenstadtnahen Wohnge­biete noch durch die zunehmende Berufs­tätigkeit von Frauen und den damit ver­bundenen Anstieg von Haushalten mit mindestens zwei Berufstätigen, die auf zentral gelegene Wohnquartiere ange­wiesen sind und sich relativ teuren Wohn­raum leisten können.

Der angebotsorientierte An­satz geht von einer ganz anderen Erklärung aus: Gentrification als Folge von Investitionspolitik und der Veränderung des städtischen Bodenmarktes. Maßgeblicher Vordenker dieser Theorie ist Neil Smith. Nach seiner „Rent Gap Theorie“ kann Gentrification als Reinvestitionsprozess in den innerstädtischen Grundstücksmarkt entstehen, wenn die Lücke (Rent Gap) zwischen der aktu­ellen Grundrente und der potentiellen Grund­rente groß genug ist. Auf der Suche nach möglichst lukrativen Investitionen werden die Gebiete mit den höchsten Rent Gaps zu den begehrtesten Investitionsobjekten. Solche Ge­biete sind nach Jahrzehnten der Suburbanisie­rung seit den 70er Jahren vor allem in den vernachlässigten innerstädtischen Randgebieten verfügbar. Neil Smith hat diese Argu­mentation in seinen frühen Arbeiten in Reinheit vertreten. Empirische Studi­en zeigen jedoch, dass das alleinige Vorhanden­sein eines Rent-Gaps nicht automatisch zu Gen­trification führt. Zudem ist die Festsetzung der potenzielle Bodenrente ein hochspekulativer Prozess.

Die Rent Gap Theorie ist von Hamnett insofern modifiziert worden, als dass er sie nicht auf die Grundrente bezieht, sondern auf die Mieteinnahmen bzw. die Verkaufserlöse von Wohnungen und Häuser. Dieser Ansatz wird als value gap bezeichnet. In Europa, wo durch langfristige Pachtverträge der Wert des Grundstücks vielerorts weniger bedeutend ist als der Wert des Gebäudes, hat die Value Gab Theorie den höheren Erklärungsgehalt.

Allerdings unterschätzen die Gap-Theorien den Einfluss des Staates, der oftmals der eigentliche Initiator von Aufwertungsprozessen ist.

2.4Fazit zur wissenschaftlichen Debatte


Die Gentrification-Forschung weist nach wie vor deutliche Defizite auf. Weder hat sich bisher ein allgemein tragfähiges Modell zur Analyse der Veränderungsprozesse in einem Quartier durchsetzen können, noch besteht in der wissenschaftlichen Debatte auch nur annähernd Einig­keit drüber, wie die beobachteten Prozesse zu erklären seien.
Insofern scheint es am fruchtbarsten Gentrification als mehrdimensionalen Prozess zu verstehen, der sowohl ökonomische, soziale, kulturelle und politische Faktoren beinhaltet.

3Generalisierbarkeit nordamerikanischer Forschungsergebnisse


Schon bei der Diskussion der Theorien des rent gap und des value gäp wurde deutlich, daß der Anstoß zu einer Gentrification und dessen Verlauf nicht ei­nem einheitlichen Muster, insbesondere dem nordamerikanischer Städte fol­gen. Da jedoch die nordamerikanische Forschung früher einsetzte und eine umfangreiche Literatur zur Gentrification hervorgebracht hat, stellt sich die Frage, ob die nordamerika­nischen Ergebnisse generalisierbar sind.

Der Prozess der Gentrification verläuft im wesentlichen in nordamerika­nischen und europäischen Städten in gleicher Form. Die Phasen und ihre Ab­folge lassen sich z.B. auch in deutschen Städten nachweisen. Die Gründe da für, daß wir ähnliche Verläufen beobachten, sind in den ähnlichen ökonomi­schen Bedingungen zu sehen: den Prozessen der Deindustrialisierung und dem Anwachsen einer von den Einkommen und der demographischen Struk­tur her sehr ähnlichen Gruppe von Nachfragern. Auch gilt, daß es zuneh­mend attraktiver wurde, nicht nur in den suburbanen Wohngebieten, sondern in den innenstadtnahen Wohngebieten zu investieren. Der Zeitpunkt, zu dem dieser Wandel eintrat, dürfte in den nordamerikanischen Städten früher als in den europäischen gewesen sein, dort vorwiegend in 70er Jahren, hier den 80er Jahren.

Dennoch gibt es eine Reihe von Unterschieden. Der erste ist die Struktur der Bausubstanz. In den nordamerikanischen Gentrification-Gebieten handelt es sich fast ausschließlich um zweigeschossige Gebäude in einer Reihenbebauung. Sie sind ursprünglich von einer Familie bewohnt worden, im Verlauf des Wandels des Wohnviertels wurden sie aufgeteilt. Das Pendant zu diesen Gebäuden sind in Deutschland die Mehrfamilienhäuser der Jahrhundertwende. Ein zweiter Unterschied besteht darin, dass die nordamerikanischen Bewohner zu einem wesentlicher höheren Anteil Eigentümer waren und sind, während es hier fast ausschließlich Mieter sind.

Diese beiden Unterschiede, Gebäudestruktur und Eigentümeranteil, ha­ben zwei Folgen. Die Veränderung des Wohngebietes oder die Gentrification verläuft in den nordamerikanischen Wohngebieten rascher, denn es sind weniger Haushalte beteiligt. Schließlich können Verkäufe der Gebäude einfacher vonstatten gehen, denn der Eigentümer muss nur einer oder zwei Mietparteien kündigen.

Drittens unterscheiden sich die Rahmenbedingungen im Wohnungsmarkt: Ein vergleichsweise hoher Mieterschutz und ein höherer Anteil öffentlich ge­förderter Wohnungen dürften dabei die beiden wichtigsten Unterschiede sein. Beide wirken sich verlangsamend auf alle Prozesse des Wandels von Wohn­gebieten aus, also auch die Phasen der Gentrification.

Viertens sind in Deutschland die kommu­nalen Eingriffe in den Wohnungsmarkt und die Wohngebiete stärker als in den USA. Wohngebiete werden nur sehr selten die Phase des vollständigen Verfalls erreichen, viel mehr wird schon zu einem früheren Zeitpunkt eine Sanierung geplant werden. Auch lassen sich in Deutschland Wohn­gebiete durch eine Erhaltungssatzung in ihren physischen und sozialen Strukturen konservieren oder vor einer Gentrification bewahren - zumindest soll dieses Instrument das erreichen.

Der fünfte Unterschied besteht darin, welche Akteure die Veränderungen durch ihre Investitionen in einem Wohngebiet induzieren und/oder fördern – der einzelne Besitzer, ein privates Unternehmen oder die Kommune. Nordamerikanische Studi­en weisen zu recht darauf hin, dass der Verlauf der Gentrification, im wesent­lichen die Geschwindigkeit des Prozesses, davon abhängt, wer die Verände­rung induziert. Sind es einzelne Haushalte, die ein Haus in der frühen Phase gekauft haben und nun modernisieren („incumbent upgrading"), so verläuft der Prozess langsamer, denn es ziehen zunächst nur weitere risiko-ignorante Haushalte ein. Sind dagegen Unternehmen, die in eine Modernisierung in­vestieren, verläuft der Prozess rascher, weil in stärkerem Ausmaß risiko­geneigte und risiko-scheue Haushalte einziehen.

Demgegenüber wird man in europäischen Städten zu einem höheren Anteil die Kommune als Investor vorfinden. Sie wartet nicht, bis das Gebiet heruntergekommen ist, um es dann Investoren zu überlassen, das Gebiet wieder attraktiv werden zu lassen. Sie greift durch Sanierungs- oder Moder­nisierungsmaßnahmen in den Prozess ein. Dies geschieht typischerweise durch Modernisierung von Wohnge­bäuden, die mit öffentlichen Mitteln errichtet wurden und auf deren Woh­nungen noch ein kommunales Belegungsrecht besteht. Damit induziert sie, oft absichtlich (vgl. Friedrichs, 1987), weitere Investitionen der Eigentümer benachbarter Wohngebäude. Sie bewirkt damit aber auch eine Aufwertung des Wohngebietes, mithin einen Prozess der Gentrification. Dies mag man aufgrund der Verdrängung alteingesessener Wohnbevölkerung negativ oder aufgrund des Erhalts der Bausubstanz und des Wohnwertes positiv beurtei­len.


Ein sechster Unterschied ist in den Nachbarschafts-Organisationen zu sehen, die in den USA einen wesentlichen stärkeren Einfluss auf die kommu­nale Planung und die gesamte Entwicklung von Gebieten nehmen. Die Aktivitäten können sowohl in die Richtung gehen, das Gebiet aufzuwerten als auch diejenige, die einmal erreichte Stabilität nicht zu gefährden, z.B. durch den Bau von Hochhäusern mit Appartements.

4Perspektiven


In Zukunft wird Gentrification mög­licherweise an Bedeutung zunehmen. Die Gruppe der mittleren Jahrgänge (25- bis unter 45-Jährige), die lange Zeit Träger der Suburbanisierung war, kann zum Trä­ger einer breiteren Rückwanderung in die Kernstädte werden. Für eine neue wirtschaftliche Dynamik in den Kernstäd­ten wird auch die Gruppe der Jungen Alten sorgen, deren Lebensstil und Handlungsmuster sich deutlich von denen vorheriger Generationen alter Menschen abheben.

5Bedeutung der Gentrification


Gentrication ist ein aktueller Trend der Stadtentwicklung, der seine Brisanz aus der Gegenläufigkeit zu Suburbanisierungsprozessen bezieht, die lange Zeit für unumkehrbar gehalten wurden. Wenn gleich Gentrification ein in seinem quantitativen Ausmaß häufig überschätz­ter Prozess ist, so bilden die Gentrifier ein aus sozioökonomischer Perspektive be­deutsames Milieu. Ihnen kommt eine Leitbildfunktion innerhalb der postmo­dernen Gesellschaft zu. Aus der Gruppe der Gentrifier speisen sich die Berufsmi­lieus der neuen Dienstleistungsökono­mie, Banker, naturwissenschaftlich-tech­nologische Kader, Werbe- und Marke­tingstrategen, die eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Schlüsselrolle ein­nehmen. Sie bestimmen die Trends neu­er Wohn-, Kultur- und Konsumstile. Sie sind Produzenten und Konsumen­ten von Symbolen und Images. Vornehme Einkaufsstraßen mit Luxusgeschäften und Bistros sowie ein breit gefächertes kulturelles An­gebot sind sichtbare Ausdrucksformen der (Raum-)Ansprüche der Gentrifier. In diesem Sinne verstärkt Gentrification nicht nur die sozialräumliche Polarisie­rung, sondern spiegelt zugleich die sozio­kulturelle Heterogenisierung von Groß­städten wider, die sich eben in der He­rausbildung und öffentlichen Darstellung individueller Lebensstile ausdrückt. (Zehner 2001)

6Von der Suburbanisierung zur Reurbanisierung


In der vorindustriellen Stadt Deutschlands galt die Innenstadt als Zentrum der Macht, symbolisiert durch das Rathaus in der Stadtmitte. Wohnen im Zentrum war Ausdruck hoher sozialer Stellung. Das änderte sich mit der Industrialisierung. Die Städte erlebten einen regelrechten Wachstumsboom. Das Bürgertum floh vor Lärm und Schmutz in die Vorstädte, und während für die Arbeiter Quartiere in der nähe der Industrieanlagen gebaut wurden, zog das gehobene Bürgertum in die Villa am Stadtrand.

Wachstum, Wohlstand und erhöhte Mobilität durch das Auto in der Nachkriegszeit ermöglichten breiten Bevölkerungsschichten die Abwanderung ins Umland der Städte. Die Abwanderung gerade der einkommensstarken Bewohner führte zu einer schleichenden Erosion der Innenstädte – Verfall und sogar Verslummung drohten (Häußermann 1996).

Berlin registrierte 1996 eine ein Abwanderung von 22.000 Berliner nach Brandenburg. Die Senatsverwaltung schätzt, dass zwischen 1995 und 2010 rund 250.000 Berliner in Umland ziehen werden. Mehr als für andere Städte gilt dieser Trend für Berlin, weil es gerade im Westteil durch den jahrzehntelangen Mauerstatus enormen Nachholbedarf an Eigenheimen vor den Stadttoren gibt.

Dennoch hat diese Entwicklung auch eine Kehrseite. Für private Mieter die weniger Platz brauchen und nicht die Familie im Mittelpunkt des Alltags steht, zählen andere Merkmale: Kommunikation, Kultur, Konsum – alles Standortfaktoren, die sich am ehesten in der Innenstadt finden. Es wäre allerdings verfehlt, generell von einer Aufwertung der Innenstadtquartiere zu sprechen. Gerade am Beispiel Berlin zeigt sich eine differenzierte Entwicklung mit einem Nebeneinander von Auf- und Abwertung. So besteht zwischen Schöneberg-Süd mit dem aufgewerteten Winterfeldplatz-Kiez und Schöneberg-Nord erhebliche Unterschiede.





7Beispiele

7.1Prenzlauer Berg

7.1.1Historische Entwicklung bis 1989

Im Zuge des Bebauungsplans des Stadtbaurats Hobrecht 1862 sowie dem Beginn der sogenannten „Gründerzeit" nach 1871 bis Ende des Jahrhunderts boomte auch der Bezirk Prenzlauer Berg. In kurzer Zeit wurden hunderte von Mietshäusern aus dem Bo­den gestampft. Im Bezirk lebten hauptsächlich Arbeiter, die Gewerbe­struktur wurde weniger von Industrie als vielmehr von kleineren Gewerben wie Schneidern oder Handwerkern bestimmt.

Mehr als 20 % des Gebäudebestandes wurde im 2. Weltkrieg vernichtet, jede zweite Wohnung beschädigt.

Ein Großteil der Bausubstanz war in katastro­phalen Zustand. Immer wieder .hatte die DDR überlegt, die Altbaugebiete als Ausdruck kapitalistischer Wohnungswirtschaft abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen; meistens aber wurde nur unzureichend saniert. Der schlechte Standart führten zu einem drastischer Bevölkerungsrückgang: Von 1939 (298.025) 1987 (157.791).

Erst diese Entvölkerung machte das Leben im Stadtteil einigermaßen erträglich. Dennoch galt: Wer konnte, der zog weg, vor allem in die Neubauviertel mit ihrem wesentlich höheren bauli­chen Komfort. Viele Wohnungen standen leer oder wurden stillschweigend besetzt, als Ateliers oder Proberäume benutzt. Grundsätzlich lässt sich für Prenzlauer Berg zu DDR-Zeiten von einem Prozess der partiellen „Entstaatlichung" sprechen. Dieses Potential sowie die der Rückzug des autoritären DDR-Staates ließ den Bezirk für Unangepasste, Freaks und Künstler interessant werden als eine der wenigen Nischen.

7.1.2Entwicklung seit 1989: Öffentliches Interesse und Sanierungspolitik


Mit dem Fall der Mauer rückte der Bezirk schlagartig in das Licht der (medialen) Öffentlich­keit. „Hier schlägt Berlins Herz! Hier will jeder hin!"9' Damit trifft das ein, was als „symbolische Gentrifizierung" beschrieben wir.

In Berrys Phasenmodell der Gentrification findet sich diese aufmerksame Rezeption eines Viertels eigentlich erst in Phase 3, der Endphase der Vertreibung. Für Prenzlauer Berg trat sie, Ergebnis der Sondersituation des Mauerfalls, unmittelbar 1989 ein.


7.1.3Prenzlauer Berg: Ein Bezirk unter Druck der Gentrirication?


Um die Veränderung eines Quartiers, Wohnviertels oder Stadtteils adäquat beschreiben zu können, sind vor allem eine Reihe von Indikatoren notwendig, mit Hilfe derer ein vermuteter Wandel qualifizierbar und quantifizierbar werden soll. Aus der Kombination von Merkmalsausprägungen lässt sich am ehesten eine Aussage treffen, in welcher Phase das untersuchte Gebiet sich gerade befindet.


7.1.3.1Bevölkerungsentwicklung


Die Bevölkerung von Prenzlauer Berg sankt direkt nach dem Fall der Mauer. Von 1991 bis 1996 ist zudem mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung durch Zu- und Wegzug ausgetauscht worden. Dabei ist der Saldo relativ gering geblieben.

Statistiken zeigen, dass der Anteil der 25-40jährigen unter den Wegzügen dominiert, gleichzeitig aber auch viele Kinder den Bezirk verlassen. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei vielfach um Familien handelt, da Kinder kaum alleine umziehen. Die Zuzüge werden da­gegen wesentlich von der Gruppe der 20-30jährigen sowie der 35-40jährigen bestimmt, und sie bringen nur in wesentlich geringerem Maße Kinder mit, als die Auszüge; auch die Zahl der über 65jährigen sinkt.

Die Stadtentwicklungsverwaltung rechnet für Prenzlauer Berg in ihrer Prognose bis zum Jahr 2010 mit folgenden Entwicklungen:

• Konstante Bevölkerungszahl

• Leicht ansteigende Zahl bei Kindern unter 6 Jahren

• Deutliche Abnahme der Kinder und Jugendlichen zwischen 6 und 18 Jahren

• Leicht ansteigende Anzahl der Personen im erwerbsfähigen Alter

• Abweichend von der gesamtstädtischen Entwicklung eine niedrigere Zahl von Personen im Rentenalter


7.1.3.2Bildungs- und Erwerbsstruktur


Prenzlauer Berg ist in der Bildungs- und Erwerbsstruktur von einer durchmischten Struktur bestimmt. Die Erwerbsquote liegt mit 66,1% leicht unter dem Ostberliner Durchschnitt, obwohl überdurchschnittlich viele Personen im erwerbstätigen Alter sind. Grund dafür ist der hohe Anteil von StudentInnen. Dagegen liegt die Erwerbsquote der Haushalte mit Kindern weit über dem Durchschnitt. In 64% der Familien gehen mindestens zwei Haushaltsmitglieder einer Arbeit nach.

Im Bildungsbereich zeichnet sich im Bezirk eine zunehmende Tendenz in Richtung Abitur und Hochschulausbildung ab.

Der Anteil der Hochschulabschlüsse ist in den vergan­genen Jahren drastisch angestiegen, jeder vierte Erwerbstätige (24,2 %) verfügte im April 1995 über eine entsprechende abgeschlossene akademische Ausbildung. Bezirken Kreuzberg"' (17,61% der Erwerbstätigen mit Hochschulabschluß) und Fried­richshain (17,39% mit Hochschulabschluß)."9

Insgesamt ist die Entwicklung im Bildungsniveau ein deutliches Anzeichen für eine Aufwer­tung, vor allem der sprunghaft gestiegene Anteil der AkademikerInnen sticht dabei heraus.



7.1.3.3Einkommensentwicklung


Bei der Einkommensentwicklung gehört Prenzlauer Berg nach wie vor zu den ärmsten Bezir­ken Berlins. In keinem anderen Bezirk mit Ausnahme von Kreuzberg leben so viele Haushalte von so wenig Geld. Auf der anderen Seite verdienen 20% mehr als 4.000 Mark netto. Damit ist Prenzlauer Berg der Stadtteil mit der aus­geprägtesten Polarisierung (gefolgt von Kreuzberg).

Mit dieser stark polarisierten Einkommenssituation deutet sich im Bezirk auch hier eine Zwei­teilung in eine gut verdienende Oberschicht sowie ein breites unteres Segment an. Fast die

Hälfte aller Haushalte darf aufgrund der Einkommensstatistik als von Gentrification bedroht gelten.

7.1.3.4Anteil der Minoritäten in Prenzlauer Berg


Das Untersuchungsmerkmal „Minoritäten" stammt aus der nordamerikanischen Gentrification­forschung und hat dort eine erheblich stärkere Relevanz, als in Europa und der Bundes­republik. Während es für das ehemalige Westberlin noch zutrifft, dass in den Bezirken mit einem hohen Altbauanteil und einem (zumindest ehemals) schlechten Bauzustand ein hoher Anteil von Minoritäten lebt, gilt dies für die Ostberliner Bezirke kaum.

7.1.3.5Wohngebäude


Sowohl die rent gap-Theorie von Smith als auch die value gap-Theorie von Hamnett betonen dabei die Rendite (bezogen auf die Bodenpreise bzw. die Gebäude- und Mietpreise) als einen entscheidenden Faktor von Gentrification. In Prenzlauer Berg kommen dabei zwei Faktoren zusammen: Der Stadtteil war bis 1989 ein klassisches Desinvestitionsgebiet (in diesem Fall staatlicherseits), und er verfügt über eine attraktive und das Bild des Bezirks prägende Altbausubstanz. 70% vor 1918 entstanden.

Angesichts der unzureichenden öffentlichen Finanzmittel hatte die Bauverwaltung bereits bei Beginn des neuen Stadterneuerungsprogrammes formuliert, dass private Investitionen ein we­sentliches Moment der Stadterneuerung ausmachen müssten. Das ist auch eingetroffen.

Die Situation der Wohngebäude in Prenzlauer Berg lässt sich also zusammenfassend durch vier Faktoren beschreiben:

• Überwiegend attraktive Architektur

• Schlechter baulicher Zustand

• Anfangs niedrige Mieten

. Mittlerweile hoher Privatisierungsgrad

Damit ist wahrscheinlich, dass private Investitionen in Kombination mit dem Stadterneuerungs­programm den Motor der Sanierung ausmachen werden.


7.1.4Fazit


Prenzlauer Berg ist ein Musterbeispiel für einen Bezirk, der nach 1989 nahezu prädestiniert für Gentrification erschien: Gute innenstadtnahe Lage, attraktive Architektur in schlechtem bauli­chen Zustand, vielfältige Kneipen- und Kulturszene, eine statusniedrige Bevölkerungsstruktur sowie niedrige Mieten.

Damit ist der Bezirk schlagartig in das Interesse von Investoren gerückt: Schon 1990, direkt nach dem Mauerfall, wurden Mietshäuser hier für Millionenbeträge verkauft.

Die Entwick­lung spricht indes für eine differenzierte Interpretation: Gentrification findet in Prenzlauer Berg statt, aber sowohl Tempo als auch Entwicklung verlaufen nicht linear und eine Aufwertung in Teilen des Bezirkes kann durchaus einhergehen mit einer Abwertung in anderen Bereichen.

Die Untersuchung der Indikatoren lässt folgende Schlüsse zu:

• Die Bevölkerungsentwicklung belegt einen umfangreichen Austausch der BewohnerInnen in den vergangenen Jahren. Prenzlauer Berg leidet wie ganz Berlin unter einem ho­hen Abwanderungsdruck über die Stadtgrenzen hinaus. Der Anteil der Zuzüge, die aus West-Bezirken wie Kreuzberg, Charlottenburg und Schöneberg stammen hat aber stetig zugenommen. Zu vermuten ist, dass sich aus diesen Bezirken das Pionier- und Gentrifier-Potential speist.

Gleiches gilt für die Altersstruktur: Der Rückgang von Kindern und Alten sowie die Zunah­me der Altersgruppen zwischen 25 und 40 Jahren sprechen für einen Anstieg der klassischen Pionier- und in geringerem Umfang Gentrifier-Gruppen. Auch hier deuten die Prognosen auf einen mittelfristigen Trend.

Die Bildungs- und Erwerbsstruktur sowie die Entwicklung des Einkommens zeichnen ein zwiespältiges Bild: Der sprunghafte Anstieg des Bildungsniveaus spricht für das Eindringen von Pionieren und (in geringem Maße) Gentrifiern, die die alte Mischung Arbeiter plus Al­ternative „akademisiert". In diesem Sinne ist auch der hohe StudentInnenanteil zu bewerten. Gleichzeitig ist die Erwerbsstruktur nach wie vor höchst durchmischt und rangiert im Berli­ner Durchschnitt eher am unteren Ende. Gleiches gilt für das Einkommen. Vor allem ins Auge fällt die Polarisierung des Einkommens, die auf Gentrification hindeutet.

Die Gebäudepreise haben von vornherein einen hohen Spekulationsdruck auf das Viertel ausgeübt, da sie eine hohe Rentabilität des eingesetzten Kapitals vorausgesetzt haben und von einer hohen value gap ausgegangen sind. Dem ist die Mietenentwicklung bisher nur an­satzweise gefolgt. Die Entwicklung ist allerdings gesamtstädtisch zu beob­achten. Auch hier scheint eine differenzierte Sicht angebracht: Es hält sich im nicht- oder kaum sanierten Bereich nach wie vor ein breites Segment an preisgünstigem Wohnraum, dem ein zunehmendes Kontingent an privat modernisierten Wohnungen entgegensteht.

Die Sanierungspolitik des Berliner Senats hat diese Entwicklung nicht aufhalten können, da sie von Beginn an auf private Initiative gesetzt hat.
Schlussfolgerungen

Prenzlauer Berg befindet sich also eindeutig in einem Prozess, der partiell mit Aufwertung be­schrieben werden kann (Gebäudesubstanz, Infrastruktur), der aber auch deutliche Tendenzen der Gentrification beinhaltet. Allerdings ist der anfangs befürchtete rasante Aufwertungs- und Verdrängungsprozess nicht eingetreten - als Gründe scheinen eher die Lage der gesamten Stadt denn spezifische Faktoren des Bezirks in Frage zu kommen. Und obwohl der Bereich der un­ternehmensorientierten Dienstleistungen in Berlin wächst, gibt es derzeit neben einem drasti­schen Überangebot an Büroflächen auch ein großes Angebot an für dieses Segment preiswer­tem Wohnraum. Gleichzeitig scheinen die Zuzüge noch überwiegend dem Pioniertypus zu entsprechen, und weniger dem des Gentrifier. Nach dem Invasions­-Sukzessions-Modell scheint auf jeden Fall, der Punkt der Unumkehrbarkeit, an dem die Zuzüge 75% der Bevölkerung ausmachen, noch nicht erreicht zu sein. Auch nach dem Phasenmodell von Berry befindet sich der Bezirk in einer Phase, die teil­weise Phase 2, teilweise Phase 3 zuzuordnen ist. Dabei sind vor allem Indikatoren wie Medieninteresse - also die Projektionen auf den Stadtteil, die eher in Phase 3 einzuord­nen sind - der Realität voraus.

Es ist nicht erkennbar, dass höhere Angestellte aus Wirtschaft und Verwaltung in größerem Maße in das Gebiet ziehen, und auch die „letzten ursprünglichen Bewohner" sind bisher nicht verdrängt worden. So gesehen leidet der Bezirk auch unter dem öffentlichen Bild, das von ihm gezeichnet wird, und das - etwa im Gastronomie-Bereich - zu einem wesentlich konsumorientierteren Ambiente geführt hat, als es eigentlich der Situation großer Teile des Quartiers entspricht.

Dennoch treffen die Kriterien einer niedrige Miete in Kombination mit niedrigem Einkommen auf 20% bis 30% der Haushalte zu - das ist das Verdrängungspotential der kommenden Jahre. Dabei deutet sich im Bezirk die Tendenz ab, dass neben veredelten, aufgewerteten städtischen Inseln wie beispielsweise dem Kollwitzplatz andere Quartiere auch mittelfristig eher abrutschen werden. Planungspolitisch fehlen hier bisher sie Antworten, wie dieses besonders verdrän­gungsgefährdete Potential im Bezirk gehalten werden kann, ohne andererseits ganze Blöcke regelrecht verelenden zu lassen.



8Gentrification in Ostdeutschland


„Wenn man bedenkt, welche enormen Kosten die Aufwertung der durch jahre­lange Vernachlässigung verfallenen Alt­bauten verschlingt und zudem berück­sichtigt, dass die Menschen in den neuen Bundesländern viel weniger Vermögen ansparen konnten als die in den alten, dann wird verständlich, warum sich die Gruppe der Altbau-Fans, die nicht nur risi­kofreudig, sondern auch noch in der Lage ist, durch finanzielle Selbsthilfe ein Gebiet nach ihren Interessen bewohnbar zu ma­chen, in den neuen Bundesländern (noch) kaum vorhanden ist. Und für die finanz­kräftigen Haushalte eröffnen sich ... im Umland weitaus verlockendere Alternati­ven. Insgesamt drängt sich also das Bild eines gespaltenen Gentrifikatiorlsprozes­ses auf. Ein Prozess, der von der öffent­lichen Hand in engem Verbund mit priva­ten Immobiliengesellschaften eine Stand­ortverbesserung betreibt, muss getrennt gesehen und interpretiert werden von dem Vorsatz gehobener Statusgruppen, auch dort in Innenstadtnähe wohnen zu wollen bzw. real dorthin zu ziehen.

8.1Ausblick


Die Überprüfung aktueller Aufwertungs­prozesse in urbanen Gründerzeitquartieren der neuen Länder auf Analogien zu Ent­wicklungen, die in den USA und West­deutschland als Gentrifizierung gekenn­zeichnet werden, zeigt, dass es noch zu früh ist für eine abschließende Beurteilung.

Dennoch bleibt für ostdeutsche Städte wie Leipzig, Erfurt und Halle festzuhalten, dass die bauliche Aufwertung ihrer zent­rumsnahen Wohngebiete Realität ist. Das Sanierungsgeschehen in den Landeshauptstädten Erfurt und Magdeburg ist ebenso wesentlich von primär externen Interventionen (Kapitalinvestitionen und Altbesitzer) in den gründerzeitlichen Bau­bestand gesteuert wie z. B. in der "Boom­town" Leipzig und in Halle. Dagegen sind Ansätze des Incumbent Upgrading, der von ansässigen Bewohnern getragenen Sanie­rung und Aufwertung, noch die Ausnahme. Dies ist mit verantwortlich dafür, dass die Binnenentwicklung der Städte hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Relativ diffus bleibt auch noch das Bild von den beteiligten Akteuren und dem in den Erklärungsansätzen postulierten Aus­tausch der eingesessenen Bewohner. Inwie­weit trägt ihr soziokultureller Hintergrund möglicherweise noch die Symbolik der homogenen Gesellschaft im Alltagsbewusst­sein und steht der Ausdifferenzierung in Lebensstilgruppen entgegen? Gegen Ver­drängungsprozesse in großem Ausmaß sprechen v. a. drei Gründe:
- Die aktuellen Rahmenbedingungen ost­deutscher Stadtentwicklung sind gravie­rend bestimmt durch demographische Schrumpfungsprozesse und ein Überange­bot an Wohnungen. Die in der Marktwirt­schaft üblichen Regulierungsmechanismen des Preises greifen unter diesen Bedingun­gen nicht in der gleichen Schärfe wie im Westen, so dass die Attraktivität innenstadt­naher Wohnquartiere geringer als dort zu sozialer Segregation führt.
- Die innerstädtischen Wohnungsmärkte sind von der Eigentumsstruktur nach wie vor durch Miet­wohnungen dominiert. Wohneigentumsbil­dung findet überwiegend im suburbanen Raum statt.
- Die allgemeine Wertschätzung von Alt­bauquartieren ist unter der ostdeutschen Bevölkerung - nach den Erfahrungen aus der DDR-Zeit - geringer als im Westen. Hinzu kommt, dass die Schicht der potenzi­ellen Pioniere und Gentrifier aufgrund der ökonomischen Rahmenbedingungen noch deutlich niedriger als in den alten Bundes­ländern sein dürfte.

All dies spricht für eine weiterhin sorg­fältige Beobachtung der relevanten inner­städtischen Umschichtungsprozesse, ohne sie vorschnell mit bekannten Etiketten zu versehen.



8.2Beispiel Paulusviertel in Halle


Das im Nordosten der City gelegene Pau­lusviertel ist eine der typischen Stadterwei­terungen, die in ganz Deutschland im Zei­chen der Industriellen Revolution entstan­den. Als Bestandteil eines nahezu geschlos­senen gründerzeitlichen Rings um die his­torische Altstadt ist es zwischen 1880 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs unter privater Initiative bebaut worden. Die dama­ligen Planvorstellungen drücken sich in dem radial auf die Pauluskirche führenden Grund­risssystem aus.

Die hochgradige Dynamik der Sanie­rungstätigkeit führte hier nach der Wende zu einer raschen Aufwertung der Bausub­stanz. 1996 war die Sanierung bereits bei 30,2 % der erfassten Gebäude abgeschlos­sen oder im Gange (Ehrlicher 1997).

vier Jahren von damals 24,2 % auf 70,9 % nahezu verdrei­facht hat (vgl. Abb. 2).

Heute geben der reichhaltige Fassadenschmuck, die städte­baulich in sich abgeschlossene Gesamtsi­tuation und das Straßengrün dem Quartier ein eigenständiges Flair. Inzwi­schen ist das Paulusviertel wieder eine „gute Adresse" geworden.

starke Fluktuation unter der Bewohnerschaft (geringe Wohndauer) und die überproportionale Zunahme „neuer Haushaltstypen" (Nichtverheiratete in Le­bens-und Wohngemeinschaften).
Im Unterschied zu Mag­deburg, wo sich keine typische Konzen­tration in potenziellen Gentrifizierungs­gebieten belegen ließ, sind hier die Grup­pen der Pioniere und Gentrifier mit zusam­men knapp 30 % deutlich überrepräsen­tiert.

Es ist derzeit allerdings schwer abzu­schätzen, inwieweit sich die in Halle beob­achteten Entwicklungen in der Zukunft fortsetzen werden. Als wesentliche Einfluss­größe hat sich inzwischen der Prozess der Wohnsuburbanisierung erwiesen, der mitt­lerweile den bislang dominierenden Fort­zug nach Westdeutschland abgelöst hat Halle verzeichnet als größte Stadt Sachsen­ Anhalts seit 1990 einen Bevölkerungsver­lust von ca. 56 000 oder 18,2 % und zählt 1999 ca. 253000 Einw. Die ungebrochene Abwanderung in das Umland führt zu ei­ner geringeren Wohnungsnachfrage im in­nerstädtischen Bereich bei gleichzeitiger Zunahme der sanierten Wohnungen im Be­stand. 1997 wurden in Halle 16 400 leer­ stehende Wohnungen (11 % des Bestands) registriert. Die zunächst sehr hohen Miet- ­und Immobilienpreise für sanierte Woh­nungen sind drastisch rückläufig. Aus dem Vermietermarkt ist inzwischen ein Mieter und Käufermarkt geworden.







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