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Notizen zu Vorfahren der Ahnenliste der Geschwister Beyer


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5 Marie Schneider


Marie Schneider wurde 1890 in Rennerod (Westerwald) geboren, wo ihr Vater in staatlichem Auftrag als Hilfsförster den kränkelnden Gemeindeförster vertrat. Da das Forsthaus belegt war, wohnte man bei freundlichen Leuten zur Miete. Hier wurde Marie im April 1896 eingeschult. Zum 1.10.1898 erhielt der Vater seine erste Stelle als "Kgl. preußischer Hegemeister" (Förster) in Hof Roda (nördl. Biedenkopf), und die Familie mit inzwischen 5 Kindern von 2 bis 9 Jahren, zog in das dortige Forsthaus um. Mutter und Kinder fuhren mit der Bahn bis Biedenkopf voraus, der Vater folgte nach einigen Tagen mit dem Umzugsgut auf einem Leiterwagen, gezogen von 2 Pferden, nach. Das Forsthaus bot ausreichend Platz und war, wie üblich, mit einer kleinen Landwirtschaft verbunden, lag aber sehr einsam, und der Schulweg nach Hatzfeld war weit (7 bis 8 km). Im langen Winter gab es immer wieder schulfreie Tage, bis der Weg im hohen Schnee gespurt war. Im Hinblick auf Schul- und spätere Ausbildungsmöglichkeiten für seine Kinder betrieb der Vater baldmöglichst seine Versetzung. So kam die Familie im August 1901 auf das Forsthaus Altendiez (Nähe Diez / Lahn), nur eine knappe halbe Stunde vom gleichnamigen Dorf entfernt. Marie besuchte dort noch 2 ½ Jahre die Elementarschule (Volksschule) , immer auf Platz 1 ihrer Klasse, und wurde am 30. 3. 1904 mit sehr gutem Zeugnis entlassen. In der Pfarrkirche St. Peter wurde sie im gleichen Jahr konfirmiert. Die mit 6, später 7 Kindern, Haushalt und kleiner Landwirtschaft bis an den Rand ihrer Kräfte ausgelastete Mutter behielt ihre tüchtige älteste Tochter, die ihr besonders wesensverwandt war und lebenslang am nächsten stand, zunächst zur Unterstützung daheim, wo sie die "Kleinen" weitgehend selbständig betreute, bei ihrer Mutter aber auch die "gut bürgerliche Küche", nicht zuletzt die Zubereitung von Fleisch, Geflügel und speziell Wild gründlich erlernte. Sie war später eine perfekte Hausfrau und vielgerühmte Köchin.
Wie die Mutter und schon deren Vater wollte Marie Lehrerin werden. Die Eltern meldeten sie daher 1908 bei dem "Evang. Lehrerinnen-Seminar für Volksschulen der Diakonieanstalt zu Kaiserswerth a. Rh" an. Für Marie Sch. gehörten die 5 Jahre in Kaiserswerth zu den schönsten und unbeschwertesten ihres Lebens. Die Abschlussprüfung im Februar 1913 bestand Marie Sch. mit überwiegend guten Noten, auch die Lehrprobe wurde mit "gut" beurteilt. Dennoch wurde sie erst am 7. 8. 1914 "unter Vorbehalt des Widerrufs zur Lehrerin des Schulverbandes Oberhausen / Rhl." ernannt.
In Oberhausen fand sie Unterkunft mit Familienanschluss bei der kinderreichen, christlich geprägten Familie von Professor (= Oberstudienrat) Dr. Zillich. Es entstand eine lebenslange Freundschaft; beim 6. Kind (Ruth) wurde Marie Sch. Patin. - In ihrer Mädchenschule bildeten polnisch-sprachige Kinder aus Bergarbeiterfamilien die Mehrheit, die zugleich mit dem ABC erst einmal die deutsche Sprache erlernen mussten. Angesichts der tristen häuslichen Verhältnisse mit häufigen, willkürlichen Prügeln empfanden die Kinder die Schule als eine Insel von Ordnung, Gerechtigkeit und liebevoller Zuwendung, wohin man sich in den Ferien zurücksehnte. Die engagierte junge Lehrerin schlossen sie bald ins Herz, einige der Schülerinnen schickten bis in den 2. Weltkrieg hinein Weihnachtspostkarten.
Nach einer "besonderen Besichtigung ihres Unterrichts" im Oktober 1915 wurde Marie Sch. mit Schreiben vom März 1916 "für befähigt erklärt, im öffentlichen Schuldienst endgültig angestellt zu werden". Aufgrund dieser Feststellung wurde dann mit Wirkung vom 1.4.1916 die vorläufige Ernennung als endgültig bestätigt, jedoch mit der für Lehrerinnen üblichen Einschränkung, dass die Ernennung im Falle einer Heirat ohne weiteres hinfällig wird.
Im Februar 1917 starb kriegsbedingt der Vater. Da das Forsthaus über kurz oder lang geräumt werden musste und nur bescheidene Witwen- und Waisenbezüge zu erwarten waren, beschlossen Mutter und Tochter im Diezer Raum zusammen zu ziehen. Aufgrund ihres Antrags wurde Marie Sch. noch im gleichen Jahr nach Hahnstätten versetzt.
Hatte Marie Sch. in Oberhausen Mädchen der beiden ersten Schuljahre unterrichtet, so stand sie in Hahnstätten vor gemischten Klassen unterschiedlicher Schuljahre. Sie war eine gute und beliebte Lehrerin mit natürlicher Autorität, die - damals eher eine Ausnahme - auch mit den Dorfbuben ohne Stock auskam. Nicht wenige der damaligen Schülerinnen und Schüler begegneten ihrer Lehrerin noch nach Jahrzehnten mit Dankbarkeit und Hochachtung.
Marie Sch. integrierte sich bald in das dörfliche Leben, das sich ab 1919 vor allem in den Vereinen wieder zunehmend entfaltete. Sie trat in den Turnverein ein, der auch für das gesellige Leben im Dorf bestimmend war, leitete dort das Mädchenturnen und war wesentlich an der Gestaltung von Festen und Feiern beteiligt. Hier lernte sie auch ihren späteren Mann, den Fabrikanten Willi Beyer aus Zollhaus, kennen, der seit 1921 für ein knappes Jahrzehnt Vereinsvorsitzender war.
Am 10. Sept. 1924 fand die standesamtlichen Eheschließung in Hahnstätten, am Folgetag die kirchliche Trauung in Limburg statt. Marie B. verließ mit der Eheschließung den Schuldienst und wurde Hausfrau in Zollhaus. Im Oktober 1925 bekam Marie B. ihren Sohn Albrecht, einziges Kind dieser Ehe. Für die nächste Zeit gibt es zahlreiche Aufnahmen der glücklichen Eltern, insbesondere der Mutter, mit ihrem allmählich heranwachsenden Kind. Auch manche sommerliche Besuche der beiderseitigen Verwandtschaft und der Zillich-Kinder sind im Bild festgehalten. Orte der Handlung sind der idyllische Waldgarten in Hausnähe, der Teichgarten im Hammerhofgelände und - besonders für Gruppenaufnahmen - die kleine Freitreppe vor der schmiedeeisernen Portaltür des Fabrikhauses. Von den damals ziemlich regelmäßigen wöchentlichen Kaffeekränzchen von 4 - 6 Damen, das reihum ausgerichtet wurde, existiert leider kein Foto.
Die Bilder dieser Jahre lassen nicht erkennen, dass die schwierige wirtschaftliche Lage der Firma auch die Hausfrau nicht unberührt ließ. Sie habe meist nicht gewusst, mit welchem Haushaltsgeld sie für die jeweils nächste Woche rechnen konnte, erzählte sie später; einmal war reichlich Geld da, meist recht wenig, gelegentlich gar nichts. Sie habe aufgeatmet, als ihr Mann nach Verkauf der Farbenfabrik ein zwar bescheidenes aber festes Gehalt als Angestellter bezog. Etwa ab dieser Zeit wuchs sie dann auch in die Funktion des "Finanzministers" der Familie hinein.
Trotz der eigenen angespannten Lage und des zur Jahreswende 1931/32 bevorstehenden Umzugs aus dem Fabrikhaus in das bisherige, gerade aufgelöste Postamt nahm sie, als die Familie Zillich in Not geriet, im Herbst 1931 drei Zillichkinder (Trudel, Friedel und Christa) für knapp anderthalb Jahre unentgeltlich in Zollhaus auf. Ein reichliches Jahr nach Rückkehr der Zillich-Mädels zu ihren Eltern nach Altenkirchen (Westerwald) vergrößerte sich die Familie 1934 erneut durch die Aufnahme von Helmut B. (14), jüngster Sohn von Schwager Albert. Er fand in Tante Marie eine Ersatzmutter, deren Güte und helfendes Verständnis er noch im Alter rühmte, und in Zollhaus eine neue Heimat . Aber auch für Helmuts ältere Brüder Herbert und Erich, die 1934 im Chemiestudium bzw. in der Ausbildung zum Bankkaufmann standen, wurde Zollhaus zum oft angelaufenen, in Rat und Tat verlässlichen Stützpunkt und zu einem Stück Heimat. - Auch sonst gab es viel Besuch im "Hotel zur Alten Post", wie es bald hieß; das erhaltene Gästebuch (ab 1936) gibt Zeugnis von einem gastfreundlichen Haus mit einer tüchtigen Hausfrau im Mittelpunkt. Marie B. nahm die zusätzliche Arbeit gern auf sich. Besuche brachten immer Anregung und Abwechslung in das sonst etwas einförmige Landleben, bei dem man zu "verbauern" drohte, wie sie gelegentlich klagte.
Ihr Alltag war naturgemäß durch die Routine eines nicht ganz kleinen Haushalts mit zwei Schulbuben bestimmt. Es begann am Werktag schon gegen 5. 30 Uhr, denn eine Stunde später mussten die Schüler bereits im Zug sitzen, und endete erst zwischen 22 und 23 Uhr. Alle 4 bis 5 Wochen war für 2 Tage "große Wäsche" in der geräumigen Waschküche. Das Gröbste bewältigte zwar eine tüchtige Waschfrau, doch die Feinwäsche nahm sich die Hausfrau selbst vor. Im Herbst diente die Waschküche zum "Pefferkochen" (Zwetschgenmus, Rübenkraut), im Januar für das Schlachtfest. Zur Hausarbeit kam, je nach Jahreszeit, die Arbeit im Garten, die Marie B. viel Freude machte, und die Verwertung der Ernte, vor allem im Hinblick auf das Winterhalbjahr. Es gab ja damals auf dem Land nur selten Salat, Gemüse oder Frischobst zu kaufen, und Gelee, Marmelade und Konserven waren im Laden viel zu teuer. Bis 1940 wurde sie bei ihrer Arbeit nacheinander von vier Dienstmädchen unterstützt, die von ihr neben einem bescheidenen Lohn zu Weihnachten und zum Geburtstag ansehnliche Pakete zur Aussteuer und im übrigen eine solide Ausbildung in selbständiger Haushaltsführung erhielten.
Die Erziehung und schulische Förderung ihres Sohnes wie auch ihres Neffen Helmut lagen Marie B. sehr am Herzen. Dabei hatte sie mit Helmut, der schnell und selbständig arbeitete, wenig Kummer, während Albrecht langsam war, zum Trödeln neigte und - bei hohen Ansprüchen, vor allem an seine Aufsätze - manchmal unter Denk- und Schreibblockaden litt, die sie mit Geduld, Einfühlungsvermögen und mancherlei Anregungen aufzulösen verstand. Dass Albrecht trotz dieser Probleme die Schulzeit hindurch, auch dank ihrer Hilfestellung und Kontrolle, fast immer Klassenbester war, freute sie natürlich, nahm ihr aber nicht die Sorge, wie es einmal in der Berufsausbildung weitergehen würde.
Etwa ab 1934 war Schwiegermutter Caroline zunehmend verwirrt und betreuungsbedürftig, sodass Marie B. täglich mehrere Stunden mit ihr zu tun hatte. Nachdem sich 1936 mit Frau Lina Roth, eine großartige, christlich geprägte Betreuerin gefunden hatte, die "Großmutter Beyer" bis zum Tode (August 1940) vorbildlich versorgte und pflegte, war Marie B. im März 1938 in der Lage, ihre eigene Mutter aufzunehmen. Sie war für die übrige Familie eine liebe und hochgeachtete Hausgenossin, auch eine geistige Bereicherung. Sie starb, 85 Jahre alt, nach kurzer Bettlägerigkeit im April 1944.
Dem Nationalsozialismus stand Marie B. aus ihrer konservativ-christlichen Grundeinstellung heraus von Anfang an noch reservierter gegenüber als ihr Mann. Die Ausschreitungen der SA gegen politische Gegner und jüdische Geschäftsleute bei der Machtübernahme, die kirchenfeindlichen Maßnahmen des Regimes und Hitlers von Fanatismus, Hass und Überheblichkeit geprägte überlaute Radioreden stießen sie ab. Die standrechtliche Erschießung der SA-Führung während des sog. "Röhmputsches" ohne Verfahren vor dem zuständigen Reichsgericht hielt sie für rechtlich höchst bedenklich, ohne dass sie an der offiziellen Darstellung der Vorgänge gezweifelt hätte. Hitlers große innen- und außenpolitische Erfolge von der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit und der Wiederherstellung der Wehrhoheit über die Olympischen Spiele von 1936 bis zum Anschluss von Österreich und Sudetenland hat sie voll anerkannt, den Gedanken einer nationalen und sozialen "Volksgemeinschaft" über religiöse und Klassenschranken hinweg - wie die große Mehrheit aller Deutschen - vom Grundsatz her begrüßt. Doch die "Reichskristallnacht" am 9. Nov. 1938 und der offenkundige Vabanque-Kurs der Außenpolitik nach dem Münchner Abkommen (Sept.1938), über die sie ebenso entsetzt war wie ihre Mutter, ließen die vorübergehend positive Einschätzung des Regimes ins Gegenteil umschlagen. Nachrichten aus der Familie Hammerschlag über die massive Diskriminierung und Verfolgung angeheirateter jüdischer Verwandter und schließlich (1943) der persönliche Bericht von Martha Behrend, geb. Camp (Schwester von Eugenie Beyer) über die Verhaftung und Ermordung ihres jüdischen Mannes, eines um die Reform des Jugendstrafrechts in der Weimarer Republik verdienten Richters, in Berlin trieben sie endgültig in die innere Opposition; auch Euthanasiegerüchte von den Heilanstalten Nassau und Hadamar spielten eine Rolle.
Dessen ungeachtet stellte sie sich 1939, nach Einberufung der Burgschwalbacher Lehrer zur Wehrmacht, auf Anfrage des Schulrats aus dem Gefühl nationaler Verpflichtung heraus wieder für den Schuldienst zur Verfügung und unterrichtete engagiert, mit Freude am alten Beruf und von Schülern wie Eltern geschätzt ein knappes Jahr hindurch die Oberstufe in Burgschwalbach. Als jedoch das nunmehr weit stärker geforderte Hausmädchen in die ungleich besser bezahlende Rüstungsindustrie abwanderte und der Bürgermeister sich nicht sonderlich bemühte, Ersatz zu stellen, entschied sie sich - verärgert über so viel Kurzsichtigkeit - ohne Zögern für ihre Pflichten daheim.
Auch während des Krieges blieb die "Alte Post" Mittelpunkt der Familie. Hier verbrachten Helmut, seit 1938 Soldat, und manchmal Herbert mit Familie den Urlaub, hier erholten sich die Schwestern der Hausfrau vom Bombenalarm der Großstädte. Von September 1944 bis nach Kriegsende war jedes Fleckchen im Haus mit Verwandten und Gefolge aus Mönchengladbach belegt, die den Bombennächten entflohen waren.
Anders als in Limburg gab es beim Vormarsch der US-Truppen im Raum der mittleren Aar keinerlei deutschen Widerstand mehr. Beim Einrücken der Amerikaner in Zollhaus Ende März war u.a. die "Alte Post" innerhalb einer Stunde zu räumen. Nur das Nötigste durfte mitgenommen werden. Bei der befreundeten Bauernfamilie Kämpfer in Schiesheim kamen alle behelfsmäßig unter. Nach einigen Tagen waren die beschlagnahmten Häuser wieder frei: Einiges war verschwunden, manches mutwillig zerstört, die Schränke umgekippt und alles verdreckt, doch insgesamt war die Aufräumungsarbeit größer als der Schaden. Die Hauptsorge von Marie und Willi B. aber galt ihren beiden Soldaten, Helmut und Albrecht. Beide hatten das Glück, unverwundet zu überleben, erst kurz vor der Kapitulation in amerikanische Gefangenschaft zu geraten und aus den überfüllten Lagern schon im Juni nach Zollhaus entlassen zu werden, zuerst Albrecht, 14 Tage später Helmut. Für die Hausfrau blieb die Sorge um ihre beiden im Osten vermissten Brüder Wilhelm und Richard, von denen nur Wilhelm 1947 - zunächst schwer krank - zu seiner Familie nach Driedorf (Westerwald) zurückkehrte, während Richard schon im Spätherbst 1945 in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager in Novorosisk (Schwarzmeerküste) der Unterernährung zum Opfer fiel.
Ab Sommer 1945 gehörte Zollhaus zur neu eingerichteten französischen Besatzungszone. Im Jahr 1946 wurde Hahnstätten sogar für etwa dreiviertel Jahr französische "Garnison", eine Teileinheit zeitweilig in Zollhaus untergebracht. Hierfür musste erneut die "Alte Post" herhalten. Marie und Willi B. wurden von der befreundeten Bahnmeisterfamilie Petersen selbstlos aufgenommen. Sohn Albrecht kam bei Nachbarn unter. Die Monate im Bahnmeisterhaus, zunächst in einem ungewöhnlich schönen Sommer und Herbst, waren für Marie B. nach den harten körperlichen und seelischen Belastungen der Kriegszeit trotz ungewisser Zukunft eine Zeit der Erholung und des Kräfteschöpfens. Nach dem Abzug der Franzosen waren an die 14 Tage nötig, um das Haus durch Schrubben, Renovieren und Ungezieferbekämpfung wieder bewohnbar zu machen!
Angesichts der infolge Flucht, Vertreibung und Bombenkrieg herrschenden Wohnungsnot mussten im Haus zwei weitere Ehepaare aufgenommen werden; 3 der hierfür benötigten 4 Räume hatte Familie Beyer zu stellen. Eines der Ehepaare war Willi Beyers geschätzter Kollege Roßwurm mit seiner jungen Frau Gretel.- Trotz der beengten Verhältnisse gab es ab 1947 zunehmend Besuch von Verwandten und Freunden, meist Tagesbesuche, aber ein behelfsmäßiges Nachtquartier stand auch stets zur Verfügung. Das Bedürfnis, nach Jahren kriegs- und nachkriegsbedingter Trennung den persönlichen Kontakt wieder aufzunehmen, war damals groß; es gab zu berichten und zu diskutieren. Familie, Freunde und andere Gleichgesinnte gaben in den Jahren der Zerschlagung alter Strukturen, der Infragestellung überkommener Werte, des Umbruchs und der Ungewissheit über die weitere Entwicklung einen kaum zu überschätzenden Halt. Es wurde aber auch viel gelacht: Hier bestand Nachholbedarf, und die Erleichterung, persönlich glimpflich davongekommen zu sein, schlug durch.
Ein besonderer Anlas zum fröhlichen Feiern war die Silberhochzeit von Marie und Willi B. am 11. September 1949, zu der sich 16 Gäste in der "Alten Post" einfanden und begeistert den Refrain von Albrechts "Silberlied" mitsangen. In die frohe Runde platzten ahnungslos Christiane Mehlhorn (eine Cousine 2. Grades von Albrecht) und ihr Verlobter Wolf Zierold hinein, die sich gerade aus Weimar in den Westen abgesetzt hatten. Es wurde ein ausgedehnter Abend; Marie B. war fröhlich und gelöst wie seit langem nicht mehr.
Besonders häufig waren natürlich Helmut und bald seine liebe Frau Liesel, geb. Siebert zu Gast. Im Januar 1951 verabschiedeten sie sich zu Marie B.s schmerzlichem Bedauern nach Caracas/Venezuela, um in den folgenden Jahrzehnten, meist mit den Kindern, auf Europabesuch immer wieder in Zollhaus Station zu machen. 1950 ist erstmals Helmuts Bruder Erich mit Frau Julieta aus Caracas zu Besuch. Selbst die "Neubrandenburger", Willi B.s Schwester Clara Jaeger mit Söhnen und Enkel, sind zwischen 1948 und dem "Mauerbau" (August 1961) wiederholt im Gästebuch verzeichnet. Treue Besucher sind auch Willi B.s Cousine Liesel Ruberl, geb. Hammerschlag, aus Mailand, eine hochgebildete Frau von natürlicher Herzlichkeit (mit ihrem jüdischen Ehemann Dipl.-Ing. Ernst R. und drei Söhnen rechtzeitig emigriert), Dipl.- Ing. Karl Diehl (Köln) mit Frau, ein Neffe 2. Grades von Willi B. mit besonders ausgeprägtem Familiensinn, und ganz besonders sein Neffe Dr. Herbert B. mit 2. Frau Dr. Traude B.
Ebenso hatte Marie B. ihre eigenen Verwandten und Freundinnen zu Gast, allen voran ihre Geschwister sowie die Lehrerin Gertrud Zillich mit Kollegin und Freundin Frau Becker, oft auch Grete Gnauck, Kollegin und Freundin von Schwester Mathilde Schneider. Als diese ihr besonders nahestehende Schwester im März 1953 vorzeitig pensioniert wurde, nahm sie sie ihrem Wunsch entsprechend ganz selbstverständlich im Hause auf. Nach einem übersonnten gemeinsamen Sommer voller Zukunftspläne wurde im Herbst fortgeschrittener Darmkrebs diagnostiziert, an dem Mathilde im April 1954 starb. Für Marie B. war dies physisch und psychisch eine harte Zeit, von der sie sich erst allmählich erholte; die tägliche Pflicht und ihre strenge Selbstdisziplin halfen ihr dabei.
Sohn Albrecht stand zwar seit Sommer 1946 in Frankfurt/M. in Studium und Berufsausbildung, kam aber alle 14 Tage zum "Wäschewechsel" und Jahre hindurch auch zur "Verpflegungsübernahme" für sich und seine Wirtsleute. In den Semesterferien war er meist ganz daheim. Das änderte sich erst mit seinem Eintritt in die Bundeswehr (Okt. 1956). Nach der Gründung seines eigenen Hausstandes (Okt. 1959) waren er und seine Frau Irmgard, bald auch eine wachsende Kinderschar, mehrfach jährlich kürzer oder länger in Zollhaus zu Gast, für die Mutter und Großmutter mehr Freude als Last. Über Jahre hinweg ließ sie es sich nicht nehmen, die junge Familie nicht nur trefflich zu beköstigen, sondern auch, mit Hilfe von Frau Bender, der Hauswirtin, im Hause unterzubringen; erst ab dem 4. Kind (Annette) diente die "Grüne Au" in Schiesheim , später der Pensionsbetrieb auf der Burgschwalbach zur Unterkunft.
1956 hatte sich die Gelegenheit geboten, in einen reizvoll und ruhig gelegenen, der Sonne geöffneten Neubau am Südrand von Zollhaus umzuziehen. Die Dreizimmerwohnung (im 1. Stock) mit zusätzlicher Wohnküche war im Vergleich zur "Alten Post" kleiner, doch weit heller und wärmer, dank Zentralheizung zudem pflegeleicht, brachte aber längere Wege zum Einkauf, Bahnhof und auch zum Garten mit sich. Diesen Umzug musste Marie B. gegen ihren Mann durchsetzen, der lieber im Ortszentrum (und damit gegenüber seinem Stammlokal!) geblieben wäre - einer der seltenen Fälle von Belang, in denen die Eheleute unterschiedlicher Auffassung waren. Die Hausfrau hat die neue Wohnung sehr genossen, ihr Mann schätzte sie zunehmend ebenfalls.
Nach einigen schönen Jahren in der Sommerau begannen im Frühjahr 1963 die kürzeren oder längeren Krankheitszeiten ihres Mannes, die ab November 1964 in ständige Pflegebedürftigkeit wechselnder, insgesamt zunehmender Intensität übergingen. Marie B. lehnte ein Pflegeheim kategorisch ab und trug, obwohl selbst schon Mitsiebzigerin, über Jahre in christlich verwurzelter Liebe zu ihrem Mann und manchmal am Rande ihrer Kräfte die Hauptlast der Pflege, immer wieder für einige Wochen selbstlos unterstützt von Schwester Emmy oder Bruder Wilhelm. Ein geduldiger, tapferer und dankbarer Patient erleichterte den Pflegedienst. Im August 1967 beendete ein Schenkelhalsbruch die Möglichkeit häuslicher Pflege. Der Patient war zu schwer, um von seiner Frau - ohne eigene Mithilfe - weiterhin versorgt werden zu können. So erlosch (Jan. 1968) sein Leben im Altersheim Braunfels, beschleunigt durch eine lieblose, minimale Versorgung.
Im Laufe des Jahres erholte sich Marie B. von der schweren Pflege, für einige Sommerwochen weilte sie in Rotenburg/ F., dem neuen Standort ihres Sohnes; die Feier zum 78 sten mit vielen örtlichen Gratulanten, vor allem aber mit Helmut B. und dessen Sohn Gerhard aus Caracas sowie Herbert und Traude B. aus Königstein, gab weiteren Auftrieb. Als ihr Anfang 1969 im Hause des befreundeten Ehepaars Roßwurm an der Burgschwalbacher Straße eine kleinere und zu Garten und Bahnhof günstiger gelegene Wohnung angeboten wurde, zog sie im März dorthin und fühlte sich gleich wohl. Im Juli feierte sie in Rotenburg die Taufe ihres jüngsten Enkels Reinhard mit, im August betreute sie sogar für 14 Tage Cornelia (Bettina und Annette waren anderweitig verteilt), um die Eltern während des Urlaubs etwas zu entlasten.
Ein unbeschwertes Jahr 1970 mit längeren Besuchen in Rotenburg und bei den Geschwistern Wilhelm und Emmy, einer Reise nach Oberhausen zu einer früheren Kollegin und einem Herbsturlaub im Taunus auf Einladung von Trudel Zillich klang, mit der Feier des 80. Geburtstages im Kreis der Verwandtschaft für Zollhäuser Verhältnisse recht glanzvoll im Limburger Domhotel aus, zur großen Freude von Marie B. mit Helmut (Caracas) als "Überraschungsgast".
Im Januar 1971 stürzte Marie B. in ihrer Wohnung aufgrund eines Schwindelanfalls schwer, zog sich eine erhebliche Kopfverletzung sowie einen Oberarmbruch zu und konnte erst nach Stunden der Bewusstlosigkeit und starkem Blutverlust Frau Roßwurm alarmieren. Nach längerem Krankenhausaufenthalt erholte sie sich zwar weitgehend, fürchtete jedoch, auf Dauer alleine nicht mehr fertig zu werden. Im Mai 1972 fand sie im privaten Seniorenheim "Haus Deul" in Diez, eine geräumige Zwei-Zimmer-Wohnung in Südwestlage, die ihr sofort gut gefiel. Schon bald schrieb sie nach Urbach: "Das Einleben hier fällt mir nicht schwer.". Es wurde ihr erleichtert durch zahlreiche Besuche aus Verwandtschaft, Freundes- und Zollhäuser Bekanntenkreis sowie eigene Gegenbesuche, vor allem aber auch durch das gehobene Niveau der Mitbewohner. Sie wurde zur Seniorensprecherin gewählt, richtete eine kleine Hausbibliothek ein und setzte Verbesserungen im Heimbetrieb durch. Nach schönen Weihnachtstagen bei Sohn Albrecht und Familie in Porz-Urbach (Köln) erkrankte sie dort an Sylvester 1972 an einer schweren Grippe mit hohem Fieber; mit Mühe wurde ein Arzt aufgetrieben. Erst Ende Januar 1973 war die Rückfahrt nach Diez möglich. Im März schrieb sie, es gehe ihr wieder relativ gut, doch das Gedächtnis lasse seit der Krankheit deutlich nach.
Die Briefe der folgenden Jahre an Sohn und Schwiegertochter spiegeln einerseits das Gleichmaß der Monate in "Haus Deul" mit Besuchen, Gegenbesuchen und Ausfahrten im Nassauer Land mit Herbert oder auch den Hammerschlag-Töchtern wider, andrerseits die Freude über schöne Urlaubszeiten in Urbach - meist je 2 - 3 Wochen im Frühling, im Herbst und über Weihnachten - sowie in Driedorf bei Bruder Wilhelm. Über die täglichen Spaziergänge mit Irmgard "auf stillen ebenen Straßen" war sie besonders glücklich. Am Heranwachsen ihrer 5 Enkelkinder nahm sie warmen Anteil, besondere Freude machte ihr der anhängliche kleine Reinhard. 1973 lobte sie: "Ein schönes Weihnachtsfest: Die Weihnachtsgeschichte in Wort und Lied, mit Geige und Flötenspiel". Eine Gallenkolik verhinderte ihren Besuch zu Bettinas Konfirmation (1975), die Konfirmationen von Dietmar (1976) und Cornelia (1978) konnte sie mitfeiern. Ihr 85. Geburtstag (1975) wurde in kleinerem Kreis in Driedorf begangen, ein Jahr darauf "Beyer-Treffen" in Urbach mit Herbert, Traude und Helmut (Caracas).
Die Tatsache, dass sie manchem Jüngeren das letzte Geleit geben musste und sich auch der Verwandten- und Freundeskreis stark lichtete, nahm sie zwar klaglos als naturgegeben hin, machte sie selbst aber ab 1979 zunehmend lebensmüde. Ihren 90. Geburtstag (1980) wollte sie eigentlich gar nicht feiern, doch fand sich ein kleiner Kreis der nächsten Verwandten und Freunde in Driedorf zusammen.
Die letzten anderthalb Lebensjahre wurden vom weiteren Abbau der körperlichen und nunmehr auch der geistigen Kräfte, partieller Verwirrung (Verfolgungswahn) und einer für die Familie schmerzlichen Wesensveränderung zu Misstrauen und Härte hin überschattet. Sie litt sehr darunter, dass befreundete Damen im Haus Deul sich nun von ihr zurückzogen; die Ursache vermochte sie freilich nicht mehr zu erkennen. Ihr Wunsch, ganz zur Familie ihres Sohnes zu ziehen, ließ sich angesichts des großen Haushalts und der damit ohnehin hart geforderten Hausfrau leider nicht verwirklichen. Bald nach einem letzten Aufenthalt in Porz (April / Mai) wurde Marie B. im Juni bettlägerig und verlor zunehmend das Bewusstsein; ihren Sohn und seine Frau, nach Anruf durch die Heimleitung herbeigeeilt, hat sie wohl nicht mehr erkannt. Am 19. Juni 1981, dem Geburtstag ihres Mannes, schlief sie ruhig ein. Ein großer Kreis von Verwandten, Freunden und guten Bekannten nahm in der Kapelle auf dem neuen Friedhof in Diez von ihr Abschied. Die Urne wurde im Familiengrab in Hahnstätten beigesetzt.
Marie B. war eine durch christlich-vaterländische Erziehung in Elternhaus und Seminar wie durch Lebenserfahrung geprägte Persönlichkeit von guter Intelligenz, kritischem Urteil und lauterem Charakter. Pflicht, Verantwortung, Nächstenliebe und Selbstdisziplin waren die bestimmenden Elemente ihres Ethos. Bei allen Aufgaben, die ihr das Leben stellte, voll engagiert, leistete sie als Lehrerin, Hausfrau und nicht zuletzt als "Nothelferin" Überdurchschnittliches. Ihre Warmherzigkeit und verständnisvolle Güte, ihre gern geübte Gastfreundschaft und selbstlose Hilfsbereitschaft machten sie und ihr Haus in schwierigen Zeiten zum Mittelpunkt der Familie.
Trotz ihrer Kaiserswerther Erziehung war Marie B. kein religiös bestimmter, um Glaubens-gewissheit ringender Mensch, wohl aber hatte sie die christlich-lutherische Ethik tief verinnerlicht und lebte danach. Sie war bemüht, die religiöse Entwicklung ihres Sohnes in die gleiche Richtung zu lenken und ihm im übrigen die eigene spätere Glaubensentwicklung offen zu halten. Den Gottesdienst besuchte sie, zusammen mit ihrem Mann und manchmal auch ihrem Sohn, nur an den hohen Feiertagen. Ihr wichtige Hilfsorganisationen und Sozialeinrichtungen, vorab Bethel, das Deutsche Rote Kreuz und den Volksbund für Kriegsgräberfürsorge unterstützte sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Marie B. war ihrem Mann geistig und bildungsmäßig weit überlegen, ließ ihn das aber nicht spüren. Er wusste es ja auch selbst und überließ seiner Frau gerne den Schriftverkehr mit Behörden, die gesamte Familienkorrespondenz, die Erziehung des Sohnes und auch das "Finanzressort", solange nur ein ausreichendes Taschengeld für sein Stammlokal und seine Verpflichtungen als Feuerwehrkommandant zur Verfügung stand! Mit der für die Familie wichtigen Absicht dagegen, das aus dem Verkauf der Farbenfabrik stammende kleine Kapital in den 30er Jahren in ein Eigenheim zu investieren, konnte oder wollte sich Marie B. nicht gegen ihren Mann durchsetzen, der sich nicht von Zollhaus zu trennen vermochte (wo es damals kein erschlossenes Bauland gab). Sicher spielte dabei die christliche Vorstellung vom Mann als bestimmendem Oberhaupt der Familie eine Rolle, sicher auch die Erkenntnis, dass der Wohnort Zollhaus für ihren Mann existenzielle Bedeutung besaß.
Auch sie selbst fühlte sich in Zollhaus wohl und zu Hause. Die Hausfrauentätigkeit machte ihr Freude, vor allem in Küche und Garten, und die landschaftlich reizvolle Umgebung war für sie eine stete Quelle der Erholung. Doch vermisste sie etwas die vielfältigen geistigen Anregungen, die ihr Seminar und Berufsleben geboten hatten. Der gesellige Verkehr im kleinen Zollhaus hielt sich naturgemäß in engen Grenzen, und um das kulturelle Angebot in Wiesbaden und Limburg öfters zu nutzen, fehlten Mobilität, Geld, oft auch Zeit und Kraft und nicht zuletzt ein Ehemann mit ähnlichen Interessen. So hat sie gern gelesen - Lebenserinnerungen, Biographien und gute Romane -, hatte lange Jahre "Westermanns Monatshefte" (Literatur, Kunst, Reisen) abonniert und freute sich über jeden Besuch, der geistige Anregung und belebende Abwechslung in den ländlichen Alltag brachte.
Als Marie B. heiratete, war sie 33, ihr Mann 42 Jahre alt. So beruhte ihre Ehe wohl von Anfang an eher auf gegenseitiger warmer Zuneigung und Vernunftgründen als auf einem Überschwang der Gefühle. Wie unterschiedlich die Eheleute auch waren, beide sahen die Ehe mit großer Selbstverständlichkeit als unauflösbaren Bund und gingen in verhaltener Liebe und unbedingter Treue und Verlässlichkeit ihren gemeinsamen Weg, bis hin zur langen, schweren Pflege des Mannes durch seine Frau - höchste Bewährung dieser guten Ehe.

(Nach den Aufzeichnungen des Sohnes Albrecht Beyer)


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