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I die ideale Gemeinde


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II Eine Gemeinde ohne Zukunft


a) „Mit uns´rer Macht ist nichts getan“: von der Ohnmacht eigener Liebe

Ephesus ist eine Gemeinde ohne Zukunft. Ihr droht der Verlust des Leuchters, wenn sie nicht umkehrt. Denn sie leuchtet nicht mehr. Sie strahlt nicht mehr wieder, weiter, zurück. Sie versucht mit aller eigenen Kraft, Licht zu erzeugen; aber sie hat vergessen, daß wahres Licht nur von Gott kommt und daß sie leuchten kann nur, wenn sie sich dem Licht Gottes aussetzt. Sie versucht mit aller eigenen Macht, Wärme zu erzeugen, aber sie hat vergessen, daß wahre Wärme nur von Gott kommt und daß sie wärmen, Liebe weitergeben kann nur, wenn sie selber gewärmt wird, wenn sie sich selber der Liebe Gottes aussetzt; daß sie dann, wenn sie sich dieser Wärme entzieht, notwendig erkaltet, den geistlichen, emotionalen, ethischen Kältetod stirbt: sowohl selbst erstarrt und erfriert, wie auch zu anderen nicht mehr Wärme abstrahlen kann, diesen allenfalls noch Wärme entzieht, sie erfrieren läßt, wenn sie sich ihr zu sehr nähern. Die gesunde Distanz, die manche skeptische Zeitgenossen zu frommen Kreisen wahren, ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine Überlegung wert.

Natürlich kennt diese Gemeinde das Liebesgebot Jesu, und selbstverständlich wird sie mit aller Macht, aller ihrer Macht auch versuchen, es umzusetzen; natürlich wird sie versuchen, Wärme abzustrahlen, und das große Maß ihrer Werke, die anerkannt werden, gibt ja auch beredtes Zeugnis von ihren Anstrengungen. Aber diese Produktion von Licht, Wärme, Liebe wird immer mühsamer; sie wird immer künstlicher, immer gezwungener, und irgendwann funktioniert sie nicht mehr, und es wird jedem – außer vielleicht ihr selbst - offenbar, daß der Zugang zur Quelle fehlt und daß die Gemeinde selber zu schaffen versucht, was ihr nur Gott geben kann; daß sie selber zu machen sucht, was sie nur empfangen kann.

Ephesus, diese Supergemeinde, ist eine Gemeinde ohne Zukunft. Das ist ein überaus erschreckende Diagnose. Wir sehen vor uns eine Gemeinde, die alles hat, was man sich nur wünschen kann,- und dennoch gilt das Urteil des HErrn und Weltenrichters: wenn du nicht umkehrst, dann bist du nicht mehr Leuchter, bist du nicht mehr Gemeinde.

Worin liegt der Kernschaden dieser Gemeinde, die bald keine, die im Grunde jetzt schon keine mehr ist? Was ist der Grund für diesen Kernschaden, der die ganze Existenz der Gemeinde in Frage stellt?

Es ist ein Segen und ein Grund für wirkliche Dankbarkeit, daß unser Herr uns genau sagt, was denn in Ephesus schief gelaufen ist; daß wir von seiner Beurteilung, seinem Urteil und seiner Zurecht-Weisung an die Adresse von Ephesus profitieren dürfen – wir alle, die wir wie „Ephesus“ sind, die wir „Ephesus“ sind.

Erst des Herrn Wort kann uns helfen, in all unseren Bemühungen um Gemeindeaufbau unser Augenmerk auf den entscheidenden Sachverhalt zu lenken und von allem abzusehen, was doch offenbar bloß sekundär ist, was alles nichts ist, wenn das nicht ist. Unser Herr benennt eindeutig den Krebsschaden von Ephesus, das „Aber“, das entscheidende „Aber“, das alles Vorangehende relativiert, ja außer Kraft setzt: „Aber ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlassen hast.“

Es ist klar, daß nun zunächst alles darauf ankommt zu erfassen, was denn das ist: die erste Liebe, und zu erkennen, was denn damit gemeint ist: die erste Liebe verlassen zu haben. Denn das müssen wir ja mit aller Macht vermeiden; das ist ja wichtiger als alles andere, was uns in der Gemeinde Jesu und im Hinblick auf sie bewegen muß.


b) Die erste Liebe als die bräutliche Liebe

In den Kommentaren finden wir eine ganze Palette von Auslegungsmöglichkeiten. Es dürfte jedoch klar sein, daß eine Auslegung im Sinne einer Vernachlässigung des Liebesmahles wohl doch nicht weit genug greift. Auch die Auffassung, die Gemeinde habe nicht genug spirituelle Dynamik gehabt und ihre Geistesgaben vernachlässigt (Kraft), reicht noch nicht aus. Muß nicht der Apostel Paulus der überaus charismatischen Gemeinde in Korinth die Liebe als die entscheidende Gottes-Gabe vor Augen malen? Und gab es nicht gerade in Korinth eine mangelhafte, den Charakter des Brotbrechens in Frage stellende Praxis des Liebesmahles?

Ich denke mit Fritz Grünzweig, daß „erste Liebe“ zugleich eine zeitliche Reihenfolge und sachliche Rangfolge bezeichnet.1 Bei der ersten Liebe dürfen wir zunächst an das Denken, was wir mit Verliebtsein assoziieren : ein totales Hingegeben- und Ausgerichtetsein auf den einen Partner, der wichtiger ist alles andere; für den wir gerne alles tun; für den wir alles gerne tun; der ganz organisch zum Mittelpunkt unserer gesamten Weltsicht und zum Bezugspunkt all unseres Handelns wird. Alles tun wir für ihn. Jeder Gedanke gilt im Grunde ihm. Ihm wollen wir gefallen, und wir haben nur den einen Wunsch: in seiner Nähe zu sein.

Und wie glücklich sind die Ehen, in denen das ein Leben lang anhält. Psychologen sagen uns, daß der erste Partner, auf den wir uns so ausschließlich einlassen, eine ungeheure, alle weiteren Beziehungen prägende Bedeutung hat, deren Prägekraft nicht wieder rückgängig gemacht werden kann (Allendy). Daß diese zeitliche Bedeutung nicht ganz ausgeschlossen werden kann, sondern mitschwingt, zeigt die Aufforderung, zu den ersten Werken zurückzukehren. Erste Liebe heißt: ganz von Christus geprägt, bestimmt, ganz auf ihn hin gerichtet sein, wie eine Frau, deren Verlangen nach ihrem Mann ist und der ihr Haupt ist (vgl. 1. Kor 11,3; 1. Genesis 3,16).

Erste Liebe meint damit sicherlich auch das andere: die Liebe, die Priorität hat, das, was im Mittelpunkt unseres Liebens steht; das, was wir mehr lieben als alles andere, was uns wichtiger ist als alles andere.
c) Aus der Liebe des Bräutigams gefallen

Wenn wir Erste Liebe in diesem Sinne einer zeitlichen und sachlichen Priorität verstehen, dann erschließt sich weiter, was es heißt, daß die Gemeinde aus der ersten Liebe gefallen ist:



  • Die Gemeinde wird als Braut Christi gedacht; die erste Liebe ist die bräutliche Liebe; es ist das Verlangen, das die Braut nach dem Bräutigam hat, das die Gemeinde nach dem hat, dem sie alles verdankt, der sie über alles liebt, der sein Leben für sie hingegeben hat, der ihr verbunden ist, mit ihr Verbindung hält (über die Sterne in seiner Rechten!) und auf den sie wartet, weil sie weiß, daß er sie in eine ewige, ununterbrochene, unendliche glückliche Gemeinschaft zu sich bringen will und wird. Diese bräutliche Liebe, Haltung, Erwartung auf IHN hat Ephesus aufgegeben. Sie ist die perfekte Braut, oder genauer: Sie spielt die perfekte Braut; sie tut alles, was man von einer treuen, rechtschaffenen, perfekten Braut erwarten kann; das Problem ist nur: sie wartet nicht mehr; sie hofft nicht mehr; sie liebt nicht mehr,- obwohl sie das natürlich nie zugeben würde; obwohl es natürlich zu ihrem Selbstverständnis gehört, daß sie liebt, hofft, an ihren Bräutigam glaubt. Und wehe dem, der das bestreitet!

  • Es hängt nun freilich alles für das Verständnis der ersten Liebe daran, daß wir schon hier noch einmal genauer hinschauen und genauer formulieren. Die erste Liebe ist nicht die Liebe der Braut, und das Problem ist nicht in erster und entscheidender Hinsicht, daß die Braut nicht mehr lieben wollte. Die erste Liebe ist die des Bräutigams zu seiner Braut: das ist die entscheidende Liebe, und das Problem besteht darin, daß die Braut nicht mehr aus dieser Liebe lebt; daß sie diese Liebe nicht mehr erfährt; daß sie sich ihr nicht mehr aussetzt; daß sie vielmehr die Liebe des Bräutigams durch ihre eigene Liebe zu ersetzen sucht. Ihre Liebe ist nicht mehr bräutlich, weil sie nicht mehr aus der Liebe des Bräutigams lebt. Sie hat die erste Liebe verlassen und liebt nicht mehr wie am Anfang, aber nicht, weil sie in ihren Anstrengungen nachgelassen hätte – ganz im Gegenteil!, sondern weil sie seine Liebe zu ihr nicht mehr erkennt wie früher; darum hat die Liebe zu ihm auch nicht mehr Priorität.

Dies gilt es nun im einzelnen zu begründen und zu entfalten.
d) Ephesus hat alles, aber ohne die Liebe ist alles nichts

Aus der Braut, die Feuer und Flamme ist für ihren Bräutigam, ist die Jungfer geworden, die vor allem um sich und ihr Image besorgt ist. Konkret heißt das:




  1. Aus Nächstenliebe wird „Liebeswerk“

„Im Zentrum des christlichen Glaubens tritt der Kältetod ein“2 Aus Liebe zu Christus geschieht immer weniger und schließlich nichts mehr. Was früher organisch, selbstverständlich, ohne Nachdenken passierte, wird nun zu einem Akt der Pflicht und einer – wie man so schön sagt – „Frage des Gehorsams“. Natürlich gibt es Werke! Und wie! Und wie viele! Aber sie werden immer mehr zu Mühe und Mühsal. Liebe und Freiwilligkeit sind schon lange nicht mehr ihre Beweggründe; aus Freude geschehen sie schon lange nicht mehr. Die Routine, nicht die Erwartung, die Form, nicht die Freude bestimmen ihren Dienst.

Daß die Gemeinde Werke hat und tut, bestreitet ihr der Herr nicht. Und dennoch ruft er Ephesus bezeichnenderweise zu den „ersten Werken“ zurück (v. 5). Es gibt in Ephesus Werke, aber es sind eben nicht die „ersten Werke“, die Werke, die aus der ersten Liebe heraus geschehen; aus dem Geschehen des Gewärmtwerdens von der Liebe des Bräutigams und aus dem Bedürfnis, auf diese Liebe zu antworten.




  1. Aus der Liebe Christi wird die Liebe zu Christus

Früher handelte die Braut aus Liebe – nein, nicht aus der Liebe zu Christus; das wäre zu wenig, und hier fehlte die entscheidende Pointe. Sie handelte nicht aus der Liebe zu Christus, sondern aus der Liebe Christi, aus der Liebe des Christus zu ihr; aus der Liebe, die Christus zu ihr hat und die sie spürte; die sie sich gefallen ließ und die sie wie von selbst weiter- und zurückgab. Jetzt handelt die Gemeinde aus der Liebe zu Christus heraus. Und was so gut und richtig zu sein scheint, macht alles falsch, schief und krumm, verdreht alles, durchsäuert alles.

Denn diese ihre Liebe reicht für die Werke der Liebe nicht hin; sie reicht nicht aus. Irgendwann ist ja auch der stärkste Bulle erledigt; irgendwann ist auch das energiereichste Zugpferd ausgepowert. Freilich, Ephesus zeigt das nicht. Das gehört sich nicht. Das wäre ein Zeichen eines schwachen Glaubens. Ephesus verwechselt Liebe Christi mit Liebe zu Christus. Die Resultate kennen wir wohl alle:



  • ein zuweilen ungeheurer geistlicher Leistungsdruck;

  • die Erfahrung des Versagens;

  • Depressionen angesichts der eigenen Mangelhaftigkeit und Schwäche, sowie schließlich zum schlechten Schluß

  • Ausgebrannt-Sein, wenn es wirklich und wahrhaftig nicht mehr weitergeht.

Wir handeln nicht mehr, weil wir die Liebe des Geliebten spüren und nur einen Wunsch haben, auf sie zu antworten. Wir handeln, werken, wirken, weil ja alle schaffen; weil ja alle – oder fast alle – sich so einsetzen, soviel tun. Und dann halten wir die Fassade voreinander solange aufrecht wie möglich. Und wenn dann einer nicht mehr kann und eine zusammenbricht, dann werden sie eben schamhaft versteckt, dann gibt es zur Not christliche Fachkliniken, in der man ganz viel Ephesus findet. Im schlimmsten Fall heißt es dann: Er/ sie hat eben nicht genug Glauben gehabt; nicht genug Liebe gehabt zu Christus. Erschreckenderweise ist das eine Variante, die uns nicht nur bei charismatischen Freunden begegnet, sondern auch bei ganz nüchternen Christen, die es eigentlich aus langer Erfahrung und geprägter geistlicher Tradition heraus besser wissen müssten.

Und gerade wenn wir nicht mehr können, wird die Versuchung übermächtig, den charismatischen Führergestalten zu folgen, die es ja offenbar doch geschafft haben; die ja offenbar doch über eine unendliche Liebe zu Christus verfügen! Wie lautet ihr Rezept? Was muß man tun, um Christus so lieben zu können? Und dann läßt sich Ephesus von Scharlatanen führen, noch weiter wegführen von der Liebe Christi, verführen zu der Liebe zu Christus als dem entscheidenden Gipfel, den wir zu erklimmen, dem entscheidenden Werk, das wir zu bringen hätten. Keine Gemeinde im Gemeindespiegel von Off 2-3 zeigt freilich deutlicher als Ephesus, daß es genau das nicht bringt.

Liebe Geschwister, Ihr versteht? Es geht mir natürlich nicht darum, die Bedeutung der Liebe zu Christus in Frage zu stellen! Aber sie wird tatsächlich dort gefährlich, wo sie an die Stelle dessen tritt, was sie nicht ersetzen kann und nicht ersetzen darf: an die Stelle der Liebe Christi, der Liebe, die er zu mir hat; der Liebe, die er mir gibt und die allein mein Leben ermöglicht.

Die Verwechslung von Liebe zu Christus und Liebe Christi zu mir ist buchstäblich lebensgefährlich. Sie „kostet“ den „Leuchter“. So ernst steht es.




  1. Aus Gottesliebe wird Eigenliebe

Ephesus lebt tatsächlich immer noch im theoretischen Bewußtsein: Der Herr liebt mich. Das gehört zu ihrem Selbstverständnis. Und dennoch ist etwas Entscheidendes anders geworden. Früher hat die Braut es erfahren: Der Bräutigam nimmt mich an. Sie hat es gespürt, und es hat sie gehalten: Die Liebe des Bräutigams gibt mir Wert. Ich bin wertvoll, weil ich wertvoll bin in seinen Augen; weil er mich, mich vor allem liebt. Ich bin etwas, ich bin etwas wert, weil er mich liebt. Die Braut setzt sich dieser Liebe aus. Ein typisches, nicht zu überbietendes Beispiel dieser Haltung ist Maria, die einfach nur zu den Füßen Jesu ruht. Sie schafft nicht, sie wirkt nicht. Ihr Haltung ist – gemessen an moralischen Maßstäben und bürgerlichen Konventionen – schon unmöglich. Da fallen „13 Mann hoch“ in das Haus der Schwestern ein, und sie hat nur eines zu tun: Jesus zu suchen, seine Nähe zu spüren; ihn anzusehen; ihm zuzuhören; die Worte von seinen Lippen abzulauschen. Nichts darf ihr entgehen von dem, was er sagt; von seiner Gegenwart. Denn das ist das, was alles, aber auch alles andere in den Schatten stellt, und seien es die hausfraulichen Pflichten. Fasziniert von Jesus, hingeordnet auf ihn, ihm ganz zugewandt, leben in seiner Gegenwart, aus seiner Gegenwart, angeschaut werden von ihm: sich geliebt wissen von ihm. So lebt die Braut in der ersten und aus der ersten Liebe.

Die Jungfer erfährt diese Liebe nicht mehr. Sie weiß sich höchstens noch theoretisch geliebt. Sie liest das noch, aber Papier ist ja ein schlechter Wärmeleiter. Sie hört es auch noch: aber Worte sind ja Schall und Rauch – sie vergehen. Wo mich aber niemand wirklich liebt, da bleibt mir nichts anderes übrig, als mich selbst zu lieben. Ich muß doch leben, will doch überleben.

Wo mich niemand definiert durch seine Liebe, muß ich mich selbst definieren. Wo mich niemand hält durch seine Liebe, muß ich mich selbst halten. Wo ich nicht fraglos weiß durch die Liebe des Bräutigams, wer und was ich bin und daß ich unheimlich wertvoll bin, da muß ich mir das selbst beweisen; da muß ich mir Gutes tun; da muß ich für mich selbst sorgen; da muß ich an mich selbst denken. Da ist dieser Bezug zu mir selbst und auf mich selbst eine Selbstverständlichkeit. Da ist er doch ganz logisch! Logisch und für Christen furchtbar tragisch.

Da ist die erste Liebe verlassen,- diese Beziehung zum Bräutigam, die den christlichen Glauben in seinem Kern ausmacht, ist nicht mehr. Und es entsteht dann diese für Ephesus kennzeichnende seltsame Doppelbödigkeit: Wir reden von der Liebe Gottes, aber wissen eigentlich gar nicht mehr, was das ist; wir haben dann den Anspruch, diese Liebe Gottes weiterzugeben, in Wirklichkeit sind wir aber damit beschäftigt, uns selbst zu lieben: unsere Gemeinden, unsere Traditionen, unsere Formen, unsere Werke, unsere Theologie.

Wer die erste Liebe verläßt, bei dem tritt an die Stelle der Liebe Gottes die Liebe zu sich selbst. Das ist in jedem Fall das schlechtere Geschäft. Das für Menschen, die in der Liebe und Gegenwart Gottes leben, kennzeichnende Sich-Verschenken, der für Glaubensmissionen mindestens in ihrer Frühlingszeit kennzeichnende Umgang mit Geld, die spezifische Sorglosigkeit stellen für Außenseiter, die die Beweggründe nicht kennen, manchmal geradezu unnüchterne Verhaltensweisen dar. Wer dagegen den Quellgrund kennt, aus dem dieses Verhalten wächst, dem erschließt sich dieses Handeln und Verhalten als einzig logisch: Gott sorgt für mich. Was könnte mir Besseres passieren? Warum sollte ich die vergleichsweise unnütze Mühe daran wenden, für mich selbst zu sorgen, für das eigene Werk zu sorgen und einen Werksegoismus zu pflegen, für das Überleben des eigenen Gemeindeverbandes zu kämpfen?

„Seid nicht besorgt für euer Leben, was ihr essen und was ihr trinken sollt, noch für euren Leib, was ihr anziehen sollt ... . Seht auf die Vögel des Himmels, daß sie nicht säen und daß sie nicht ernten, noch in Scheunen sammeln, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel vorzüglicher als sie? ... Seid nun nicht besorgt! ... Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles (was ihr bedürft) wird euch hinzugefügt werden.“ (Mt 5, 25-33)

Seid nun nicht besorgt! Das scheint eine geradezu fahrlässige Aufforderung zu sein – es sei denn, jemand lebt und erfährt den alles entscheidenden Hintergrund der fürsorgenden Vaterliebe Gottes. Ephesus erfährt sie nicht. Ephesus ist nicht unbedingt egoistisch; aber sie geht lieber auf Numero Sicher. Sie geht auf Numero Sicher, weil sie die Liebe Gottes nicht erfährt. Und umgekehrt: Weil sie auf Nummer Sicher geht, erfährt sie die überwältigende Liebe Gottes nicht.

Daß ein Netz gespannt ist, das hält, erfährt nur, wer sich fallen läßt; daß die Arme halten können, erfährt nur, wer sich fallen läßt. Daß Gott, speziell der Bräutigam Christus, Liebe ist, erfahren wir nur, wenn wir uns fallen lassen. Das bedeutet nicht, daß wir unsere Hände in den Schoß legen; daß wir nun nichts zu tun hätten, nichts tun dürften; daß uns nun die gebratenen Hähnchen in den Mund fliegen. Nicht sorgen, auf Gottes Liebe vertrauen, heißt: setzen darauf, daß er uns nicht im Stich läßt, weil ihm über alle Maßen an uns liegt; heißt: im Vertrauen, im Erfahren, im Wissen um diese Liebe das Nächstliegende tun. Ich erinnere an Georg Müller, den Waisenvater von Bristol, oder an Hudson Taylor. Sie waren in der Lage, sich heute zu veraus-gaben, heute alles zu geben, nicht heute für morgen zu sorgen, weil sie wußten, daß Gott auch morgen gibt, morgen das gibt, was sie morgen brauchen.




  1. Aus geschenkter Gewißheit wird falsche Sicherheit

Die Braut weiß, wer der Bräutigam ist. Sie erfährt ihn. Theologisch gesprochen: Schrift und Erfahrung bilden einen einheitlichen Zusammenhang. Sie weiß es nicht nur vom Hörensagen, wer und daß dieser Christus, ihr Herr, Heiland und Haupt ist. Der Jungfer ist Erfahrung inzwischen eher verdächtig. Sie hält sich – programmatisch – ans Wort. Sie definiert sich übers Bekenntnis. Das scheint gut und richtig zu sein, wenn da nicht das entscheidende Defizit wäre, daß wir uns nicht selber definieren, nicht selber bestimmen, uns nicht selber Identität geben können, sollen oder dürfen, wo uns doch Christus allein definiert, allein Christus uns bestimmt und und allein Christus uns Identität geben kann.

Das Bekenntnis ist gut,- aber nur dort, wo es in seiner Kraft nicht überfordert, wo es nicht überlastet wird; wo es nicht tragen soll, was es nicht tragen kann: die Last der Identität der Kirche. Das Bekenntnis ist gut, wo es Antwort der glaubenden und sich geliebt und angenommen, begleitet und umsorgt erfahrenden Gemeinde ist. Christus schenkt der Gemeinde ein immer neu aktualisiertes Bekenntnis. Er will sie mit seinen Augen leiten, und wo sie dies geschehen läßt, da findet die Gemeinde dann auch zu der aktuellen Definition ihres Glaubens. Nie darf sie dagegen meinen, sie könne sich selbst durch ihr Bekenntnis erhalten. So ist es in der Geschichte der Kirche immer gewesen. Die Gemeinde Jesu hat sich in angefochtener Lage auf ihre Beziehung zu Christus, zum dreieinigen Gott besonnen und aus der Anfechtung und Vergewisserung heraus zu Formulierungen gefunden, die dann oft auch noch späteren Generationen eine entscheidende Hilfe waren und sind.

Entsprechendes gilt für die Theologie. Aber Rang und Bedeutung, ja Aufgabe einer solchen – wie wir heute gerne und nicht ganz problemlos sagen – bibeltreuen Theologie müssen sehr präzise bestimmt werden. Bibeltreue Theologie ist wichtig. Abwehr von Irrlehren ist wichtig. Darstellung, Entwicklung und Entfaltung von gesunder Lehre ist wichtig. Freilich, all das hatte Ephesus. All das war bei ihr in besonderem Maße vorhanden. Und trotzdem steht die Gemeinde in Gefahr, abzufallen und den Leuchter zu verlieren. Ephesus hat all das, aber ohne Liebe ist eben auch all das nichts. Die Gemeinde verläßt sich auf sich, wo sie sich allein auf Christus verlassen müßte, ihm aber nichts mehr zutraut, weil sie nicht aus der Gegenwart seiner Liebe heraus lebt. Und wo nicht mehr die liebenden Augen Christi auf Kurs halten und die Worte des guten Hirten in Rufweite halten, da muß das dann eine Theologie leisten, die das nicht leisten kann; die damit überfordert ist; überfordert, weil ihr hier eine Aufgabe zugewiesen wird, der nur Christus gerecht wird.

Noch einmal, eine bibeltreue Theologie ist wichtig. Aber keine bibeltreue Theologie kann die Treue zu Christus garantieren; kann die Beziehung zu ihm ersetzen und an die Stelle der Nähe zu ihm treten, wo diese erst einmal verloren gegangen ist.

Wo das Heil, die Rettung für die verfahrene und verlorene Kirche von einer bibeltreuen Theologie erwartet wird, da passiert, was wir als „Ephesus“ seit längerem immer intensiver erfahren: Die Erwartungen konzentrieren sich auf eine immer menschliche, immer durch Traditionen bestimmte Theologie und nicht auf Christus, der eine Hinwendung zu sich bewirken muß, der uns zur ersten Liebe zurückrufen muß. Dabei kommt einem bibeltreuen, schriftgemäßen, oder wie ich lieber sage: biblisch-reformatorisch-erwecklichen Theologieansatz eine diagnostische und damit wichtige Bedeutung zu. Aber, er kann´s nicht richten. Natürlich kann Christus und wird Christus eine gute Theologie gebrauchen, um zur Umkehr zu führen. Aber, das kann und wird nur dort geschehen, wo nicht von dieser Theologie erwartet wird, was allein Christus leisten kann; wo diese Theologie nicht an die Stelle tritt, die allein Christus einnehmen kann und darf. Hier gilt es sehr sorgfältig zu differenzieren.

Der Gedanke liegt ja nahe, daß eine richtige Theologie eine richtige Kirche bzw. Gemeinde Jesu hervorbringt. Ich denke an den Extremfall einer Position, die Christsein an eine ganz bestimmte Definition der Autorität der Hl. Schrift und eine ganz bestimmte Definition von Inspiration bindet. Wer anders denkt, wer also diese menschliche Schriftlehre nicht unterschreiben kann, der kann – so diese evangelikale Position - kein Christ sein, nicht richtig Christ sein, und Kirche wird erst dann Kirche, wenn sie sich auf den Boden dieser Definition stellt.

Ich frage mit viel Verständnis für die Motivation und darum ganz vorsichtig, aber doch deutlich zurück: Was ist hier eigentlich das Fundament der Gemeinde: Christus oder eine bestimmte Theologie, oder noch eingeengter: eine bestimmte menschliche Lehre? Ich denke an bestimmte evangelikale Vereinigungen, die ihre Glaubensgrundlage definieren und als ersten, entscheidenden Artikel eine bestimmte Schriftlehre entfalten, der dann alles andere, etwa auch der Glaube an den dreieinigen Gott nachfolgt. Eine bestimmte Inspirationslehre als Basis des gesamten Glaubens(bekenntnisses)! Heißt das nicht, an seinen eigenen Glauben glauben? Sich selbst fundamentieren, sich selbst einen festen Grund geben wollen – einen Grund, der nur ein anderer, der nur Christus sein kann; ein Grund, den ich mir nicht selbst machen kann? Gilt nicht: alles, was ich mir als Grund zurecht zimmere, kann nicht tragen, ja ist gefährlich, weil es an die Stelle des einen Grundes tritt, den es gibt? „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus - der Herr!“ (1. Kor 3,11).
Eine richtige Theologie bringt eine richtige Kirche hervor? Die Erneuerung der Gemeinde erwächst aus der Richtigstellung der Lehre? Die Rückkehr zur ersten Liebe resultiert aus der Erneuerung unserer Gedanken? - Das genau ist der Grundirrtum aller Orthodoxie. Die Ausrichtung auf die rechte Lehre und die Frage nach dem, was denn rechte Lehre ist, wird dann ja ganz schnell auch zur Rechthaberei. Wir erleben es ja gegenwärtig notvoll, wie eine evangelikale Gruppe der anderen ihre Bibeltreue abspricht, eine noch bibeltreuer sein will als die anderen, eine noch bibeltreuere Akademie gegründet werden muß, weil die, die da ist und anderen ihre Bibeltreue streitig macht, ja nicht bibeltreu genug ist. Das ganze wird begleitet von Zank und Streit, sehr menschlichen Rechthabereien, Rangfragen, Konkurrenzfragen, Ringen um Identität, die man sich selbst gibt, für die man aber quasi einen Offenbarungsanspruch erhebt. Bibeltreu, bibeltreuer, am bibeltreusten, und das spricht man dann anderen ab und sich selbst selbstsicher zu. Kann es das sein? Kann sich so die Erneuerung der Kirche vollziehen?

Ephesus schafft sich die Grundlage selber, die nur Christus sein kann, nicht ein Papier über Christus – und sei es noch so gut; nicht eine Formel über Christus – und sei sie noch so lehrreich! Ephesus schafft sich die Sicherheit über sein richtiges Christsein selber, weil sie die Gewißheit, daß Christus sie liebt und ihr Identität gibt, sie trägt und hält, - weil sie diese Gewißheit nicht hat, nicht mehr hat. Wir erkennen, warum diese selbstgeschaffenenen, selbstfabrizierten Sicherheiten so gefährlich sind: eben weil sie an die Stelle Christi treten; weil sie uns in trügerischer Sicherheit wiegen, in einer Ruhe – die nicht gegeben sein kann und darf, wo nicht Er uns hält, trägt, sichert, definiert und garantiert.


„Das Christusbekenntnis wird“ in Ephesus – „zu etwas nur Formelhaftem“, schreibt Adolf Pohl.3 Die Gemeinde hält selbstverständlich an ihrem Bekenntnis zu Christus fest. Bei einer verbalen Untreue wird man sie nicht erwischen. Im Gegenteil; je weniger sie sich ihres Bräutigams gewiß ist, umso mehr klammert sie sich an das einzig Sichere: an ihr Bekenntnis zu Christus. Je weniger sie in der Beziehung zu ihm lebt, umso präziser wird sie sie lehren; je weniger sie die Beziehung, die Liebe hat, umso wichtiger wird ihr die Formel für diese Beziehung. Je weniger sie die Inhalte des Glaubensbekenntnisses erfährt, umso wichtiger wird ihr dessen theoretische Sicherung. Und genau diese Orthodoxie scheint ihr ja das Wesen rechten Christenglaubens zu sein. Genau darauf legt sie dann auch alle anderen fest. Etwas anderes, ein mehr, ja: das Entscheidende kennt sie ja gar nicht mehr. Darum wird ihr auch der Leuchter, dessen Leuchtkraft sie lange verloren hat, auch genommen werden.

Ephesus – das können auch die rechtgläubigen, korrekten Gemeinden ohne missionarische Ausstrahlung und ohne diakonische Wirkung sein. Orthodoxie und geistliche Kälte gehen bei ihr Hand in Hand. Das ist eines ihrer Kennzeichen.

Fremde Einflüsse, Irrlehren, Häresien wehrt die Gemeinde erfolgreich ab, ebenso aber auch alle Impulse für einen geistlichen Neuaufbruch und zu neuem Leben mit Gott. Damit bin ich beim Nächsten.




  1. Aus Organisation wird Institution

Um einem möglichen Mißverständnis von vornherein zu wehren: Es kann keinen Organismus ohne Organisation geben; es kann auch den Leib Christi nicht ohne Ordnungen geben, auch nicht ohne ein Mindestmaß von Verwaltung, sprich organisatorischem Aufwand. Und es gibt Leib Christi auch nicht ohne eine geistliche, freilich am Vorbild Christi orientierte Hierarchie. All das sind, wenn man so will, auch institutionelle Elemente von Kirche - übrigens nicht nur von Volkskirche, sondern auch von Gemeindekirche, von Freier Gemeinde, selbstverständlich auch von Brüdergemeinde.

Wenn ich darum behaupte: Ephesus zeichnet sich aus durch den Übergang von Organisation zu Institution, dann lehne ich damit nicht in unnüchterner Weise Institution, Verwaltung ab. Der Knackpunkt ist ein anderer.

Die Braut, gerade die Braut organisiert ja ihr Leben. Und wie! Alles organisiert sie auf ihren Liebsten hin! Und wie das alles durchdacht ist! Wie das alles strukturiert ist! Seine Ehre, seine Herrlichkeit, sein Herr- und Hauptsein ist das alles bestimmende Organisationsprinzip der Braut. Mit einem schönen Wort von Klaus Eickhoff: Mission ist das Strukturprinzip von Gemeinde, Gemeinde Jesu. Alles richtet sie darauf aus, daß Er und Seine Würde, Seine Ehre, Seine Herrlichkeit aller Welt bekannt wird. Sie selber ist dabei ihrem Gefühl nach gar nicht so wichtig. Das genau zeichnet ja die erste Liebe aus. Sie dient, und alles, was sie tut, organisiert, strukturiert, hat ja nur das zum Ziel, Ihm zu dienen.

Die Braut richtet sich und ihr ganzes Leben auf Christus aus. Die Braut richtet sich aus; die Jungfer richtet sich ein. Für Ephesus wird kirchliches, gemeindliches Leben Selbstzweck; für Ephesus ist das Leben der Gemeinde Zweck in sich. Man geht in die Stund´, weil man in die Stund´ geht – nicht, weil Christus da ist. Man geht in die Versammlung, weil man in die Versammlung geht – etwas besser, aber eben immer noch falsch begründet: weil man die Zusammenkommen nicht versäumen soll,- man geht nicht, weil man dort Christus sucht.

Aus Gemeinden, die ein Ziel haben, Mission, werden Vereine, deren Eigenleben und deren Eigeninteressen diesem Ziel immer mehr im Wege stehen. Aus Gemeinden als Missionsorganisationen werden primär an sich selbst orientierte Institutionen,- die dann – wenn möglich und so, wie ihr Haushalt und ihre Bedürfnisse das zulassen, auch noch Mission unterstützen. Denn Mission ist ja wichtig. Das mindestens gehört ja zum Selbstverständnis

Die Braut richtet sich und ihr ganzes Leben auf Christus aus. Die Braut richtet sich aus; die Jungfer richtet sich ein. Damit beginnt der Ärger. Da, wo Christus wirklich und nicht nur als rhetorische Metapher „im Mittelpunkt steht“, unsichtbar aber wirksam, da, wo er als Realität Priorität genießt – für alle, da können sich alle auch verständigen, da haben sie einen gemeinsamen Bezugspunkt, einen gemeinsamen Mittelpunkt. Und selbst dann, wenn sie verschiedene Standpunkte, ja eventuell sogar gegensätzliche Positionen einnehmen – wie der oberste und der unterste Punkt in einem Kreis oder in einer Ellipse – selbst dann haben sie in Christus den gemeinsamen Bezugspunkt, der sie eint; in dem sie sich einig sind. Da, wo sie ihn anschauen, weil er sie anschaut, wenden sie sich gemeinsam ihm zu und werden gemeinsam von ihm ausgerichtet. Da entsteht dann auch Einheit.

Diese Einheit ist Kennzeichen der Gemeinde als Braut. Ephesus hat diese einende Perspektive verloren. Sie ist ja aus der ersten Liebe gefallen. Ephesus hat darum die Einheit nicht mehr in Christus, durch die gemeinsame Ausrichtung auf Christus. Ephesus hat die Einheit nicht durch Christus; Ephesus muß die Einheit darum selber schaffen, selber stiften, selber durch Institutionen bewerkstelligen. Und das tut sie, mit relativ großem Erfolg. Gemeindezucht, Achten auf rechte Lehre und auf ein striktes diszipliniertes christliches Leben sind die Hauptmittel.

In Ephesus gedeiht der autoritäre Leitertyp. Einer muß die Gemeinde ja zusammenhalten, wenn es denn der Christus, der gemeinsame Blick auf den erhöhten Herrn nicht mehr tut, nur noch dem Namen nach tut. Da gibt es dann nicht den einen großen Papst, womöglich aber eine Reihe kleinere.

In Ephesus werden Verhaltensinstitutionen groß geschrieben. In der Gemeinde als Braut, in Frühlings- und Erweckungszeiten der Gemeinde ist der Mitbruder ansprechbar auf Christi Liebe zu ihm und seine Liebe zu Christus. Ephesus verläßt sich da lieber auf Regeln; sie geht auch hier lieber auf Numero Sicher. Sie kann ja nicht anders, weil sie aus der ersten Liebe gefallen ist.

Nur, mit Nachfolge, mit Leib Christi, mit Liebe als der christlichen Tugend, die unser Gottesverhältnis und unser Zusammenleben bestimmt, hat das alles nur noch relativ wenig und immer weniger zu tun. Ephesus lebt nicht; Leben könnte sie nur, wenn sie von Christus geliebt wird; Ephesus organisiert Leben, ohne daß doch Leben entsteht. Ich denke an eine landeskirchliche Gemeinde, deren Verantwortliche sich nach Gemeindeleben sehnten. Und dann bauten sie ein wunderschönes Gemeindehaus mit allem drum und dran, richtig schmuck anzusehen. Aber wie groß war die Enttäuschung, als sie feststellen mußten, daß das Haus leer blieb und nicht genutzt wurde. Ein Trost war, daß es so wenigstens nicht abgenutzt wurde. Denn das war einigen der Kirchengemeinderäte schon immer ein Dorn im Auge, daß ja die Nutzung von Räumen, sprich Leben, mit Abnutzung und Verschleiß verbunden war.

Vielleicht gelingt es der Jungfer sogar, Nutzung zu organisieren. Ephesus gehört zu den extrem organisierten Gemeinden. Durch hohen Einsatz an Kraft, an ideellen und materiellen Mitteln ist ja nahezu alles da, was man sich wünschen kann, von den Veranstaltungen bis zu den Räumlichkeiten. Vielleicht handelt es sich ja auch um Überbleibsel der Zeit der ersten Liebe. Und nachdem die Liebe weg ist, klammert man sich an das, was aus dieser Zeit der ersten Liebe übrig geblieben ist. Und was bleibt der Jungfer anderes übrig, als die Einrichtungen der ersten Liebe mit dieser Liebe zu verwechseln? Und wehe dem, der daran rührt, der ihr das nimmt, auch das noch nimmt, nachdem sie die Liebe doch schon verloren hat?

In Ephesus herrscht jede Menge frommer Betrieb,- oder positiv ausgedrückt: alles, was man sich denken kann, ist organisiert, ist da, wird mit viel Aufwand und Treue, wie man so schön sagt, durchgezogen, durchgetragen. Wir denken an das zweimal auftauchende Wort vom Ausharren der Gemeinde. Aber dieser Betrieb ist Betriebsamkeit,- er hat seinen eigentlichen Grund und sein eigentliches Ziel verloren: die Liebe zum Geliebten. Es passiert unheimlich viel,- aber es passiert um der Braut und nicht mehr um des Bräutigams willen, auch wenn natürlich das Selbstverständnis ganz anders ist.

Im Ergebnis tritt wiederum etwas an die Stelle Christi. Wo die erste Liebe verlassen ist, da schafft sich die Braut Surrogate, da sorgt sie für Ersatz. Da wird sie zur Jungfer, die zwar noch vom Bräutigam redet, aber ihn nicht mehr kennt, nicht mehr mit ihm lebt. Da versteinern die Lebensordnungen, die sie sich gegeben hatte, um einen möglichst guten Kontakt zu ihrem Bräutigam zu haben. Da verstauben die Briefe und Dokumente einer Beziehung. Denn es gibt keine Beziehung mehr, die neue Liebesbriefe hervorbrächte; die zu neuen, den sich ändernden Lebensumständen genügenden Regelungen und Absprachen führen könnte. Da klammert man sich an das Althergebrachte, weil es doch das – einmal - Lebendige war und weil man in ihm die einzigen Spuren von Leben spürt, die man noch hat.

Früher, als Liebe da war, da haben unsere Gottesdienste doch diese spezielle Form gehabt; da haben wir doch diese Choräle gesungen. Das dürfen wir nicht aufgeben. Denn ganz offenbar – so der Irrtum – hängt ja Liebe, Leben an dieser speziellen Form, dieser bestimmten Tradition. Mit neuen Formen, mit Veränderungen fürchtet Ephesus zu verlieren, was sie doch schon lange verloren hat: Leben, die erste Liebe.

Die Braut freut sich: Es ist noch nie so schön gewesen. Die Jungfer beharrt: Es ist schon immer so gewesen. Ephesus ist stark und korrekt und wird vor allem wegen seiner ausharrenden Kraft anerkannt. Aber genau dieses Ausharren, selbst noch das Martyrium, das ihr für lange Zeit zusätzliche moralische und geistliche Legitimation gibt, läßt sie ihren Leuchter verlieren. Da, wo sie Christus verloren hat und die erste Liebe verlassen hat, wird das Ausharren zum Beharren, und das Leben, der Neuaufbruch, die notwendige Veränderung bleibt ohne jede Chance.
6. Aus Rechtfertigung wird Heiligung

Hurerei, Unkeuschheit, mangelnde Heiligung bekämpft Ephesus mit Erfolg. So etwas wird bei ihr nicht gefunden,- genauso wenig wie Liebe und Barmherzigkeit. Diese korrekte Gemeinschaft von Christen stirbt den emotionalen und beziehungsmäßigen Kältetod. Karl Hartenstein sagt: Ephesus „übt wohl Zucht, aber sie hat keine Liebe“4. Sie ist auf sich selbst und ihre Gerechtigkeit bedacht, und sie hat den Blick der Barmherzigkeit verloren, der Barmherzigkeit, aus der sie selber allein lebt.

Nun gilt es auch hier, sofort eines klarzustellen. Gemeinde braucht Gemeindezucht und der Wille Gottes ist unsere Heiligung (1 Thess 4,3). Wegen beidem wird Ephesus ja auch gelobt und anerkannt. Der Knackpunkt ist wieder ein anderer. Denn trotz Orthodoxie, trotz Gemeindezucht, trotz Heiligung, trotz Mühen in der Nachfolge verliert Ephesus den Leuchter, wenn es sich nicht schleunigst und radikal umorientiert.

Die entscheidende Frage kann nicht sein, ob wir für oder gegen Heiligung sind; die entscheidende Frage muß lauten: woraus leben wir sie? Wer ist das Subjekt der Heiligung? Wer bewirkt sie? Was oder besser wer motiviert sie?



Die Braut lebt davon, sie hat es erfahren, es bindet sie an Jesus und verbindet sie mit ihm: „Christus ist uns geworden Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung!“ (1. Kor 1,30) M.a.W.: Christus ist uns alles geworden. Er, er allein ist auch unsere Heiligung. Genauso deutlich heißt es Hebr 10,10: „Wir sind (!) geheiligt durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi.“ Christus hat sich für uns, uns zugute und an unserer Stelle geheiligt. Er hat sich, sein Leben für uns dahingegeben und uns den Zugang zum heiligen Gott als Vater eröffnet (Röm 5,1). Nur durch sein Blut, nur durch sein Leben konnte die Sünde und konnten die Sünden beseitigt werden. Darum ist sein Kreuz, sein Tod allgenugsam. Christus hat uns gerecht gemacht vor Gott, und diese Rechtfertigung ist die einzige Heiligung, Heilig-Machung , die es gibt und die wir denken können.
Durch diese Rechtfertigung weiß die Braut: Sie ist zwar keine Heilige, im moralischen Sinne; wenn sie dies behaupten würde, würde sie sich selbst betrügen und die Wahrheit wäre nicht in ihr (1. Joh 1,8). Sie ist zwar keine Heilige, aber - sie ist eine Geheiligte. In diese Heiligung, in das, was Christus aus ihr gemacht hat, darf sie nun immer mehr hineinkriechen, hineinwachsen. Die Braut ist ihrem Bräutigam unendlich dankbar. Sie weiß ja: Was er für sie tat, hätte sie nie und nimmer tun können. Es steht für sie außerhalb jeder Diskussion, daß sie durch ihr eigenes Tun hätte erreichen können, was er für sie erreicht hat: daß nämlich Gott sie annimmt; daß sie vor Gott mit allen ihren Fehlern gerecht dasteht; daß Gott der Heilige, ihr Gemeinschaft gewährt. Das kann sie sich nur schenken lassen. Sie kann es eigentlich auch nur glauben. Denn plausibel ist es für sie nicht, so wie sie sich kennt, so wie sie aussieht. Warum nur hat er das für sie getan? Warum nur liebt er sie so? Aber eins ist für sie klar: Sie versteht zwar nicht, warum er sie so liebhat, sie kann auch nichts für diese Liebe tun,- aber sie will sich ihrer so würdig wie möglich erweisen. Mit Paulus weiß sie: „Für alle ist Christus gestorben, damit die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem (für den; auf den hin), der für sie gestorben und auferweckt worden ist“ (2. Kor 5,15). Das kann die Braut sich gar nicht anders vorstellen, wenn sie an das denkt, was der Bräutigam für sie getan hat. Und es gibt für sie kein größeres Glück, als sich dieser Liebe immer neu zu vergewissern, etwa beim Brotbrechen bzw. Abendmahl daran zu denken, sich daran zu erinnern, wie groß seine Liebe zu ihr ist. Davon, von dieser Erinnerung lebt sie eigentlich. Hier, im Angesicht seines Todes wird ihr klar, wieviel sie ihm verdankt; daß sie dem, was dort vor den Toren Jerusalems passiert ist, nichts hinzufügen kann; hier begreift sie, daß Christsein eigentlich in nichts anderem besteht, als dankbar wahr-zu-nehmen, was Christus getan hat. Hier, bei Brot und Wein, kommt sie auch immer neu zur Ruhe über dem, was ihr trotz aller ihrer Liebe wieder an Schuld, Fehlern, Irrtümern unterlaufen ist. Hier merkt sie, daß sie auf Vergebung angewiesen ist bleibt und daß ihrer alle, aber auch alle bedürfen.

Anders die Jungfer. Auch sie erinnert sich pflichtgemäß – aber Christus wird sie dabei nur selten oder gar nicht mehr ansichtig. Wichtiger als seine Gegenwart in Brot und Wein und als die Neugeburt in der Taufe sind ihr die korrekten Formen der Abendmahlsworte oder die Frage, welche Taufform denn die richtige ist. Ephesus weiß natürlich, was Christus für sie getan hat, aber sie lebt nicht daraus. Im Gegenteil, nicht die Rechtfertigung, sondern die Heiligung sind ihr zentrales Thema. Nicht die Rechtfertigung, die Christus bewirkt hat, sondern die Heiligung, die sie selber schaffen muß, bestimmen ihr Denken. Nicht die fröhliche Gewißheit, daß nichts, aber auch gar nichts mehr sie von der Liebe des Bräutigams scheiden kann (Röm 8,38f), wohl aber die Unsicherheit, ob nicht doch noch irgendetwas sie von Gott trennen und ihren heilschaffenden Glauben aufheben kann, bestimmen ihr Bewußtsein. Nicht Freude, sondern Skrupel, nicht lobendes Bekenntnis Christi, sondern ängstliches Messen des eigenen frommen Pulses und ob er richtig geht, nicht Ausposaunen des Evangeliums, der einen guten Nachricht, die alle Welt zu retten vermag, sondern die Klage über die Sünde, die eigene wie vor allem die der anderen, stehen für Ephesus im Mittelpunkt.

Die Braut weiß: Nichts kann mich trennen mehr von Christus. Der Jungfer sorgenvoll zerfurchtes Gesicht bestimmt die Frage: Was kann mich denn wohl noch trennen von Christus? Wovor muß ich denn noch Angst haben? Die Braut weiß es und erfährt es immer wieder in überwältigender Weise in der Begegnung mit ihrem Bräutigam: Ich kann nichts und ich muß nichts mehr tun für diese Beziehung. Es ist alles ok; er liebt mich; er liebt mich so sehr, daß ich auch durch noch soviel Unsinn, Fehler, Irrtümer, selbst schwerste Schuld diese Liebe nicht zerstören kann. Um es mit einem markigen, wenngleich für klassisch geschulte germanistische Ohren harten Wort zu sagen: Die Liebe Christi ist einfach unkaputtbar! Glauben will das die Braut eigentlich auch nicht. Wie käme sie auch dazu, so etwas Unwahrscheinliches, Unglaubliches anzunehmen. Aber wenn sie ihren Herrn wieder gesehen hat, wenn sie sich seiner neu vergewissert hat, dann weiß sie es wieder und dann lebt sie daraus, froh, heiter, gelassen.

Anders die Jungfer: Sie kann das eigentlich nicht glauben, daß das wirklich keinerlei Rolle spielen soll, wie man sich zu Christus verhält. Ist das Leben nicht ganz anders? Irgendeine Wirkung wird das doch sicher haben, wenn man sündigt? Und wenn man das bestreitet, besteht dann nicht sogar die Gefahr der Laxheit? Wo kommen wir denn da hin, wenn man sündigen kann ohne Konsequenzen? Wird dann nicht alles liberal? Daß die wahrgenommene Liebe Christi genau das verhindert, daß man eigentlich nicht sündigen kann, wenn man Christi Liebe wirklich sieht, daß niemand den verletzten wird und will, der uns so liebt, das weiß sie einfach nicht mehr; davon hat sie keine Ahnung mehr (vgl. Röm 6,1ff). Auch hier geht sie lieber auf Numero sicher. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir uns nur auf Christus und seine Liebe zu uns verlassen würden? Ist es nicht besser, möglichst genau anzugeben, was christlicher Glaube ist, wie ein Christ lebt und darauf zu achten, daß jeder das einhält?

Das Ergebnis ist wieder dasselbe. Heraus kommt Ephesus, eine Gemeinschaft von Christen, die eine bloße Form der Gottseligkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen (2. Tim 3,5), verachten. Niemand sage, daß Ephesus nicht christlich ist. Ihre Werke, ihre Mühen, ihre Nachfolge ist lobenswert, ist durch christliche Werte bestimmt – nur nicht – und das ist das entscheidende Problem – nur nicht durch Christus.
7. Selbstgerechtigkeit statt Rechtfertigung des Gottlosen

In einem letzten und abschließenden Punkt möchte ich Ephesus noch einmal auf den zentralen Punkt bringen.

Gottes Liebe ist schöpferisch. Der Schöpfer ist die Liebe. Diese Liebe schafft auch die Braut. Die Braut weiß, daß sie das, was sie ist, nicht aus sich ist; ganz und gar nicht. Alles, was sie ist, ist sie nur auf Grund der Liebe des Bräutigams. Sie verdankt nichts, aber auch gar nichts eigenen Anstrengungen, eigenen Werken, eigenem Tun. Das mindert ihr Selbstwertgefühl überhaupt nicht. Denn so realistisch wie sie ist, weiß sie: alles, was sie an dieser Beziehung zum Bräutigam selbst verantworten müßte, alles, was von ihrer Seite her Bedingung wäre, damit diese Beziehung bestehen bleibt, - all das würde diese Beziehung nur gefährden, ja mit Sicherheit im Laufe der Zeit crashen lassen. Sie denkt da an die vorherige Braut ihres Bräutigams, und sie läßt sich deren Schicksal eine gute Lehre sein. Sie denkt an das Gottesvolk des Alten Bundes. Nein, die Braut hat es gelernt, sich in dem unglaublichen Gefühl zu sonnen, in der Wahrnehmung zu baden: Er liebt mich; er nimmt mich bedingungslos an; ich kann machen, was ich will, er läßt mich nicht los. Natürlich werde ich deshalb nicht lieblos, aber ich darf sorglos sein. Alles ist in Ordnung und bleibt mit Gewißheit in Ordnung, weil alles an seiner Liebe und nichts an meiner Liebe hängt. So groß ist seine Liebe. Und dafür, für diese große Liebe, um dieser großen Liebe willen liebt ihn die Braut so sehr. Diese Liebe, die Freude über diese große Liebe, die Sorglosigkeit, die eine solche große, umfassende Liebe ermöglicht, die Heiterkeit und Gelassenheit, die eine solche Geborgenheit schenkt – all das strahlt die Braut aus. Und da muß sie sich überhaupt keine Mühe geben. Das ist dann einfach da. Wer den Bräutigam nicht kennt, der wird an dieser Braut erkennen, was das für einer sein muß, der solch ein Leben, solch eine Haltung ermöglicht, solch eine Gegenliebe freisetzt!

Christsein heißt im Kern und vor allem anderen und eigentlich nichts anderes als dieses eine: inne werden, daß man diese Beziehung zu Gott nicht verdient; daß es nichts gibt, was sie von unserer Seite aus begründen könnte; daß Gott sich uns allein aus un-bedingter Gnade zuwendet und daß es allein seine Liebe ist, die diese Beziehung gestiftet hat und erhalten kann, und daß es seine Liebe ist, die diese Leben stiftende Gemeinschaft auch erhalten wird. Diese Liebe ist ebenso unfassbar wie sicher, gewiß. Wenn sie fassbar wäre, wenn ich bei mir, bei er Braut dafür Gründe nennen könnte, dann wäre sie schon wieder eine höchst ungewisse Sache. Denn dann käme es ja doch noch in irgendeiner Weise auf mich an. Unbedingte Liebe bedeutet aber: Genau das ist nicht der Fall.

Ephesus hat diesen elementaren Sachverhalt nicht mehr vor Augen. Sie kann an diesen Gott, der Liebe ist und der unbedingt liebt, ohne Bedingungen liebt, der unbedingt Leben schenkt, ohne Vor-Bedingungen Leben schenkt, der unbedingt in der Beziehung zu sich hält, der ohne Grund liebt, - sie kann an diesen Gott nicht glauben. Oder besser: natürlich wird sie womöglich immer wieder beteuern, daß dies ja das Zentrum evangelischen Bekenntnisses ist: das Prinzip der Rechtfertigung des Gottlosen. Das ist ja – dem Anspruch nach – der Bekenntnis-Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt: Es ist in uns keine eigene Gerechtigkeit, nichts, was vor Gott bestehen könnte; wir werden gerechtgemacht ohne unser Tun; alles geschieht nur aus Liebe, und es bleibt uns nichts anderes übrig, als das zu glauben. – Ephesus kennt diesen Artikel natürlich, und sie bekennt ihn auch, sagt ihn auch als Formel; sie nennt womöglich, wenn ihr das zu konfessionalistisch ist, die entsprechenden Bibelstellen des Römerbriefes und trennt sauber zwischen Stellung und Zustand. Ephesus hält die Rechtfertigung als theologischen Sachverhalt hoch – und wehe wenn nicht! Da können sich dann 170 Theologieprofessoren auf einmal in einer Unterschriftenliste der Empörten finden, die sonst theologisch nichts, aber auch gar nichts verbindet – schon gar nicht die Überzeugung von der Jungfrauengeburt des als Sühne für unsere Sünden sein Leben dahingebenden in Raum und Zeit leiblich auferstandenen Herrn Jesus Christus.5 Also, Ephesus hält die Rechtfertigung hoch – als theologische Theorie. Aber eine Anschauung von ihr hat sie nicht mehr. Erfahrung der Umkehr, der Buße und der Begnadigung sind in ihr nicht mehr zu finden. Damit fehlt die entscheidende Erfahrung: die Erfahrung der Liebe Gottes, die Erfahrung der Liebe des Bräutigams; die Erfahrung befreiender, zur Nachfolge befreiender, zum Lob befreiender, zur Hingabe befreiender, von sich selbst befreiender unbedingter Liebe.

Die Jungfer weiß theoretisch, daß es das gibt. Sie weiß aber schon nicht mehr, was das ist. Darum tritt bei ihr an die Stelle der Liebe des Bräutigams die Selbst-Liebe; an die Stelle der Rechtfertigung des/ der Gottlosen die Selbstgerechtigkeit; an die Stelle der Gnadenerfahrung das fromme Werk, das mich beruhigt: Meine Gottesbeziehung ist in Ordnung, sie kann so schlecht nicht sein; ich tue ja etwas, vielleicht sogar ziemlich viel für sie. Wer so denkt, wer so handelt, wer so empfindet, der ist aber nach Paulus und vor allem nach Jesus schon lange kein geistlicher Leuchter mehr, sondern nur noch ein ungeistlicher Armleuchter, ein Selbstleuchter: „Ihr seid von Christus abgetrennt, die ihr im Gesetz gerechtfertigt werden wollt. Ihr seid aus der Gnade gefallen.“ (Gal 5,4) Das ist unheimlich hart, aber logisch und letztlich doch auch unglaublich befreiend.

Wer meint, seine Beziehung zu Gott auch nur minimal verantworten, nur ein bißchen garantieren zu können, der hat noch nicht verstanden, wie sehr er auf die Gnade Gottes angewiesen ist: nämlich ganz und gar und 100%; der hat noch nicht verstanden, wie sehr alles an Gottes Liebe hängt: nämlich ganz und gar und 100%! Der weist damit die Liebe Gottes zurück; der hat sie nicht nötig, und der stürzt sich dann selbst ins Elend.

Der Verlust der ersten Liebe stürzt ins Elend,- weil Ephesus ja nur elend sein kann, wo sie selbst gerecht, selbst gut, sich geistlich selbst garantieren, ihre Gottesbeziehung selbst sichern und durch Werke, rechte Lehre und Gemeindezucht herstellen wie garantieren will.

Braut sein heißt: Glauben an den Gott, der den Gott-losen rechtfertigt. Braut sein heißt, vertrauen auf den Gott, der den bleibend Gott-losen rechtfertigt. Denn Braut sein heißt, sich ganz und gar und auf Dauer auf den Gott verlassen, an dessen Liebe alles hängt und auf dessen Liebe ich mich ganz und gar und unbedingt verlassen kann. Braut sein heißt, diese Liebe wahr-nehmen – in des Wortes doppelter Bedeutung. Sie erfahren, sich an ihr wärmen, sie sich gefallen lassen und sie darum auch theoretisch wissen – als eine feste, unverbrüchliche Gewißheit.

Ephesus ist aus der ersten Liebe gefallen. Sie nimmt diese Liebe nicht mehr wahr. Sie kann das nicht mehr glauben, nicht wirklich glauben, daß Gott sie so unbedingt liebt; sie nimmt diese Liebe nicht mehr als wahr, weil sie sie nicht mehr in ihrem Leben wahrnimmt. Natürlich bekennt sie sie noch theoretisch. Aber ihr Leben spricht eine ganz andere Sprache. Ihr Selbstverständnis lautet: Gemeinde, Glauben, Christsein – dafür müssen wir schon selbst sorgen: Christ-Sein, das ist in erster Linie



  • Frucht bringen

  • Durchhalten, auch wenn´s hart wird

  • Rechte Lehre und Abwehr von Irrlehre.

Und so definiert Ephesus sich selbst; stiftet sie ihre Existenzberechtigung durch ihr Tun; will sie selbst gerecht sein, wo doch nur die fremde Gerechtigkeit, die ihr von Christus zugesprochene und geschenkte Gerechtigkeit, nicht aber das eigene Recht-Sein, die eigenen Gerechtigkeit, die Selbst-Gerechtigkeit die Gemeinschaft mit Gott begründet und erhält.
Ephesus hat alles, aber ohne die Liebe ist alles nichts: „Wenn ich in den Sprachen der Engel und der Menschen rede, aber keine Liebe habe, so bin ich ein tönernes Erz geworden oder eine schallende Zimbel. Und wenn ich Weissagung habe und alle Geheimnisse und alle Erkenntnis weiß, und wenn ich allen Glauben habe, so daß ich Berge versetze, aber keine Liebe habe, so bin ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen austeile und wenn ich meinen Leib hingebe, damit ich verbrannt werde, aber keine Liebe habe, so nützt es mir nichts.“ (1. Kor 13,1-3) Einen besseren Kommentar zum Wort des Erhöhten an Ephesus als diese Anfangspassage aus dem Hohen Lied der Liebe läßt sich nicht finden.
e) Das Geheimnis der ersten Liebe: Empfangen

Wer aus der ersten Liebe gefallen ist, wird sich und anderen immer nur Surrogate, immer nur Ersatzstoffe, immer nur Ersatz bieten können. Für Christus gibt es aber keinen Ersatz. Wer aus der ersten Liebe gefallen ist, der empfängt nicht mehr; der muß seine Vollkommenheit, seine Gerechtigkeit, seine Heiligkeit, sein Leben selber garantieren und herstellen. Es ist ja so merkwürdig und ein Grundzug aller unter der Macht der Sünde stehenden Religion und Frömmigkeit, daß wir viel lieber machen als empfangen; daß wir uns viel lieber selber garantieren wollen, als uns von Gott gehalten zu wissen. Letztlich ist das Aufstand gegen Gott, Hochmut des Menschen, der selber Gott sein will und nicht will, daß Gott in seinem Leben Gott ist.

Deshalb ist Ephesus, die hochmütige Gestalt von Gemeinde, so verführerisch, so weit verbreitet und so schwer zu bekämpfen. Nur wer in der ersten Liebe und aus der ersten Liebe lebt, weiß ja:


  • Nie sind wir vollkommener, als wenn wir vor Gott mit leeren Händen dastehen;

  • nie sind wir heiliger, als wenn wir Christus unsere Heiligung sein lassen;

  • nie sind wir gerechter, als wenn wir uns von ihm seine Gerechtigkeit schenken lassen;

  • nie tun wir mehr, als wenn wir uns durch seine Liebe beschenken lassen;

  • nie sind wir fruchtbarer, als wenn wir von ihm maßlos nehmen und profitieren;

  • nie ist unsere Theologie bibeltreuer, als wenn die Treue Christi uns bei Ihm hält und wir von ihm alles erwarten – auch und selbst das, daß er uns bei sich hält.


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